Anzeige |
|
|
Anzeige |
|
Es gab Zeiten, da waren Jazz-Clubs die angesagtesten Orte der Welt: Von Gangstern und Alkoholschmugglern geführte Nobeldiscos der 20er- und 30er-Jahre, in denen sich die Schönen, Reichen und Mächtigen vergnügten, während Bandleader wie Count Basie oder Duke Ellington ganz nebenbei Musikgeschichte geschrieben haben. Wer sich für die Geschichte des berühmtesten, elitärsten und sagenumwobensten aller Jazz-Clubs – des New Yorker „Cotton Clubs“ (1922/23–1940) – interessiert, sollte sich eine bei Bear Family Records erschienene, nicht ganz billige, dafür aber ganz wundervoll ausgestattete CD-Box besorgen. Von Michael Brooks produziert und von Horst J. Bergmeier und Rainer E. Lotz kommentiert, erzählt „Live From The Cotton Club“ (Bear Family BCD 16340; ISBN 3-89916-013-4) in Ton, Text und Bildern die Geschichte dieses Clubs, mit dem sich bis heute vor allem die Namen zweier Musiker und Bandleader verbinden: Duke Ellington und Cab Calloway. Während seines festen „Cotton Club“-Engagements von Ende 1927 bis Anfang 1931 reifte Duke Ellingtons Band zum Orchester. Hier erst stießen Musiker wie der Trompeter Cootie Williams, Johnny Hodges (Altsax), Barney Bigard (Klarinette) und Juan Tizol (Posaune) zu Ellington, während der Startrompeter Bubber Miley wegen Unzuverlässigkeit gefeuert wurde. Williams, Hodges und Tizol sollten den Ellington-Sound über Jahre und Jahrzehnte prägen – kaum weniger als Ellington, dessen Genie als „the world’s greatest listener“ vor allem darin bestand, die Individualität seiner Musiker zu erkennen und ihnen Kompositionen auf den Leib zu schneidern. Auf Ellingtons „Jungle Sound“ folgte 1931 der Sänger Cab Calloway als Bandleader des „Cotton Clubs“. Bis 1933 stieg er dort zu einer der höchstbezahlten Jazzgrößen der 30er-Jahre auf. Sein „Minnie the Moocher“ war als Jive-Hit nicht nur der „Singnature Song“ des „Hi-De-Ho“-Mannes, sondern auch des „Cotton Clubs“. „Live From the Cotton Club” erzählt im gut 100-seitigen Booklet aber nicht nur von Größen wie Ellington und Calloway, sondern umfassend, wenn auch etwas zu chronologisch, von den weniger berühmten oder gar in Vergessenheit geratenen Figuren des „Cotton Clubs“: Von Hauskomponisten des Clubs wie Jimmy McHugh oder Harold Arlen und von Sängerinnen wie Adelaide Hall, der Stimme von Ellingtons „Creole Love Call“. Von Tänzern wie Earl „Snakehips“ Tucker, der Ellingtons „East St. Louis Toodle-Oo“ in Bewegung verwandelte, und von Lena Horne, die ihre große Karriere als Sängerin und Schauspielerin mit 16 Jahren als Tänzerin der „Cotton Club“-Revuen begann. Der „Cotton Club“ war glamourös, aber auch rassistisch: Rein durften nur weiße Gäste, um sich von Afro-Amerikanern unterhalten und bedienen zu lassen. Selbst einem W. C. Handy, dessen „St. Louis Blues“ im „Cotton Club“ gespielt wurde, soll der Zutritt verwehrt worden sein. Wie ein deutscher Radio-Journalist damals den „Cotton Club“, seine Atmosphäre, seine Musik, sein Publikum und seine Künstler wahrnahm, dokumentiert eine von Michael Brooks entdeckte und hier (CD 1, 1-7) erstmals veröffentlichte Live-Reportage aus dem Jahr 1931. Mit aufgeregter Stimme berichtet darin der Berliner Journalist Hellmut H. Hellmut ein wenig steif, aber ebenso fasziniert von einem Ort, den er als dunkle Kellerbar mit gemischtem Publikum beschreibt – was eigentlich nicht für den „Cotton Club“ spricht. Weil aber im Hintergrund unter anderem die Sängerin Lethia Hill und der „Kapellmeister“ Cab Calloway zu hören sind, muss es sich doch um den „Cotton Club“ handeln. So wie auch manches dafür spricht, dass der deutsche Reporter die tatsächliche Szenerie des „Cotton Club“ für seine Hörer ein wenig „aufpeppt“ und mit Eindrücken aus anderen, nicht segregierten Clubs verknüpft, die für ihn noch das vermeintlich zügellose, unverwässert schwarze Harlem von einst verkörpern. Manches deutet sogar auf eine gewisse (Selbst-) Inszenierung der Szenerie durch den Reporter beziehungsweise die Musiker hin: Warum sollte sonst der Steptänzer und Sänger Eddie Rector bei „The Mystery Song“ auf deutsch „Ach, du heiliger Strohsack!“ brüllen – wenn nicht für den Reporter und sein deutsches Publikum? Ähnlich interessant, selten und schön sind die anderen Aufnahmen der Doppel-CD: Darunter hervoragende, bislang unveröffentlichte Livemitschnitte des Duke Ellington Orchesters aus dem „Cotton Club“ von 1938 (u. a. mit Sängerin Ivie Anderson) und Raritäten wie eine Aufnahme der obskuren, aber hörenswerten Tramp Band, die einst mit Straßeninstrumenten (Kazoo, Waschbrett, Ukulele etc.) Jive-Jazz mit „street credibility“ in den „Cotton Club“ brachte. Claus Lochbihler
|
|