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Der in Eberswalde lebende Grafiker Matthias Schwarz ist in der Jazzszene kein Unbekannter, zumindest in der ostdeutschen Szene nicht. Etwa ein Jahr lang zierten seine Linol- und Holzschnitte die Titel der gedruckten Monatsprogramme des Jazzclubs Neue Tonne Dresden, seine Kunst begleitete seit längerem schon die Eberswalder Jazzprojekte „Jazz in E.“, seit 1997 veröffentlichte Schwarz mehrere Kalender und Künstlerbücher mit seinen Schnitten, in bisher mehr als zehn Einzel- und Gruppenausstellungen waren seine Werke zu sehen. Die Zahl der Jazzmusiker, die Schwarz in Holz oder Linoleum schnitt, scheint kaum noch überschaubar. Dabei ist klar: Schon allein die Wahl seiner künstlerischen Technik, mit der Schwarz ganz speziell dem Phänomen Jazz zu Leibe rückt, macht seine Kunst zu etwas Besonderem – wo hätte man sonst noch Linol- und Holzschnitte zum Jazz gesehen? Betrachtet man den Reigen der Schwarz’schen Schnitte zum Thema Jazz, nimmt man in dreierlei Hinsicht ein Paradoxon wahr. Zum ersten: Das künstlerische Verfahren des Schnittes steht dem künstlerischen Verfahren des Jazz konträr gegenüber. Zum zweiten: Das ästhetische Wesen der Schwarz’schen Kunst steht dem künstlerischen Wesen des Jazz, speziell dem des zeitgenössischen Jazz, diametral gegenüber. Und drittens: Die künstlerische Gestaltung der Linol- und Holzschnitte steht der Ideologie des zeitgenössischen Jazz entgegen. Was bedeuten diese drei Aspekte genauer? Matthias Schwarz schneidet aus einem homogenen, kompakten Ausgangsmaterial etwas weg; im Übriggebliebenen liegt die künstlerische Botschaft. Gerade anders herum verhält es sich dagegen beim Musizieren: In die Stille, in die Leere, in das Nichtvorhandene wird etwas eingefügt. Wenn man unter Musik „das so in dieser Weise noch nicht Gehörte“ versteht, eine Auffassung, die sehr anregend sein kann, gehen von den Schwarz’schen Druckgrafiken verblüffende Impulse aus. Man stelle sich ein „weißes Rauschen“ vor, und die Instrumente nähmen beim Spielen bestimmte Frequenzen weg, sie entfernten gewissermaßen aus dem kompakten Vorhandensein aller denkbaren Frenquenzen zielgerichtet einzelne Frequenzen und gar ganze Frequenzbereiche: so entstünde Musik à la Matthias Schwarz. Zeitgenössischer Jazz ist Offenheit, Flüchtigkeit, Wandel, Bewegung, Schnelligkeit, Dynamik, Improvisation. Matthias Schwarz dagegen entwickelt Statisch-Zeichenhaftes, Intim-Abgeschlossenes (nicht zufällig haben all seine Linol- und Holzschnitte stets eine Umrandung, die visuell eine Abgeschlossenheit schafft), ja sogar Raffiniert-Possierliches. Und so sind die Schwarz’schen Werke nichts anderes als karge, auf wenige Linien und Flächen reduzierte Ikonen, ja: fast Signets des zeitgenössischen Jazz in Schwarz-Weiß – und manchmal in der Farbe des Teufels, in Rot. Worin besteht das Wesen des zeitgenössischen Jazz? Bei dem, der diese Frage beantworten will, bei dem dreht sich das Denken herkömmlicherweise um die in diesem Zusammenhang immer wieder bemühten Begriffe wie Individualität und Authentizität. Das Solo im zeitgenössischen Jazz gilt als Klang gewordene „Verkörperung“ des Ideologems vom authentischen Ausdruck der genialischen Jazzmusiker-Individualität. Jazzbezogene Kunst, vor allem das Meiste aus der Jazzfotografie, bedient diese Auffassung. Jazzfotografen versuchen häufig, das Genialisch-Schöpferische des jeweiligen Künstlers visuell zu vermitteln, entweder mittels symbolistischer Portraits, in denen etwa ein Saxophonist sinnierend wie ein Philosoph dargestellt wird, oder durch Fotos, die dem Prozesshaften des Musikzierens und dessen spiel-psychischen Aspekten auf der Spur sind. Nicht so jedoch Schwarz mit seinen Linol- und Holzschnitten. Im Gegenteil – die von Schwarz dargestellten Musiker sind jeder Individualität beraubt, ja, sie sind noch nicht einmal durch äußere Indizien personell kenntlich gemacht. Und dennoch sind sie faszinierend. Wandelt man an den Linol- und Holzschnitten in einer Schwarz-Ausstellung entlang, entsteht tatsächlich ein Eindruck wie vor Ikonenwänden in orthodoxen Kirchen. Auch die Ikonen dort erzählen nichts über die wirklichen Individualitäten der Heiligen, nichts über deren reales Leben, nichts über Tätigkeiten, Aufgaben, Leiden oder Erlebnisse. Von der Vermittlung von Authentizität ganz zu schweigen... Trotzdem strahlen sie das Flair christlichen Daseins aus, sind mit spezifischer Bedeutung aufgeladene Elemente der visuellen Ausstattung christlicher Kultur. So wie die Schnitte von Matthias Schwarz, die ein einzigartiges Flair des zeitgenössischen Jazz vermitteln, ohne dessen Üblichkeiten zu bedienen. Matthias Schwarz stellt mit seinen Schnitten überraschende Fragen an unser Musikdenken, er drängt mit ihnen auf die Erweiterung legitimer künstlerischer Ausdrucksmöglichkeiten und attackiert kunst-ideologische Voreingenommenheiten – kann es etwas Zeitgemäßeres und dem Thema des zeitgenössischen Jazz Angemesseneres geben? Wohl kaum. Mathias Bäumel |
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