Anzeige |
|
|
Anzeige |
|
Mit Jackie McLean verliert der Jazz einen seiner größten Altsaxophonisten, einen Musiker, dessen Spiel oft unbequem und immer intensiv und aufrichtig klang. „Mögen Sie Jackie McLean?“ könnte man in Paraphrase eines bekannten Romans fragen und die vielen treuen Fans wären erstaunt wie viele Jazzer ihn nicht mögen. McLeans Spiel klang oft – gemessen an den Konventionen des Bebop, mit denen er aufwuchs – scheinbar schlicht laut und falsch, doch das bravourös und faszinierend intensiv. Seine Improvisationen schienen aus einer Gießkanne voller ätzender Säure zu kommen. Ihn zu hören kann daher auch wehtun, aber doch auf so eine subtile Weise, dass dies heute – nach 40 Jahren weitaus stärkeren Tobaks aus der Avantgarde – kaum jemand mehr wahrzunehmen scheint. Seine Unerquicklichkeiten wirken daher so unerbittlich, weil er sie im Umfeld wohlgestimmter, tonal und swingend agierender Rhythmusgruppen servierte. Und das ansatzweise schon in den 50er- Jahren. So gut wie jeder andere Jünger Birds fand zu konzilianteren Tönen. Ist man als Be- oder Hard-Bop-Freund nun Masochist, wenn man Jackie McLeans Spielweise trotzdem goutiert, statt lieber gleich Alben des sonnigeren Cannonball Adderley, des „straighteren“ Sonny Stitt oder des ausgeglicheneren Gigi Gryce aufzulegen? Vielleicht ist man auch nur Wahrheitsfanatiker. Denn fraglos bekundete McLean mit seinem beißenden, berstenden Sound und um Mikrotöne haarscharf an der temperierten Stimmung vorbei mit jedem Ton intensives, aufrichtiges Erleben. Mit seinen nuancierten, beseelten Schreien gaukelte er uns jedenfalls keine Heile-Welt-Nettigkeiten vor. Jackie McLean erblickte am 7. Mai 1931 in Harlem das Licht der Welt. Sein Vater spielte Gitarre bei Tiny Bradshaw. Sein erstes Saxophon war ein Sopran, doch das war zu jener Zeit noch ein Oldtime-Instrument, hatte im modernen Jazz nichts zu vermelden und wurde von McLean bald ad acta gelegt. Mit seinem Freund Sonny Rollins musizierte McLean 1948 bis 1949 in einer Harlemer Band. Sein Mentor war der Pianist Bud Powell. Durch Powell lernte er Charlie Bird Parker kennen, ein Freund und der größte Einfluß in seiner Jugend. Wie Brian Priestley schön formuliert, reflektiert McLeans Stil „eigenständig verfremdet den von Parker, indem Intensität Eleganz ersetzt und eine geradlinige Erkundung von Neuland wichtiger ist als die Harmonielehre“. Es ist aber auch klar, wenn man Jackie McLeans kraftvollen, expressiven Sound hört, dass er, wiewohl Altist, von Tenoristen geprägt wurde. „Dexter Gordon ist dafür verantwortlich, dass ich Musiker werden wollte. Ich hörte Bird nach Dex.“ (Gemeinsame Aufnahmen für Steeplechase (1973) erlauben uns, diesen Zusammenhang akustisch nachzuvollziehen.) In den späten 40er-Jahren spielte McLean mit Thelonious Monk und
kam auf Empfehlung von Bud Powell zu Miles Davis. So machte er bei Davis
im Alter von 19 schon seine ersten Aufnahmen („Dig“). Ab 1955,
da war er schon 24, kamen erste eigene Alben. Viele davon erschienen auf
dem Label Prestige. Sehr wichtige Stationen für die musikalische
Entwicklung Jackie McLeans waren Mitte der 50er-Jahre Charles Mingus und
Art Blakey’s Jazz Messengers. „Ich klang ja nie wirklich wie
Bird“, erklärte McLean einmal, „Es war mir egal, wenn
Leute meinten, ich kopiere ihn. Ich liebte Birds Spiel. Aber Mingus war
derjenige, der mich davon abbrachte und mich zwang einen individuellen
Sound und ein eigenes Konzept zu haben.“ Ab 1959 nahm er etwa ein Dutzend Alben für das Label Blue Note
auf. In dieser Zeit modernisierte er seinen Stil zunehmend. War zuvor
nach eigener Aussage Dexter Gordon sein Haupteinfluß gewesen, ließ
er sich nun auch von John Coltrane und Avantgarde-Musikern beeinflussen.
Vom Alter her gehörte Jackie Mclean ja auch in die Generation von
Eric Dolphy und Ornette Coleman, was man leicht vergisst, weil er ja schon
im zarten Alter mit den wesentlich älteren Beboppern gespielt hatte.
Programmatisch ist der Titel seines 1962er Albums „Let Freedom Ring“,
das einen rundum erneuerten Jackie McLean zeigt. Man kann in Jackie McLeans
Musik der 60er-Jahre, etwa in Stücken wie „Melody for Melonae“
oder „Hipnosis“ orientalisierende Züge erkennen. Das
trifft auch bei Stücken zu, die seine Sidemen komponiert haben, zum
Beispiel „On The Nile“, das der Trompeter James Tolliver zu
McLeans Album „Jacknife“ aus dem Jahr 1965 beisteuerte. Das
Orientalische lag natürlich spätestens seit Yusef Lateef und
John Coltrane im Geist der Zeit, doch wird McLean selten in diesen exotischen
Zusammenhang gesehen. Dabei hat sein Spiel die Intensität eines Schlangebeschwörers,
die Inbrunst eines Muezzins. Zu einem „Weltmusiker“ im heutigem
Sinne wurde McLean trotzdem nie, wiewohl seine Musik immer wieder Bezüge
zur anderen Kulturen darstellte, etwa „Rhythm Of The Earth“
1992 zu dem im westafrikanischen Mali lebenden Dogon-Volk.1968, als sein
Vertrag bei Blue Note auslief, begann Jackie McLean an der Universität
zu Hartford zu unterrichten. Er lehrte Jazz, afroamerikanische Musik,
afroamerikanische Geschichte und Kultur. Er begründete die afroamerikanische
Musikabteilung der Universität, die später nach ihm benannt
wurde. In diesem Zusammenhang darf erwähnt werden, dass Jackie McLean
weiß war, seine Ästhetik aber gänzlich von schwarzen Kollegen
und Freunden geprägt war. Der Gründer und Leiter des Jackie
McLean Institute of Jazz gründete mit seiner Frau, der Schauspielerin
Dollie McLean, auch das Artists Collective, eine Art Kommunikationsforum
und Kunstschule, die in erster Linie für Jugendlich in Nöten
da war. McLean soll ein bescheidener Mann gewesen sein, der mit seinen
Studenten auch Jahrzehnte nach der Ausbildung gute Beziehungen behielt.
Er sah seine Rolle darin, den Jazz der 50er- und 60er-Jahre heutigen Künstlern
zu überliefern. Marcus A. Woelfle
|
|