Anzeige |
|
|
Anzeige |
|
Dass Jazz eine urbane Kulturform ist und in großstädtischen Revieren besonders gut gedeiht, ist seit langem bekannt. So überrascht eigentlich nicht, dass der deutsche Jazz seit 1945 in der Großstadtregion Aachen, Bonn, Köln, Düsseldorf, Essen, Krefeld und Duisburg vieles vollbracht hat, das in die Annalen dieser Musik des 20. Jahrhunderts eingegangen ist1. Zehn Mio Menschen leben im Rheinland, rund die Hälfte davon in den genannten Großstädten. Namen wie Dietrich Schulz-Köhn (WDR Redakteur) oder Gigi Campi (20 Jahre Veranstalter) prägten die ersten zwei Jahrzehnte nach dem Krieg. Überall entstanden Jazzclubs und Spielorte, die den amerikanischen Stars offenstanden, aber auch die sich entwickelnde eigene Szene pflegten. So trat zum Beispiel Billie Holiday in Duisburgs Jazzclub Bohème auf. Albert Mangelsdorff machte seine ersten wesentlichen Plattenaufnahmen bei Gigi Campis Independent Label Mod Records, zur selben Zeit als Lee Konitz wie auch Lars Gullin, Hans Koller oder Jutta Hipp ständige Gäste in Köln waren. Das Deutsche Amateur-Festival in Düsseldorf war das Gegenstück zum Deutschen Jazz Festival in Frankfurt, während die Essener Jazztage die Vorläufer der Berliner Jazztage waren. Die folgenden Jahrzehnte sahen die beiden großen Big Bands, das Orchester Kurt Edelhagen, die Clarke Boland Big Band und nun seit fast 20 Jahre lang die WDR Big Band. Apropos WDR: Dieser und die Kölner Musikhochschule mit der ersten deutschen Hochschul-Jazzabteilung sowie eine große Schar wichtiger Musiker wie auch Studios und Labels sorgten dafür, dass über Jahrzehnte eine äußerst lebendige Jazzszene entstand, die sich trotz aller Veränderungen und aktueller Marktprobleme in dieser Musik bis heute hält. Man denke nur an die Explosion des Free Jazz, die Mitte der 60er-Jahre in Köln mit Gunter Hampel, Alex von Schlippenbach, Manfred Schoof, Gerd Dudek ihren Anfang nahm und die Gründung der Jazz Haus Initiative, die in den 80ern mit dem Stadtgarten in Köln ein Zentrum des europäischen Jazzgeschehens schuf. In den letzten 20 Jahren veränderte sich die Landschaft, die mobilen Jazzfreunde von außerhalb gründeten in ihren Städten eigene Clubs oder Festivals. So wurde die Szene breiter, aber auch anfälliger. Die reinen traditionellen Jazzclubs mit ausschließlichem Jazzprogramm sind fast verschwunden, aber Jazzevents gibt es mehr denn je, in Theatern, Museen, Kneipen, Konzertsälen, Schulen und nicht zu vergessen die über ein Dutzend großen und kleineren Festivals. Was das aktuell, im Jahr 2004, bedeutet, zeigt ein Blick auf die ersten Wochen dieses Jahres : Nachdem Groove-Star-Gitarrist Dominic Miller die Fans begeistert hatte, startete der Kölner Stadtgarten eine neue Reihe zum Thema „Urban Dialogues“ (sic!), indem er an zwei Abenden Bands und Musiker aus Köln und Berlin auf die Bühne bat, so den Soloauftritt des Dieter Manderscheid und das Berlin-Amsterdam-Aachener Quartett mit Axel Dörner, Wilbert de Joode und Paul Lovens, die großartige inspirierende freie Flüge entfesselten. Das Kölner Duo Christina Fuchs/Romy Herzberg stellte sein neues Programm „Zanshin“ vor und das „Quartetto Pazzo“ mit Rudi Mahall und Christof Thewes tobte sich zum Abschluss so richtig aus. Ebenfalls in Köln vertiefte das Loft, einer der wenigen Spielorte für Avantgarde-Jazz in Deutschland, den Eindruck, dass das Amsterdamer Bimhuis gleich um die Ecke liegt. Tobias Delius, Big Bent Braam und Han Bennink im Duo mit Simon Nabatov (einer der internationalen Wahlkölner wie auch etwa Lee Konitz und Charlie Mariano) machten dies möglich. Han Bennink kam dann zwei Wochen später noch einmal mit dem Wuppertaler Alt-Free Jazzer Peter Brötzmann. Bei solchen Konzerten stellt man immer wieder fest, dass diese freie Musik einen großen und unverändert begeisterten Anhängerkreis hat. Inzwischen war auch Michael Abene, Big Band Arrangeur- und –leiter aus New York eingetroffen, um als Nachfolger von Bill Dobbins die Leitung der WDR Big Band zu übernehmen. Er stellte sich mit einer neuen Ausgabe des Projekts „Very Personal“ vor. Henning Berg, auch Posaunenprofessor an der Musikhochschule Köln, präsentierte sein neues Quartettprojekt mit der neuen CD bei JazzHausMusik, während Andy Bey und Josh Roseman auf ihren Tourneen in der Domstadt am Rhein Halt machten. Das von Freiburg an den Rhein verzogene Label Double Moon stellte seine neue Sängerin Esther Philipps vor, eine richtig gute Musikerin, auch ohne jede Marketingverzierung. In Essen lud die vor einigen Jahren neu gegründete Musikerinitiative
„Jazz Offensive Essen –JOE“ zu ihrem 8. Festival ein.
Viel gute Musik aus der Region mit Jan Klare, Joachim Raffel und Peter
Materna gab es wie auch einige große Acts mit Nguyen Le, Gunter
Hampel und vor allem Richie Beirach, der die Zuhörer begeisterte.
Ein besonderes Projekt war dabei, das man bisher so nicht auf anderen
Festivals erleben konnte: das Achim Jaroschek Quarttett, zu dem unter
anderem Günter „Baby“ Sommer gehört, mit den Gästen
Gerd Dudek und Conny Bauer. Was die „alten Herren“ des Free
Jazz da an mitreißendem und kreativem Potential auf die Bühne
brachten im Ensemblespiel wie in ihren Solos, erlebt man nicht mehr jeden
Tag Kurze Zeit danach kam Aki Takase wieder mit ihrer Schriftsteller-Freundin Yoko Tawada und Sven Ake Johanssen: Im Japanischen Kulturinstitut in Köln konnte man den Start ihres neuen Projekts „Bioskop der Nacht“ erleben, eine höchst unterhaltsame anspruchsvolle Mischung aus Improvisation, Dichterlesung und künstlerischer Performance. Nach langen Jahren der Abwesenheit war Niels Henning Orsted Pederson mit seinem Kopenhagener Trio zu Besuch in Viersen bei Ali Haurands Jazz Circle. Anhänger des Dänen kamen aus ganz Deutschland mit der Folge, dass der Saal in Viersen-Süchteln restlos ausverkauft war. Für Anfang März erwartet man dort das Al Foster Quartet. Inzwischen hatte Stefan Heidtmann, Pianist aus dem Oberbergischen, östlich von Köln, sein alljährliches Jazzmeeting Oberberg realisiert, unter anderem mit dem Duo Gabriele Hasler / Roger Hantschel und dem Trio D.R.A. des Vibraphonisten Christopher Dell. Ein neues, nicht alltägliches Duo präsentierte sich mit Joachim Kühn und der Harfenistin Ulla van Daelen aus Köln. Zunächst in der Krefelder Friedenskirche, dem dortigen „Kultur.Punkt“, stellten sie ein Programm zwischen Klassik und Jazz vor, das deutlich machte, dass Klavier und Harfe beide durchaus zusammenpassende „Saiteninstrumente“ sind mit unterschiedlichen Klang- und Gestaltungsräumen. Anschließend präsentierten sie ihr Programm in der außergewöhnlichen Kölner Reihe „Musik in den Häusern der Stadt“, einige Tage Musik mit einer großen Programmbreite in Bürger- und Geschäftshäusern. Im Mittelpunkt des Geschehens der letzten Wochen stand aber die Neuauflage von „jazza r t“, dem Wettbewerb in Federführung des Kölner Stadtgartens und Partnern in Bonn und Düsseldorf, unterstützt vom WDR, unter den rheinischen Musikerinnen und Musikern, bei dem es keine Preisverleihung gibt, sondern ein kleines Festival mit von einer internationalen Jury ausgesuchten Musikern. Drei Kategorien gab die Ausschreibung vor, jazza r t Orchestra „New Colours“, Imaginary Roots & Modernity und Sounds, Grooves and Electronic Beats. 130 Meldungen gingen ein, darunter viele weit über die Grenzen
bekannte Musiker und Projekte. Die Jury suchte nach Neuem, nicht Dagewesenem,
ließ die großen Namen weitgehend zurückstehen. An den
drei Partnerorten, dem Stadtgarten in Köln, der Jazz Schmiede in
Düsseldorf und der Brotfabrik in Bonn kamen dann insgesamt sechs
Projekte zur Aufführung: Das „Dada“-Projekt „Fantasmofonika“
des Studenten Simon Rummel, das Duo Gabriele Hasler & Roger Hanschel,
Katrin Mickiewicz’ „Disguise“, Ralph Beerkirchers „Schiiik“,
Ulla Osters Song-Projekt „What’s New“ und die Groove-Band
„ArtAfOryx“. Nur in Köln ging das Electronic-Projekt
„Radio Köber“ von Cristian Thomé an den Start
wie auch die ausgesuchte jazza r t-Big Band, das Cologne Contemporary
Jazz Orchestra, ins Leben gerufen von Markus Bartelt und Frank Reinshagen.
Sie spielten die Kompositionen von Niels Klein, Markus Stockhausen und
Norbert Stein. Gerade der Letztere glänzte als professioneller Arrangeur
und Orchesterleiter. Wenn auch nicht alle Programmpunkte überzeugten,
zeigte sich die rheinische Szene aber als ein Reservoir voller Qualität,
Kreativität, Energie und neuer Entwicklungen. Kurz bevor dann im Rheinland die fünfte Jahreszeit ausbrach (für alle Nichteingeweihten: der Karneval), feierte der Jazzclub Krefeld, eines der aktivsten Unternehmen dieser Art im Lande, seinen 25. Geburtstag mit rheinischen Musikern wie Olaf Polziehn, André Nendza, Mathias Bergmann oder Stefan Rademacher. Am 9. März folgt das große Geburtstagskonzert mit Dave Liebman und dem Trio des Kölner Pianisten Jürgen Friedrich. Der WDR startete eine auf Dauer angelegte Live-Konzertreihe in den großen Clubs des Landes, im Stadtgarten in Köln, im Domizil in Dortmund und im Bunker Ulmenwall in Bielefeld mit einem Konzert des Quartetts „Sublim“ von Angelica Niescier. Das WDR Fernsehen, das einige Jahrzehnte lang Konzerte im Kölner Subway aufnahm, orientiert sich nun, zwei Jahre nach dessen Schließung, neu und startet neue Aufnahmen in der Düsseldorfer Jazz Schmiede. Viel erwartet dann den Jazzfreund in der Region bis zu den Sommerferien, Europäisches im Rahmen der Musik Triennale Köln Ende April/Anfang Mai, die Jazztage Hilden, das berühmte, auch von Down Beat regelmäßig angepriesene New Jazz Festival Moers über Pfingsten, die Fortsetzung von „Century of Song“ im Rahmen der RuhrTriennale, die Düsseldorfer Jazz Rally, und das Traumzeit-Festival Duisburg und die vielen Konzerte der Jazz-Clubs (e.V.) zwischen Aachen und Dinslaken. Hans-Jürgen von Osterhausen
|
|