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Jazzzeitung

2007/02  ::: seite 1

titelstory

 

Inhalt 2007/02

Inhaltsverzeichnis

STANDARDS

Editorial / News / break // kurz, aber wichtig
jazzle gmacht: Die Kopfgeburten des Jazz
no chaser: Der Piano Man (2)
jazzfrauen: Sarah Vaughan
Farewell: Abschied von Alice Coltrane und Leroy Jenkins / Oscar adé!


TITEL

Jazz-Handelszone
Beobachtungen auf der Bremer Jazzmesse


DOSSIER
- Fußwärmer und Knochenschüttler
Die Münchner Dixieland-Bewegung


BERICHTE
/ PREVIEW
Joachim Kühn und Ornette Coleman in der Philharmonie Essen || „Women in Jazz“ im verflixten zweiten Jahr || Zu Besuch bei der 39. Arbeitsphase des BuJazzO


 PORTRAIT / INTERVIEW
Baritonsaxophonist Gerry Mulligan || Holly Cole || Susi Hyldgaard spricht über ihre Band in die neue CD || Pianist Leonid Chizhik || [re:jazz] || DEPART

 JAZZ HEUTE
Feature-Ring
Dresden


 PLAY BACK / MEDIEN

CD.
Das arabische Konzept der Verzückung
CD.
CD-Rezensionen
CD.
Analog - Digital
CD.
Critics Choice
CD. Scheffners Liste
DVD. DVD-Rezensionen
Bücher:
Neue Jazzbücher auf Englisch || Julio Cortazar: Der Verfolger
Noten. Volkmar Kramarz: Die PopFormeln und anderes


 EDUCATION
Ausbildung. Ausbildungsstätten in Deutschland - Fortbildungen, Kurse (pdf) (62 kb)
Abgehört 48. Teil 2: Keith Jarrett und Brad Mehldau improvisieren über „Prism“
Jazz macht artig
Semesterabschlusskonzerte der Hochschule für Musik Köln
Jugend jazzt:
„Jugend jazzt“ kommt nach Halle

Jazz-Handelszone

Beobachtungen auf der Bremer Jazzmesse

Es gibt die Fama vom Jazz, der sich ins Out gespielt hat. Nach dem Siegeszug des Beat als Tanzmusik hätten Bebop und schließlich Freejazz die Clubs leergefegt. Mitschuld an diesem Fiasko trügen aber auch die Traditionalisten, die mit ihrer immer gleichen Sauce aus Swing und Standards das Publikum zu Tode gelangweilt hätten. Was ist dran, an dieser Legende von der Bedeutungslosigkeit des Jazz, in einer Zeit, in der Roger Cicero mit einer Jazznummer Deutschland im Grand Prix vertritt, in der Norah Jones mit Jazzsongs zur Cash Cow ihrer Schallplattenfirma avanciert und in der ein Konzertbesuch bei Diana Krall zum Statussymbol für Mercedesfahrer – männlich, ledig – wird. Jazz ist heute Pop – aber was geschieht mit den anspruchsvolleren Konzepten des Jazz?

Mathias Eick Band. Foto: Frank Pusch

Bild vergrößernMathias Eick Band. Foto: Frank Pusch

Seit einem Jahr hat der Jazz eine eigene Messe, die jazzahead in Bremen, und die anspruchsvollen „Jazz-Produkte“, die dort gehandelt werden, sind einen ausführlichen Messerundgang wert, belegen sie doch die Lebendigkeit und Vielfalt der aktullen Szene. Beginnen wir mit Altmeister Joe Zawinul: Der erhielt am Eröffnungsabend den mit 15.000 Euro dotierten jazzahead-Skoda Award. Da lag es auf der Hand, gemeinsam mit ihm ein paar Jahre zurückzugehen und einen Blick auf die Startsituation eines jungen europäischen Musikers in der Nachkriegszeit zu werfen. Damals war Zawinul froh – so erzählte er im Star-Talk nach dem Preisträgerkonzert – zusammen mit dem heutigen österreichischen Bundespräsidenten Thomas Klestil gegen Gage in einer Hillbilly-Band spielen zu können – allerdings war nicht sein Klavierspiel gefragt, sondern sein Akkordeonspiel. Das Bild der Frankfurter Würstchen und des Brötchens, das es nach dem Konzert für die jungen Musiker gab, steht dem heute 75-jährigen Musiker noch immer plastisch vor den Augen. Wenige Jahre später – die Zeiten waren schon etwas besser geworden – bekam Zawinul ein Stipendium für Berklee/USA, das er, dort angekommen, gar nicht wahrnahm, weil ihn Maynard Ferguson vom Fleck weg engagierte. Innerhalb weniger Jahre verdiente er über 100 Dollar die Woche – und konnte sich die Bands und Gigs aussuchen, die ihm gefielen.

Sein Weg von Maynard Ferguson über Dinah Washington und Miles Davis bis zu Weather Report ist bekannt – uns soll hier interessieren, ob eine derartige Karriere für junge Musiker von heute als Modell noch relevant ist. Ein ähnlich kometenhafter – und für einen Jazzmusiker ungewöhnlicher Aufstieg – gelang ja auch Joachim Kühn in den 70ern. Heute gehen noch immer viele junge europäische Musiker in die USA – das Land, wo Jazz einfach ganz anders in der Luft liegt als im europäischen Kulturkreis. Doch das große Geld verdienen dort nur noch die Filmkomponisten. Pikant eine Äußerung Zawinuls über die jungen Jazzer von heute, die er vor einigen Jahren im Gespräch mit dieser Zeitung machte: „Die jungen Musiker von heute können zwar technisch alles spielen, aber sie haben keine Persönlichkeit.“

Mochte das noch für die von Aebersold geschulte Generation gültig gewesen sein, trifft das heute nicht mehr zu. Dies belegten eindrucksvoll viele der jungen europäischen Bands auf der Bremer Jazzmesse. „Off“ war „In“ könnte man sagen: Musikalische Entdeckungen konnte man vor allem im Off-Programm und bei der JazzXchange – einem neuen Förderprojekt zum europäischen Kulturaustausch – machen.

Ganz herausragend etwa das Konzept der finnischen Gruppe Oddarrang. Ihr Bandleader, der 25-jährige Drummer Olavi Louhivuori, kommt aus dem Umfeld der UMO Big Band und gründete Oddarang vor vier Jahren. Die Besetzung mit Cello und Posaune bietet Raum für ungewöhnliche, intensive Klänge.

Ähnlich faszinierend die Band um den norwegischen Trompeter Mathias Eick (siehe unser Bild oben). Wie sein in der Karriere schon etwas fortgeschrittener Kollege Arve Henriksen ist er ein Produkt des norwegischen Musikerziehungssystems, das Talente bereits in jungen Jahren fördeert und auch auf den allgemein bildenden Schulen an die Musik heranführt. Dies mag auch ein Grund dafür sein, dass in Skandinavien Jazz und jazzorientierte Musik eine größere Rolle spielen und ein besseres Image haben als in Deutschland.

Doch auch von hier kam Qualität: Etwa die junge deutsche Band Cyminology, deren Konzept altpersische Gedichte mit Jazz der Gegenwart zu verbinden, auf einem hohen Niveau aufgeht. Oder die Band Kill Your Darling, die sich aber spontan in Glücklich 2 umbenannt hatte, vielleicht um bei Google nicht immer unter Punk und Death Metal aufgelistet zu sein. Eine ganz junge Band, die deutsche Texte, rockigen Sound, markante Patterns und eine ungewöhnliche Besetzung mit Bassklarinette zu einem originellen musikalischen Profil vereinigt. Absolut hörenswert und erfreulich, dass die Newcomer ihre erste Platte gleich bei Neuklang, dem Label des für seine hochwertigen Jazzaufnahmen berühmten Ludwigsburger Tonstudios Bauer veröffentlichen konnten.

Diese wenigen Namen sind nur ein kleiner Ausschnitt aus einer pulsierenden Szene, die für die Zukunft Manches verspricht. Ob Karrieren wie zur Zeit von Zawinul oder Kühn möglich sind, bleibt ungewiss, aber ein Fazit kann man bereits heute ziehen. Zawinuls Diktum von den profillosen Jungen ist nicht länger haltbar. Europas Jazzwelt lebt, ja brodelt in manchen Gegenden richtiggehend, insbesondere den als nördlich-kühl etikettierten skandinavischen. Das wirft die Frage auf, wieso gerade in diesen kleineren europäischen Ländern eine derart lebendige Jazzszene entstehen konnte? Eine Rolle spielen sicher die großen Ausnahmemusiker Skandinaviens wie Jan Garbarek, John Christensen, Arild Andersen, Terje Rypdal, Edward Vesala, Nils Petter Orstedt. Inzwischen bekommt bereits die mittlere Generation wie Nils Petter Molvaer, Nils Landgren, Esbjörn Svensson, Bobo Stenson oder Bugge Wesseltoft von den jungen Wilden Konkurrenz. Von den vielen skandinavischen Sängerinnen ist hier noch nicht einmal die Rede. Was Norwegen, Schweden, Finnland und Dänemark zu ausgesprochenen „Jazzländern“ macht, ist unter Fachleuten kein Geheimnis. Sie verweisen auf das Bildungssystem der skandinavischen Länder, das ganz offensichtlich nicht nur gute Ergebnisse bei der PISA-Studie produziert, sondern auch kreative, stilbildende Jazz-Musiker und ein Publikum, das Qualität zu schätzen weiß.

Aber auch aus Deutschland gibt es so viel spannenden Nachwuchs wie schon lange nicht mehr. Das ist zum einen ein Verdienst der Musikhochschulen, von denen die im Jazzbereich bedeutsamen in Bremen alle mit Stand, Big Band und Ensemble vertreten waren, zum anderen aber ist es die individuelle Entscheidung vieler junger Musiker für eine Stilrichtung, die ihnen nach wie vor ein Höchstmaß an künstlerischer und interpretatorischer Freiheit bietet. Eine echte Alternative zum Hochleistungssport der klassischen Solisten oder zum Spezialistentum der Neuen Musik. Die guten Musiker unserer Tage haben sowieso schon längst die ehemals unüberwindlich scheinenden Grenzen zwischen Jazz, Klassik und Neuer Musik überschritten. Und eines hat die Jazzmesse auch gezeigt. Sie handelt mit keinem Produkt der creative industries wie es etwa Popmusik darstellt. Bei allen Fragen nach Vermarktung und Vertrieb ist ihre „Handelsware“ der Künstler und sein Werk. Deshalb bleibt ein engagiertes Kultur-Unternehmertum nach wie vor das Herzstück des Jazzmarktes: Labels, Verlage, Veranstalter, Medienunternehmen sollen auf der jazzahead ein neues Forum finden.

Allem Unternehmertum zum Trotz, ohne Subvention gäbe es den „nicht-kommerziellen“ Jazz, den wir neben Roger Cicero, Diana Krall und Norah Jones unbedingt auch haben wollen, nicht. Positiv daher, dass auf der Jazzmesse Bremen Initiativen wie das German Jazz Meeting – das deutsche Jazz-Exportbüro – und JazzXChange – ein EU-geförderter Jazz-Import – von Anfang an einen Platz gefunden haben. Ein Messe-Fazit? Die Geschichte vom Jazz, der sich ins Out gespielt hat, gehört jedenfalls endgültig in den Bereich der Legende.

Andreas Kolb

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