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Wenn ich von meinen Reisen zurückkomme, schaue ich immer zunächst nach meinen Topfpflanzen, meiner netten Nachbarin, meinem E-Mail-Eingang und den deutschen Jazz-Charts – in dieser Reihenfolge. Am Ende des letzten Sommers erlebte ich dabei einige unangenehme Überraschungen: Die Topfpflanzen waren verlaust, die Nachbarin von einem Grippevirus befallen, der E-Mail-Eingang Spam-verstopft und die Jazz-Charts von skandinavischen Sängerinnen besetzt. Nun gut, der Sommer ist eine leichtlebige Zeit, ein bisschen verantwortungslos, die Selbstkontrolle ist reduziert, Mikroben haben Hochkonjunktur, da kann schon mal was aus dem Ruder laufen. Als ich mich dann aber durch die Stöße aktueller Jazz-Promo-CDs zappte, begann ich mir Sorgen zu machen: zumindest der Sängerinnen-Virus schien sich dauerhaft einnisten zu wollen. Auf acht von zehn CDs trällerte, gluckste, hauchte, flötete oder sumste irgendeine nordische Sirene namens Sunna, Sunja, Svenja oder Svanje. Es war fast, wie wenn man im neuen Ikea-Katalog blättert: Freyja, der Garderobenständer aus Stahl und Lack. Hedvig, der Hängeleuchtenschirm aus Reispapier. Rigmor, das Stuhlkissen aus 100 Prozent Baumwolle mit Polyether-Füllung. Solveig, die Banktruhe aus massiver Kiefer mit 22 Prozent Flachs im Bezug. Verstehen Sie mich nicht falsch: Ich habe gar nichts gegen skandinavische Mädchennamen. Nur: Irgendwie spukt mir halt immer noch die alte Idee im Kopf herum, im Jazz gehe es mehr so ums Wesentliche..., um improvisatorische Schöpfungskonzepte, um Weltentwurf und Flammenschrift. Stattdessen: alte Hollywood-Schmonzetten und süßliches Kleinmädchengesäusel und ein paar unverbindliche Cocktail-Töne aus der gestopften Trompete. Da will man doch kein Jazzkritiker mehr sein. Ob das Arbeitsamt eine Umschulung bezahlt? Vielleicht zum Möbelfachverkäufer? Rainer Wein |
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