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Jazzzeitung
2007/02 ::: seite 20
rezensionen
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Roberto Fonseca
Zamazu
Enja Records
Ein
Rubén Gonzalez von Buena Vista Social Club gibt seinen Platz
nicht an irgendjemanden ab. Es musste Roberto Fonseca sein, als vor gut
fünf Jahren ein neuer Pianist gesucht wurde. Der kubanische Jüngling
mit Designerhut und schwarzem Anzug hat nun das vierte Soloalbum unter
seinem Namen veröffentlicht und wird den hohen Erwartungen voll gerecht. Brüderlich vereinen
sich präziser Pianojazz und anspruchsvolle Kubarhythmen auf „Zamazu”.
Der Typ hat ebenso viel Feuer in den Fingern wie Feingefühl. Was
die großen, braunen Kulleraugen auf den Pressebildern andeuten,
wird von seinem Spiel am Klavier noch bei weitem übertroffen: So
geradlinig und selbsttreu, dabei so wendig und lebendig, verträumt
und doch hellwach, verspielt und gleichzeitig immens erwachsen. Fonseca
erfrischt und überrascht immer wieder, zeigt virtuoses Können
und emotionale Reife. Die Wirkung kommt nicht zuletzt auch durch die
treibende Begleitung von Bongos, Kongos & Co. zustande und wird durch
glatte Vokalbegleitung, Flöte, Klarinette und Saxophon unterstützt.
Die Platte umspielt eine enge Verbundenheit zur Heimat. In „Dime
que no” etwa thematisiert Fonseca seine Liebe zur „Guajira” – einem
typischen Musikstil der Insel - und schrieb das Stück zusammen mit
seiner Mutter. Ibraim Ferrer ist das Stück „El Niejo” gewidmet,
das die beiden viele Jahre lang auf After-Show-Sessions begleitet hat.
Und der Titel der Platte selbst entsprang der Phantasie seiner kleinen
Nichte, die ihm damit glauben machte, eine Fremdsprache zu beherrschen.
Uta Leidenberger
Marcel Richard
4tet
Kammermusik
Mons Records
Diese „Kammermusik“ des Marcel Richard Quartetts stellt
vor allem die in Essen lebende Saxophonistin Natalie Hausmann in den
Vordergrund, und die erhält von der Band des Kölner Schlagzeugers
eine hochkreative Unterstützung bei ihrem ausdrucksstarken, extrem
wandlungsfähigen Spiel.
Dabei macht die CD-Produktion aus dem Jahr 2006 ihrem Titel alle Ehre,
erzeugt doch die realisierte Dramaturgie dieses Albums einen durchgehenden
roten Faden, der den ganzen Variantenreichtum letztlich zum organischen
Hör-Film vereint.
Ganz groß eröffnet Saxophonistin Natalie Hausmann das Werk
mit einem mysteriös-klangmalerischen Thema, an das sich so viel
klar Formuliertes und Sinnliches anschließt.
Unermüdlich geht es weiter auf erstaunlichen Wegen und Umwegen,
eingebettet in ein feinnerviges und immer wieder überraschendes
Zusammenspiel – allein die zwei Bässe, die elektrisch und
akustisch miteinander zur Reibung kommen, sind schon eine kleine Welt
für sich auf diesem Album.
Die hier entstehende schillernden Farbenpalette reicht von kammermusikalischem
New Jazz über freie Improvisation bis in exotische Gefilde hinein,
wenn Natalie Hausmann auf der Flöte unisono mit einem Bassisten
orientalische Tonskalen erklimmt. Eine hervorragend eigenständige
Profilierung und eine ausgefuchste Gratwanderung zwischen High-Class
Modern Jazz und zeitgenössischer Kammermusik im besten Sinne.
Stefan Pieper
Helge Schneider
I brake together
Capitol
Helge Schneider steht nicht vor dem Zusammenbruch, obwohl er sein aktuelles
Album in eigenwilligem Englisch „I Brake Together“ nennt.
Wieder einmal besingt der Komiker unsere Nahrungsmittel. Nach Reis und
Möhrchen ist nun das „Käsebrot“ an der Reihe. Zur
Seite steht dem Entertainer eine souveräne kleine Combo, die sämtliche
Varianten jazzgeprägter Unterhaltungsmusik parat hat. Allen Fans
bekannt ist der langjährige Begleiter am Schlagzeug, Pete York.
Helge Schneider ist erstaunlich virtuos am Klavier zugange und legt auch
unterhaltsame Soli an Blockflöte und Mundharmonika hin.
Munter geht es los auf dem musikalischen Parcours: Helge startet als
enttäuschter Hausmann, der seine abwesende Ehefrau durch einen Schmetterling
(Tagpfauenauge) ersetzt.
Seine Imitation eines (in)brünstigen Latino-Sängers ist ebenso
witzig wie das Duett mit dem imaginären Udo Lindenberg.
Auch auf Konserve wird deutlich: Grundlage von Helge Schneiders Songs
ist die Improvisation.
Vielleicht jedoch tanzt der Musiker, Schauspieler, Regisseur und Zeichner
auf zu vielen Hochzeiten. Da ist es kein Wunder, dass er einmal bewährte
Erfolgsrezepte nicht verlässt. Die Single „Käsebrot“ folgt
demselben Muster wie der Hit „Katzeklo“ von 1993: Ein alltägliches
Wort wird so lange wiederholt, bis es völlig absurd erscheint. Aber
die Hauptsache ist: Helge macht gute Laune!
Antje Rößler
Pentalogy
(the very best of) Mardi Gras.bb 1999-2004
Hazelwood, Emarcy 06025 1725910
Ist es wirklich schon so weit? Best-Of-Platten von Gruppen, die nur
wenige Lenze zählen. Macht man da nicht besser zunächst eine
Gesamtausgabe, weil man doch nichts auswählen kann aus lauter unterschiedslos
guten Stücken? Nee. Warum auch?
Für die gut einstündige Compilation-CD Pentalogy – The
Very Best Of Mardi Gras.bb 1999–2004" wurden nun sechzehn
Highlights aus den ersten fünf CDs der Band ausgewählt.
Diese Auswahl der Mardi Gras.bb-Stücke ist traumwandlerisch sicher
und richtig. Die süßesten (Psychoflute) und saftigsten (Bye
Bye Babylon), die robustesten (Hop Sing Song), groovendsten (Moto Boat)
und differenziertesten (Down, down, down) Stücke sind hier vereinigt
und die restlichen Knaller auch – die Füller der anderen Platten
fehlen.
Voll der Dschungel (Jungle Telegraph), voll die Buntheit (Dark Days),
voll das Grelle, Heftige (Let it Shine), das Subtile (Dreamtime in Memphis)
der musikalischen Grundfarben auslotend, nein auswälzend.
Man kann die Platte eigentlich nur über sich mit dem breitesten
Hüftschwung ergehen lassen, den man sich durch die Gegend leiern
kann, wenn man mit einem Alligator Arm in Arm durch die Welt tanzt. Übrigens,
wem das zu wenig ist, der kann dann auch die Neue nehmen, die an die
bessere frühe Zeit anknüpft: “The Unvealing Of The Exile
Itch“ (Hazelwood HAZ 043/044 – zusammen mit der DVD eines
Live-Auftritts, leider mit etwas eigenartiger Filmästhetik, so wackelmäßig).
Martin Hufner
Michael Schiefel
Don`t touch my animals
ACT 2006
Nein, wir lassen seine Tiere unangetastet, die Michael Schiefel so verehrt – all
jene kreuchend-fleuchenden Kreaturen aus seinem realen oder fiktiven
Zoo, gegen die der Mensch doch in vielerlei Hinsicht so verkümmert
scheint. Augenzwinkernd-philosophisch ist seine neue CD „Don`t
touch my animals“ immer wieder, musikalisch erstaunlich ist sein
mittlerweile viertes Solowerk allemal! Der junge Mann mit der androgynen
Stimme ist ausgebildeter Jazz-Sänger, hat sich an der Avantgarde
erprobt und schließlich eine Nische erobert, die ihm so schnell
keiner nachmachen wird. „Vocals only!“ stellt er auf dem
Booklet klar und grenzenlos scheint, was er damit anzustellen weiß.
Spur für Spur entsteht mit dem Loopgerät, das er auch live
so virtuos zu bedienen weiß, ein ganzes A-Capella-Ensemble in Personalunion.
Begleitfiguren, rhythmische Texturen, Scatpassagen und echtes „Crooning“,
aber auch kirchentonal anmutende polyphone Gegenstimmen formen sich zu
einem dichten Klangteppich. Heraus kommt dabei ein illustrer Bogen aus
14 Songs, die bei aller Kunstfertigkeit, bei allem musikalischen Know-how
des in Münster geborenen Wahlberliners mit genialer Leichtigkeit
Herz und Geist erfrischen. „Deutsch“ diskutiert ironisch
die Ästhetik unserer Muttersprache in Bezug auf ihre Singbarkeit.
Ganz groß hitverdächtig ist ein wundervoll beobachteter alltagssoziologischer
Vergleich aus seiner Feder: „Aufm Dorf und inner Stadt...“
Stefan Pieper
Tord Gustavsen Trio
Being there
ECM / ECM 2017/172 3517
Trübsinnig, düster, träge: Wie das Plattencover, welches
ekstatische Dramen im Dunkelton verheißt, so die Musik. So geschehe
es. Mit wenigen Klängen wird man hineingerissen – bei dieser
klassischen Klaviertrioformation – in einen Sog aus Nichts, aus
geradezu nihilistischem Nichts.
Wenn man denn einmal einen Preis vergeben wird für Weltvorhangsmusik,
also eine Musik, die sich zwischen die böse, dreckige Welt und Subjektrealität
mit ihren korrupten eigenen und fremden Gefühlen ‘hängt’,
dann wird das Gustavsen-Trio mit „Being there“ ein allererster
Anwärter sein; mit seinen leisesten und langsamsten Hymen der Gegenwelt.
Von den 13 Tracks sind gerade mal zwei bei guter Rechnung in einer Art
Up-Tempo. Ansonsten: Nichts als Geschwabere, allerdings von feinster
Rafinesse. Jede harmonische Trostlosigkeit – und gerne auch einmal
Einfalt – wird gesucht und gefunden.
Und: Verloren. Gut, dass Jarle Vespestad am Schlagzeug gelegentlich nach
Akupunktur-Art feine Tonnadeln in die Nervenpunkte der Klangmasse spickt.
Alles zusammen, wie erwähnt, in einer hochartifiziellen und unaufdringlichen
Art und Weise. Man findet übrigens auch den musikalischen Subtext
nach mehrfachem Hören. Und der ist pizzelig, hell, heiter und ziemlich
klar. Technisch ist das wunderbar abgemischt und exzellent aufgenommen.
Zum Heulen gut.
Martin Hufner
Michael Wollny
Piano Works 7: Hexentanz
ACT
Sie kommen langsam, die Hexen, aus dem Dunkel schwingen sie sich ins
Sichtfeld, immer mehr, und man weiß noch nicht, wo das Schauspiel
enden wird. Michael Wollny eröffnet mit seinen Solo-Improvisationen
eine Bühne für spektakuläre Klangkünste und entführt
mit ungeheurer Ausdruckskraft in die unheimlichen Tiefen emotionaler
Energien.
Kernstück seiner ersten Solo-CD, die als 7. Folge der Reihe Piano
Works bei ACT erschien, ist der “Hexentanz” in fünf
Sätzen. Der Pianist bietet Schauerstimmung und Gruselgefilde, hebt
mit seiner Musik ab und landet in der Unterwelt gefährlich anmutender
Verzauberung.
Bei den “Schubertiaden”, Einzelstücke, die sich mit
der Charakteristik verschiedener Schubertlieder befassen, kommt stets
seine eigene, dunkle Note durch, die Michael Wollny in seiner Authentizität
bestätigt.
Als “Gothic Music” hat der 29-jährige nicht zuletzt
seine eigene Musik bezeichnet. Sie entstand zurückgezogen in einem
Haus auf der Insel Gotland, wo er sich den Stimmungsbildern von Schubert
und Björk ebenso hingab wie der Musik von Joachim Kühn und
den Büchern von Edgar Allan Poe. Die Erwartungen an den großen
deutschen Nachwuchspianisten, der mit dem Trio [em] seit zwei Jahren
Großes feiert, waren hoch. Ein guter Grund, um Neues zu wagen und
die Jazzwelt mit eigenwilligen Klavierwelten zu betören.
Uta Leidenberger
The Original Chico Hamilton Quintet
Complete Studio
Recordings
LONEHILL JAZZ LHJ 10217
Der Schlagzeuger Chico Hamilton (mit 85 Jahren immer noch aktiv) wurde
bei uns 1952 durch sein subtiles Besenspiel im ersten Gerry Mulligan
Quartet (mit Chet Baker) bekannt. Da hatte er aber schon mit vielen Größen
gearbeitet: Lionel Hampton, Lester Young, Duke Ellington oder Count Basie.
1955 stellte er ein Quintett in ungewöhnlicher Besetzung auf, das
durch hervorragende Themen wie auch durch behutsames Zusammenspiel und
feinfühlige Solos Jazzgeschichte machte: Buddy Collette (fl,cl,as,ts);
Fred Katz (cello); Jim Hall (g) und Carson Smith (b) gehörten zur
Erstbesetzung. Es war die erste bedeutende Jazzgruppe mit einem Cello
in tragender Funktion, und durch ihr Klangbild und die ruhige Grundstimmung
so etwas wie ein Gegenstück zum Modern Jazz Quartet, das unter diesem
Namen ein Jahr zuvor gestartet war. Sehr schade, dass ihr nicht ein ähnlicher
Erfolg zuteil wurde. Sie war auch die erste Station zur großen
Karriere von Jim Hall, dessen aufs Wesentliche konzentrierte, sich jeder
Artistik enthaltende Spielweise hier schon ganz ausgeprägt ist (dies
dürften auch seine ersten Aufnahmen überhaupt sein). Erstaunlich,
wie modern diese Stücke wirken. Machen Sie den Test, spielen Sie
sie Freunden vor und fragen Sie nach dem Aufnahmedatum! Ja,und dann gibt
es sogar mit “Free Form” noch einen frei improvisierten Titel — früher
Free Jazz, sehr gelungen, ein Beweis für die Homogenität dieses
Ensembles.
Joe Viera
Drews, Dudek, Haurand
Lyrik & Jazz
Cascaden, Konnex KCD 5181
Seit Ende der fünziger Jahre kennt man die Versuche, Jazz und Lyrik
zusammen aufzuführen.
Und immer wieder gibt es Gelegenheiten, bei denen beide Kunstbranchen
im vollem Maße auf ihre Kosten kommen, voneinander nicht nur profitieren,
sondern in einer traumgleichen poetischen Kommunikation sich miteinander
verbinden.
Drei langjährigen Freunden ist es bei ihren „Cascaden“ genau
so ergangen. Inge Drews, Schriftstellerin, Fotografin, Künstlerin
in vielen Sparten mit ganz eigenem, oft augenzwinkerndem und zugleich
tiefgehendem Anspruch, ihre Welt zu erfassen, kennt sich aus mit den
Quellen des Jazz, mit Billie Holiday gleichermaßen wie mit Heinrich
Heine und dessen seltsamen Adaptionen in der rheinischen Gegenwart.
Bei ihren Gesprächen mit ihrer Stubenfliege unterstützt sie
Ali Haurands kontinuierlicher Bass-Hintergrund, eine Art lyrischer Mantel,
der das Erlebnis von Musik und Sprache unendlich zu machen scheint.
Und dann erhebt Gerd Dudek, den Inge Drews seit seinen ersten Jahren
in Köln in den sechziger Jahren kennt, seine Stimme, hat viel zu
sagen, diese bescheidene wie perfekte und in vielem unerreichte Saxophonstimme.
Beruhigend und herausfordernd zugleich, dieser mehrdimensionale Poesie-
und Musikgenuss aus dem Rheinland.
Hans-Jürgen von Osterhausen
The Groenewald Newnet
Talking Heads
LAIKA-RECORDS 3510217.2
Von Oliver Groenewald (9 Titel) und Ralf Hesse (1 Titel) exzellent geschriebene
(gibt es da einen Einfluß von George Russell?) und von der Band
sehr überzeugend gespielte Musik. Besonderes Lob verdient Christian
Schoenefeldt: Er spielt für die anderen und ist nie zu laut. Würden
die Solos so unter die Haut gehen wie die fixierten Passagen, wäre
es eine 5-Sterne-CD.
Joe Viera
Anat Fort
A long story
ECM
Die in Tel Aviv geborene Pianistin Anat Fort umgibt sich mit drei Meistern
der Improvisationskunst: dem Schlagzeuger Paul Motian, dem Bassisten
Ed Schuller und Perry Robinson an Klarinette und Okarina, einer Art Schnabelflöte.
Die Stücke sind allesamt Eigenkompositionen der israelischen Musikerin
und bezeugen ihr kompositorisches Talent. Im Hintergrund schimmern ihre
musikalischen Vorbilder durch: Bill Evans, Keith Jarrett und Paul Bley.
Mit ihren ausgewogenen Konturen hat insbesondere die Ballade „Just
Now“ das Zeug zum Klassiker. Das Stück taucht in variierter
Form mehrfach auf, was dem Album einen schönen, runden Bogen verschafft.
Die zumeist lyrischen Kompositionen bieten ausgedehnte Freiräume
für Improvisationen. Die vier Musiker knüpfen ein komplexes
Klanggeflecht, in dem die Pausen ebenso wichtig sind wie die Töne
selbst. Viel Zeit nehmen sie sich zum Erproben mannigfaltiger Interaktionsformen.
Als Kind erhielt Anat Fort eine klassische Ausbildung; schon in jungen
Jahren begann sie zu komponieren und zu improvisieren. Mitte der 1990er
Jahre zog sie aus Israel in die USA, um ihr freies Spiel in der amerikanischen
Jazztradition zu verankern. Heute pendelt Anat Fort zwischen New York
und Tel Aviv, auch musikalisch hat sie einen Hauch Orient beibehalten.
Dieses bemerkenswerte internationale Debüt sollte man sich nicht
entgehen lassen.
Antje Rößler
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