Anzeige |
|
|
Anzeige |
|
Traditionell wendet sich der neuntägige Kemptener Jazzfrühling in der zweiten Hälfte den moderneren Spielarten zu. Dieses Jahr standen die vier letzten großen Konzerte im Kornhaus eigentlich unter dem Motto „Musikalische Weltreise”. Von Indien (Sigi Schwabs Percussion Project) über den Nahen Osten (Rabih Abouh-Khalil) und Spanien (Gerardo Núnez) sollte es nach Afrika (Jean-Luc Ponty & his group) gehen. Doch genauso gut hätte man von einem Festival der Saiten sprechen können. Sie dominierten nach den vielen Bläserklängen bei den Oldtime-Jazz- und Blues-Abenden der ersten Festival-Hälfte. Die interessantesten Konzerte lieferten JazzRock-Veteran Jean-Luc Ponty mit seiner elektrisch verstärkten und stark klangverfremdeten Geige und der Oud-Virtuose Abou-Khalil ab. Von dem Libanesen weiß man inzwischen, dass er die Kerne der arabischen und der westlichen Musik freizulegen und zu verschmelzen versucht. Im Zusammenspiel mit dem deutschen Pianisten und Saxophonisten Joachim Kühn gelang es ihm auf anregende und bisweilen verblüffende Weise. Gespannter war das Publikum auf Jean-Luc Ponty, der sich sowohl was Plattenveröffentlichungen als auch Konzerte anbetrifft, recht rar macht. Im Grunde genommen ist sich Jean-Luc Ponty über 30, 40 Jahre hinweg treu geblieben. Was im Jazz nicht ganz ungefährlich ist, weil sich in drei Dekaden einiges entwickelt und viel verändert. Da könnte ein Konzept aus den 70er-Jahren wie ein alter Hut wirken. Damals hat der Franzose den Jazzrock mit auf den Weg gebracht. Was vor allem an seinem exotischen Instrument lag, der Geige. Und natürlich an phantasievoller Musik. Dem Jazzrock ist Ponty, inzwischen 63 Jahre alt, immer noch verhaftet, wie das Konzert zum Ende des Festivals zeigte. Aber es ist auch etwas passiert, was die Musik von Ponty veränderte, besser gesagt bereicherte. Anfang der 90er-Jahre kam er in Kontakt mit westafrikanischen Musikern und lernte deren polyrhythmische Klangkonzepte kennen. Vorsichtig hat er sie in seinen Jazzrock eingebaut. Außerdem spielen seit vielen Jahren zwei junge westafrikanische Musiker in seiner Band mit und mischen ihren speziellen Rhythmus und Sound bei: der Bassist Guy Nsangué Akwa und der Perkussionist Taffa Cissé. Kurz und gut: Jean-Luc Ponty hat eine hervorragend aufeinander eingespielte Band, die nicht nur sichtlich viel Spaß an ihrer Musik hat, sondern auch faszinierenden Jazz macht. Vor allem Bassist Akwa, der aberwitzige Soli drauf hat und Schlagzeuger Thierry Arpino legen ein immer pulsierendes, dichtes und meist recht komplexes Rhythmusgeflecht, das Percussionist Cissé geschickt verfeinert und mit weiteren Klängen bereichert. Darüber tobt sich Ponty mit der Geige aus. Seine Melodien, meistens ein- und auch mal zweistimmig, fesseln nach wie vor, weil er ein begnadeter und virtuoser Melodienerfinder ist. Und weil er aus vielem schöpft, was die Jazzgeschichte bereitstellt: Da klingt mal ein wenig Stéphane Grappelli durch, der große Swing-Geiger, da blitzen John Coltrane und sein Bebop auf, da suhlt sich Ponty in der kräftigen Sprache des Jazzrock. So war es nur logisch, dass Ponty bei der Stückauswahl einen großen Bogen schlug von der „Imaginary voyage“ aus dem Jahr 1976 über „Firmament“ (2001) bis hin zu aktuellen Kompositionen. Als starker Gegenspieler bei den Improvisationen wirkte der junge Franzose William Lecomte an den Keyboards, der ansonsten den Elektrik-Sound prägte. Jean-Luc Ponty ist in den vergangenen 15 Jahren sehr zurückhaltend beim Veröffentlichen neuer Platten gewesen. Der Ehrgeiz des Geigen-Meisters ist offenbar kleiner geworden. Auf der Bühne freilich sprüht er mit seiner jungen Band immer noch vor musikalischer Energie und virtuosen Einfällen. So kann er sich weiterhin treu bleiben. Der Beginn des Kemptener Jazzfrühlings ist gewöhnlich der Oldtime-Jazz- und Blues-Abteilung gewidmet. Zweimal wurden dabei Louis Armstrong und seine Musik in den Mittelpunkt gerückt. Etwas Besonderes hat sich beispielsweise die „Louis Armstrong Revival Band“ um den Posaunisten Alexander Katz einfallen lassen: Katz holte sich gleich drei technisch versierte Trompeter ins neunköpfige Ensemble, um die Soli von Armstrong dreistimmig nachspielen zu lassen. Ein beeindruckendes Hörerlebnis; im Laufe eines Abends allerdings nützt sich dieser Effekt doch etwas ab. Da entschädigten die Vokal-Einlagen von Trompeter Thomas Lange: Er imitierte Armstrongs heiseren Gesangsstil fast perfekt. Mit solch traditionellem Jazz lassen sich in Kempten auch bei
der 22. Auflage des Festivals die Säle füllen – allerdings
nicht mehr ganz so mühelos wie noch vor wenigen Jahren. Waren früher
diese Konzerte schon lange vorher ausgebucht, werden nun regelmäßig
auch an der Abendkasse noch Restposten an Tickets feilgeboten. Einzig
eine der beiden Blues-Galen war von vornherein ausverkauft, als nämlich
die phänomenale Sängerin Lilian Boutté und der Boogie-Pianist
Christian Willisohn auftraten, beide Stammgäste und beim Kemptener
Publikum besonders beliebt. Bisweilen hat man überhaupt den Eindruck,
es braucht nur ein farbiger Musiker oder Sänger die Kemptener Bühne
zu erklimmen, und schon tobt der Saal. Beim Auftritt der drei stimmgewaltigen
Sänger Butch Williams, Brenda Boykin und Ron Williams bei der Blues-Gala
Nummer zwei jedenfalls kochte der Kornhaus-Saal regelrecht. Auch die Jackson
Singers brachten die vielen Zuhörer in der St.-Mang-Kirche mit Gospels
und Spirituals gehörig in Bewegung. Nach einer längeren Pause
solcher Musik war im Vorfeld nicht klar gewesen, ob diese Art von Gotteslob
noch genügend Publikum anziehen würde. Die gute Resonanz freute
die Veranstalter. In der Avantgarde-Schiene präsentierte zunächst
der Tubist und Serpentspieler Michel Godard mit einem All-Star-Quintett
(„Cousins Germains“) eine zeitgenössische Facette des
europäischen Jazz. Der Franzose brachte Bläser aus Österreich
und Deutschland zusammen auf die Bühne (darunter die Saxophonisten
Christof Lauer und Wolfgang Puschnig), die als gemeinsamen musikalischen
Vorfahren die europäisch-zivilisierte Variante des Free Jazz haben,
dabei aber ihre persönlich profilierte Eigenart und Eigenständigkeit
bewahren. Denn jeder ist ein Spieler der unbekannten Melodien, ein Individualist
des eigenen Tons, ein kühner Lotse in reißenden Musikgewässern
abseits des Mainstream. Bands, die auf dem Avantgarde-Feld des Jazzfrühlings ackern, locken in der Regel um die 100 Zuhörer an. Bei den Konzerten der modernen Jazz- und Weltmusik-Abteilung hielt sich der Zuspruch ebenfalls in Grenzen. Nur Altstar Jean-Luc Ponty sorgte am Ende des Festivals nochmals für einen fast ausverkauften Saal (rund 500 Zuhörer). Der Publikumsandrang bei den vielen Kneipen- und Club-Konzerten war mal mehr, mal weniger groß. Insgesamt wurden rund 10.000 Zuhörer gezählt, was Festival-Chef Hansjürg Hensler am Ende sehr zufrieden stimmte. Immerhin liegen die Zahlen in etwa derselben Höhe wie in den vorigen Jahren. Klaus-Peter Mayr |
|