Anzeige |
||
Anzeige |
|
Jetzt ist es raus: Der Jazz ist an allem schuld. Zum Beispiel daran, dass in Deutschland die Arbeitsplätze fehlen. Denn wo bitte sollen die Menschen noch arbeiten, wenn alle potentiellen Arbeitsstätten als Jazzbühnen missbraucht werden? Sei es die Brotfabrik in Frankfurt oder das Pumpwerk in Wilhelmshaven: Brot gebacken und Wasser gepumpt wird dort längst nicht mehr. Stattdessen backen die Jazzmusiker da ihre kleinen Brötchen und pumpen swingende Sound-Energie ins Publikum. Und nach und nach legt der Jazz sie alle still: die Kühl- und Treibhäuser, die Wasser- und Elektrizitätswerke, die Brauereien und Mälzereien, die Bahnhöfe und Gutshöfe, die Fabriken, Lagerhallen, Schreinereien und Machereien jeder Art. Aus Lokschuppen werden Jazzschuppen, aus Getreidemühlen Bluesmühlen. Nicht einmal Stellmachereien, Kesselhäuser und Kühlschiffe sind vor der groovenden Übernahme sicher. Längst wimmelt es in Deutschland von Kulturfabriken, Kulturbahnhöfen, Kulturschmieden, Kulturbrauereien, auch reine Kulturkirchen gibt es schon. Nicht zu vergessen all die rockenden Bunker, Bastionen, Zitadellen und Kasernen – auch bei der kriegerischen Zunft sind die Arbeitsplätze rar. Besonders funky klingt es aus den Schlachthöfen. Nach Schweinepest, Rinderwahn und Hühnergrippe ist es ja kein Wunder: Die Schlachthöfe sind ausgemustert, von Schleswig-Holstein bis Oberbayern wird dort nur noch gejazzt wie die Pest und gerockt wie im Wahn. Doch sehen wir der Zukunft ins Auge: Wenn die Politik den Trend umkehren will, wird die Kultur ihrerseits ihre heiligen Hallen für neue Fabriken, Büros und Werkstätten opfern müssen. Dann heißt es bald: Gewerberäume zu vermieten im Alten Konzerthaus, in der Alten Philharmonie und im Alten Jazzkeller. Rainer Wein |
|