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Als er am 1. Oktober im kalifornischen Rancho Bernardo 84-jährig einem Krebsleiden erlag, war er nur noch Spezialisten ein Begriff. Und doch: Er war in den 40er-Jahren die Seele des Orchesters Woody Herman, ja, mit seinem unverwüstlichen Humor und seinem Spielwitz einer der beliebtesten Musiker der Nachkriegsjahre. In dieser legendären BigBand bildete der Bassist mit dem Schlagzeuger Dave Tough und seinem Nachfolger, dem am 23. 12. verstorbenen Don Lamond, eines der pulsierendsten Rhythmusteams jener Zeit. Nicht nur mit seinem untrüglichen Swing feuerte er das Orchester an, sondern auch mit lauten Lauten. Außerdem rekrutierte er als Talentscout viele der wichtigsten von Woodys Sidemen und schrieb Stücke wie „Northwest Passage“. Kurz, für das Orchester hatte der Musiker kaum weniger Bedeutung als der Leader selbst.
Ein merkwürdiger Zufall wollte es, dass im Jahr 2003, in dem Woody Herman 90 Jahre alt geworden wäre, viele Musiker starben, die zur einen oder anderen Zeit im Orchester des großen Bandleaders spielten, darunter der Basstrompeter Cy Touff, die Tenoristen Bill Perkins, Allen Eager und Don Lanphere und die Posaunisten Jimmy Knepper, Wayne André und Carl Fontana. Unter ihnen war Chubby Jackson Herman wohl am meisten verbunden. Chubby Jackson war Bassist, Komponist, Bandleader, Sideman, Talentscout, Sänger, Instrumentenerfinder, Witzbold, Clubleiter, Organisator, kurzum: ein Tausendsassa, der sich begeistern ließ und andere begeisterte. Ein Kollege hat ihn einmal treffend als den Eddie Condon des modernen Jazz charakterisiert. Schade, dass es so still um ihn geworden war! In den letzten Jahrzehnten war er meist an der Seite seines Sohnes Duffy Jackson zu erleben, seines Zeichens ein Schlagzeuger, der eine Zeitlang im Basie-Orchester arbeitete. Ebenso wie seine Kinder und Kindeskinder allesamt mit Musik zu tun haben, stammte Chubby selbst aus einer musikalischen Familie. Als Sohn von Eltern, die im Vaudeville und am Broadway arbeiten, wuchs er ganz natürlich in der Welt des Showbiz auf. Seinen ersten Schrei stieß er am 25. Oktober 1918 in New York City aus; es sollten derer mehrere folgen, denn sein lauten „Yeahs“, mit denen er seine Kollegen anfeuerte, wurden sein Markenzeichen. Geboren wurde er zwar als Greig Stewart Jackson. Doch bekannt wurde er als „Chubby“, was man als Pummelchen übersetzen könnte. Einmal soll er sogar 263 Pfund gewogen haben. Nach Erfahrungen bei diversen Leadern – Jan Savitt, Raymond Scott, Henry Busse, Terry Shand, Johnny Messner – machte er sich 1941 bei Charlie Barnet einen Namen, der ihn neben Oscar Pettiford als Bassist beschäftigte. Bei Barnet spielten schon Modernisten wie Howard McGhee und Ralph Burns. 1943 kam er zu Woody Herman. Selten trat er bei ihm solistisch in Erscheinung, aber Chubby Jacksons Bass war – das zeigen auch Hits wie „Apple Honey“ – nicht nur ohne Verstärkung problemlos im lautesten Spektakel zu hören, er sorgte für einen ansteckenden Groove , den man so nicht alle Tage hört. Herman war einer der einflussreichsten Orchesterchefs der Jazzgeschichte. Die verschiedenen Phasen seines Orchesters spiegeln bis zu einem gewissen Grad die Entwicklung des orchestralen Jazz wieder. Bekannt wurde es als „Band that plays the Blues“. Unter diesem Motto war sie noch als solides Swing-Tanz-Orchester bekannt, als Chubby Jackson 1943 beitrat. Nicht zuletzt unter seinem Einfluß, beziehungsweise all jener jungen Musiker, die er ins Orchester lotste, darunter zum Beispiel die Arrangeure Ralph Burns und Neal Hefti, nahm es progressive Züge an. Für Woody Herman rekrutierte Jackson unter anderem den Tenoristen Flip Phillips, den Trompeter Pete Candoli, den Drummer Dave Tough und den unvergleichlichen Posaunisten Bill Harris, Chubby Jacksons Lieblingsmusiker. Nach dem Eintritt Chubby Jacksons wurde also aus Hermans hinreichend populärem Orchester ein wirklich großes Jazzorchester. Woody Hermans zum Teil experimentelles Orchester aus der Mitte der 40er-Jahre ging als „First Herd“ in die Geschichte ein. Danach wurden die „Herden“ durchnumeriert. Herman, als Klarinettist und an Johnny Hodges orientierter Altist selbst dem Swing verhaftet, verarbeitete mit den beiden ersten Herds den Bebop und war mit der zweiten „Herde“, der Jackson wieder angehörte, in den späten 40er-Jahren an der Entwicklung des Cool Jazz beteiligt, nicht zuletzt, da im berühmten Saxophonsatz des Orchesters Stan Getz und andere Saxophonisten der modernen Lester Young-Schule beschäftigt waren. Chubby Jackson spielte in den 40er-Jahren auch eigene Platten ein, an denen auch viele Herman-Sidemen beteiligt waren und die ihn als einen der ersten Bassisten zeigen, der längere Soli spielte. Seiner Neigung zum Experiment und zu Blödeleien verdanken wir originelle Aufnahmen mit Temposchwankungen oder Geräuschhintergründen, die damals sehr gewagt geklungen haben müssen. Oft brachte er solche seltsamen Stücke, zum Beispiel „Four Men On A Horse“, auch bei Herman unter. „Tief in unserem Inneren waren wir alle auf eine harmlose Weise verrückt“, hat er über sich und seine Herman-Gefährten einmal erzählt. Außerhalb des Herman-Orchesters erwarb sich Chubby in den späten 40er- Jahren eine Reihe von Verdiensten, die leicht übersehen werden könnten, aber gar nicht so klein waren. Er erfand einen fünfsaitigen Kontrabass, der nach seinen Vorgaben von der Kay Company hergestellt wurde. Er war maßgeblich daran beteiligt, Lennie Tristano nach New York zu bringen, der ja von dort dann einen unermeßsslichen Einfluss ausübte. 1947 leitete Jackson die erste Bebop-Gruppe, die durch Europa tourte. Im gleichen Jahr gründete Jackson einen eigenen Club in Long Island. 1949 gründete er eine Big Band, in der Stars wie J. J. Johnson, Zoot Sims und Gerry Mulligan wirkten. Al Porcino, der in unseren Breiten durch seine BigBand bestens bekannt ist, spielte hier Lead-Trompete. Eigentlich hätte Chubby Jackson die besten Voraussetzungen gehabt, selbst ein Star zu werden. Er nahm gelegentlich Platten auf, spielte ab und zu bei Herman, doch der eigentliche Durchbruch kam nicht. Dafür moderierte er zehn Jahre lang, zunächst in Chicago, dann in New York eine Fernsehshow für Kinder, die Chubby’s Rascals hieß und für die er auch eine BigBand leitete. Nach seiner Übersiedelung nach Florida betätigte er sich in den 70er-Jahren als JazzDisc-Jockey. Weitere Stationen waren auch Las Vegas, Los Angeles und schließlich das kalifornische Rancho Bernardo. Zwar war er in all den Jahrzehnten auch noch Musiker, doch mehr als Legende denn als aktiver Künstler bekannt. Als er starb, konnte man im Internet viele Stimmen, vor allem die seiner Kinder lesen, die bestätigten, dass er bis zuletzt ein glückliches Leben führte und seiner Lebensmaxime „Love is the answer“ stets treu blieb. Es ist schwer zu sagen, warum sich Chubby Jackson in den letzten 50 Jahren so sehr in seiner Bedeutung zurücknahm. Einiges deutet daraufhin, dass sich die liebenswürdige und humorvolle Persönlichkeit selbst zurücknahm und nicht mehr an vorderster Front der JazzSzene mitmischen wollte. Doch das ist unwichtig. Chubby Jackson war schon längst Teil der Jazzgeschichte, als ein wichtiger Bassist und stets begeisternder und von der Begeisterung getragenes Allroundtalent des frühen modernen Jazz, ohne den die BigBand-Geschichte ganz anders ausgesehen hätte. Marcus A. Woelfle |
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