Jan Garbarek nimmt lieber sein Instrument in die Hand und spielt, als
große Worte zu machen. Im noblen Winter-sportort Lech, wo man sich
neuerdings mit Jazzkonzerten gegen die laute Popwelt Ischgls abgrenzen
will, traf Klaus-Peter Mayr im April 2006 den 59-jährigen Saxophonisten
aus Norwegen zum Interview.
Mayr: Sie spielen seit langer Zeit mit dem Bassisten
Eberhard Weber und dem Pianisten Rainer Brüninghaus zusammen. Was
gibt Ihnen das?
Garbarek: Die Antwort ist sehr einfach: Sie sind großartige,
wunderbare Musiker. Außerdem spüren sie, was ich fühle
und steuern in der Band bei, was ich gerne höre. Ich mag, wie sie
meine Musik spielen.
Mayr: Nützt sich diese Zusammenarbeit nicht auch
irgendwann ab?
Garbarek: Nein. Musiker dieses Kalibers haben eine Menge
anzubieten. Ich zähle auf das, was sie einbringen, sie bringen meine
Musik weiter. Wenn ich Menschen finde, die ich mag, dann wird mir mit
ihnen nicht so schnell langweilig.
Mayr: Bei ihren Konzerten mit der Jan Garbarek Group
stellen Sie vor allem Musik der aktuellen CD „In Praise of Dreams“
vor. Wie sehr prägt norwegische Volksmusik Ihre spezielle Art von
Jazz?
Garbarek: Ich greife nicht bewusst auf Melodien aus der
norwegischen Volksmusik zurück – obwohl es sich in vielen Stücken
danach anhört. Meine Musik besteht aus Elementen, die ich nicht einmal
definieren kann, sondern die ich allein fühle. Dabei kommt zwangläufig
das aus mir heraus, was ich einmal aufgesogen habe – allerdings
in einer transformierten Weise.
Mayr: Bedeutet das, Sie sind vor allem von der Musik
ihrer Heimat inspiriert?
Garbarek: Wenn man – so wie ich – 60- Jahre
alt ist, dann hat man Musik von der ganzen Welt gehört. Es ist ja
eine solch kleine Welt inzwischen, man ist heutzutage allem möglichen
ausgesetzt. Deshalb werde ich von Folk-Musik vieler Länder beeinflusst,
nicht nur von meiner Heimat.
Mayr: Sie spielen sowohl Sopran-, als auch Tenorsaxofon.
Wann greifen Sie zu welchem Instrument? Ist das mit bestimmten Gefühlen
verbunden?
Garbarek: Nein, das ist bei mir keine Frage des Gefühls,
sondern des Klangs. Wenn ich mit dem Hilliard-Ensemble zusammenarbeite,
passt das Sopran besser zu den Tenor- und Countertenor-Stimmen. Spiele
ich beispielsweise mit dem tunesischen Oud-Virtuosen Anouar Brahem, greife
ich zum Tenorsaxofon – weil es sich besser in den Sound einpasst.
Mayr: Warum ist skandinavischer Jazz in letzter Zeit
so erfolgreich geworden?
Garbarek: Da müssen sie eigentlich die Hörer
fragen, ich weiß das nicht. Ich denke aber, es gibt eine Menge Gründe,
nicht nur eine spezielle Ursache. In Norwegen könnte es an der guten
Musikausbildung liegen. Wir haben drei, vier gute Schulen und damit hervorragend
ausgebildete junge Musiker. So viele, dass es gar nicht genug Arbeit für
alle gibt.
Mayr: Beziehen die jungen Musiker sich auch auf norwegische
Traditionen?
Garbarek: Im Gegenteil, die Jungen haben nichts am Hut
mit Folk, sie hassen das geradezu. In der Jazz-Szene sind quasi alle Stile
präsent. Jeder geht einen individuellen Weg – nicht den norwegischen
Weg. Das sind solch gute Musiker, die haben etwas Eigenes anzubieten.
Mayr: Sie haben neulich ein Open-Air-Konzert in den
Bergen Österreichs, genau gesagt im Nobel-Skiort Lech gespielt. Wie
fühlten Sie sich dort oben, weit weg von gewohnter Konzertsaal-Atmosphäre?
Garbarek: Sehr geerdet, weil es für mich überhaupt
nichts Ungewöhnliches war. Schließlich habe ich auch ein Haus
in den Bergen Norwegens. Dort schaut es ähnlich spektakulär
aus wie in Lech. Neu war für mich allerdings ein Open-air-Konzert
im Schnee. Sonst spiele ich unter freiem Himmel nur südlich der Alpen
– wo es schön warm ist.
Das Interview führte Klaus-Peter Mayr
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