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Bekannt, doch unbekannt: Der aus dem umbrischen Perugia stammende Klarinettist und Komponist Gabriele Mirabassi, immer wieder auch Mitglied in Rabih Abou-Khalils Ensemble („The Cactus of Knowledge”, jetzt aktuell „Mortons Foot”), hat seit 1992 eine Vielzahl eigener CDs eingespielt (fast alle auf dem kleinen, in Perugia ansässigen Label Egea) und wurde doch erst jetzt, im Jahre 2003, als eigenständiger Klarinettenkünstler wahrgenommen. Die Vermutung, dass dabei einer erst spät zu eigenem künstlerischen Ausdruck gefunden habe, trifft die Sache sicher nicht; eher wohl ist Mirabassis Werdegang ein Beleg dafür, dass das Publikum meist nur willens und in der Lage ist, den Wert eines Künstlers zu erkennen, wenn eine gewissen Medienpräsenz den Betreffenden „adelt” – nach etwa zehn Egea-Alben führte erst das Erscheinen der CD „Latakia Blend” (2003 – ein außerordentlich brillantes Werk) bei dem weltweit eingeführten Jazzlabel Enja (Winckelmann) zu Porträtartikeln in der Fachpresse.
Dabei bot Mirabassi bereits vom Start weg Außergewöhnliches. Schon die CD „Coloriage” – 1992 gemeinsam mit Richard Galliano auf dessen Initiative hin aufgenommen – ist ein Kleinod neuer Kammermusik. Sie präsentiert Kompositionen des damals noch unbekannten Akkordeonisten, die durch das Klarinettenspiel des Messiaen- und Scelsi-erfahrenen Mirabassi eine klare Gestalt erhalten. Einen Jazzeinfluss in Mirabassis Spiel kann man zu jener Zeit kaum entdecken, allerhöchstens in der eleganten Flüssigkeit seiner Melodielinien. Zwar war Mirabassi schon als Jugendlicher begeisterter Jazzhörer – beim berühmten „Umbria Jazz”-Festival in Perugia war er Stammgast, – doch erst der gute Ruf der „Coloriage”-CD auch im kleinen Kreis der italienischen Jazzmusiker sollte ihn ganz praktisch dem Jazz nahe bringen. Roberto Gatto war der erste Jazzer, der den klassisch ausgebildeten Mirabassi in seine Jazzband holte, und mit dem Jazzer Stefano Battaglio spielte Mirabassi erstmals eigene Kompositionen. 1996 wurde der Künstler in Italien von Musikjournalisten zum „Besten neuen Talent” gewählt und der zeitgenössische Jazz ergriff nun Besitz von Mirabassi. Kenny Wheeler, Marc Johnson, Steve Swallow und John Taylor waren noch in den 90er-Jahren die ersten internationalen Jazzstars, mit denen der Umbrier musizierte. Nach wie vor aber behielt Mirabassi seinen musikästhetischen Zugang als ein Künstler zeitgenössischer Musik – sowohl als Klarinettist mit einem bemerkenswert eleganten, beweglichen und sauberen Ton als auch zunehmend als Komponist, der den kurzen improvisierten Passagen präzise, exquisite Positionen innerhalb eines größeren komponierten Zusammenhanges zumisst. Seine Orientierung auf Essenzielles, auf Flair und Tiefe führte Mirabassi schnell über die Grenzen des Jazz, der herkömmlichen zeitgenössischen Konzertmusik und der regionalen Folklore hinaus. 1998 spielte er mit dem brasilianischen Gitarristen Sergio Assad einige von dessen Kompositionen ein (CD „Velho retrato”), Schätze des dialogischen Musizierens, klingende Nachdenklichkeiten zwischen Verspieltheit und Wehmut, zwischen Melancholie und Ausgelassenheit. Mit der 2001 im Quartett aufgenommenen CD „Una a Zero” vertiefte Mirabassi seine musikalische Orientierung auf Brasilianisches. Mit dieser CD interpretierte er bekannte Songs und Tanzstücke des Choro, jener Musikform, die als Vorgängerin der heutzutage bekannten populären brasilianischen Musikformen gilt. Das Faszinierende dabei: Mirabassi verbindet mediterranes Flair mit brasilianischen Rhythmen zu einer komplexen, aber dennoch leicht und luftig wirkenden, ambitionierten Kammermusik. Keine Retro-Klänge, kein Authentizitäts-Ethno-Ritual, keine Re-Interpretationen von Stücken aus der Folklore-Schatzkiste, sondern Neues, gespielt im Bewusstsein des Bisherigen. Und insofern auch eine Fortschreibung von Tradition. Mit Gabriele Mirabassi erhält der Satz aktuelle Bedeutung, dass es für das Verhältnis von Tradition und Moderne nicht darauf ankomme, in der Asche längst erloschener Feuer zu stochern, sondern darauf, mit jetziger frischer Luft und jetzigem (Brenn-)Material die Glut am Glühen zu halten und neue Feuer zu entfachen. Mit der aktuellen Duo-Aufnahme „Fuori le mura” (Klarinette plus Akkordeonist Luciano Biondini) kehrt Mirabassi symbolisch zu seinen Anfängen zurück – zum faszinierenden Miteinander von Klarinette und Akkordeon. Nun aber nicht mehr als Unbekannter, sondern als einer der profundesten und vielseitigsten Klarinettisten Europas. Eine „Rückkehr” ist diese CD auch noch in einem anderen Sinn: Sie enthält eine Reihe von Kompositionen, die Mirabassi bereits auf anderen CDs offeriert hatte, so beispielsweise Abou-Khalils „Ma Muse M’Amuse”, das traurige Volkslied „Gorizia”, „Um a Zero” (Pixinguinha), Riccardo Zegnas „No Valse” und Mirabassis eigenes Stück „Girotondo”. Allesamt sind sie hier auf „Fuori le mura” mit der unbestechlichen Transparenz eines Klarinetten-Akkordeon-Duos eingespielt und können als eine Art Essenz der Mirabassi-Kunst gelten. Mathias Bäumel CD-Auswahl
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