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Jazzzeitung
2007/02 ::: seite 20
rezensionen
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Red Garland
The 1956 Trio
Essential Jazz Classics
„Und der Hammer flog aus seiner Gabel – und
einige Saiten gaben kreischend ihr Leben auf ...“ (Carl Maria
von Weber). Stellen Sie sich in etwa so das Klavierspiel eines Boxers
vor? Nicht doch! Leichtgewichtspreisboxer
Red Garland, von Erroll Garner nicht weniger als von Bud Powell beeinflußt,
war nicht nur einer der unterhaltsamsten Pianisten der Hardbop-Ära.
Es gibt kaum einen Pianisten der Jazzgeschichte, dessen zarter Anschlag
so sehr an Glöckchen gemahnt. In seiner Delikatesse trifft sich
Garland auch mit dem Lieblingspianisten seines damaligen Brötchengebers
Miles Davis, der Garland aufforderte, in der Art Jamals zu spielen. Gottlob
verfügte Garland über das „gewisse Etwas“, das
ihn auch bei so einem Unterfangen unverwechselbar macht. Ebenso finden
wir hier „Ahmad’s Blues“, ein Nebenprodukt einer Davis-Session,
das Garland einen Plattenvertrag bei Prestige verschaffte.
Die CD vereint das vollständige Album „Garland Of Red“ vom
17. August 1956 sowie jene Aufnahmen vom 14. Dezember 1956, die auf den
Prestige-Alben „Groovy“ und „Red Garland’s Piano“ verstreut
waren. Red Garland verband sich mit dem vorzüglichen Art Taylor
(bzw. Philly Joe Jones auf Ahmad’s Blues) und Paul Chambers, mit
seinem weichen Zupfton und der bis dato fortgeschrittensten Streichtechnik
damals das große neue Talent unter den Bassisten, zu einem Trio
das auf samtig swingenden Katzenpfoten zu schreiten schien. Eleganz pur!
Dave Brubeck Quartet
At Wilshire Ebell. The Historic 1953 Los Angeles Concert
Fresh Sound Records
Ein
lange entbehrter Klassiker! Als ich im Jahr 2000 Brubecks „80th
Birthday Collection“ zusammenstellte, war „Jazz At Wilshire“ unbekannt
und unerreichbar. Am 20. Juli 1953 im regulären Quartett mit Paul
Desmond (as), Ron Crotty (b) und Lloyd Davis (dr) in L.A. aufgenommen,
wurde das Album erst 1956 von Fantasy veröffentlicht, nachdem der
mittlerweile berühmte Pianist zu Columbia gewechselt war. Das riecht
zwar nach Resteverwertung, mit dem man noch am Erfolg des Entfleuchten
teilhaben will, doch nichts von Paul Desmond und Dave Brubeck aus dem
Jahr 1953 ist zweitrangig! Sie hatten damals ihren Durchbruch, eroberten
für das Quartett und damit für den Jazz allgemein Colleges,
Universitäten und (wie im vorliegenden) Fall, kleine Konzertsäle
als Spielstätten. Warum das Konzert erst heute sein digitalisiertes
Comeback schafft, läßt sich nur vermuten. Vielleicht, weil
zwei Konzerte des Jahres „At Oberlin“ und „At The College
Of South Pacific“ noch gelöster, genialer gerieten, bei ähnlichem
Repertoire. Die traumhaft sichere Interaktion, die von gegenseitiger
Inspiration und erstaunlicher Intuition, ja Gedankenlesen zwischen Brubeck
und Desmond zeugte, verströmte auch „At Wilhire Ebell“,
eine schwer in Worte zu fassende Magie. „Too Marvelous For Words“ entspricht
dem Titel. Weil der Mitschnitt für eine CD zu kurz ist, hat man
es um andere Live-Aufnahmen des Jahres 1953 ergänzt.
Charlie Parker
The Last Notes. 1953-1954
United Archives
Wenige haben die Jazzgeschichte so gründlich umgekrempelt wie Charlie
Parker, der neben Dizzy Gillespie und Thelonious Monk wichtigste Mitbegründer
des modernen Jazz in den 40er-Jahren. Demgegenüber bedeuten die
50er-Jahre zwar keine grundlegenden Änderungen seines klassisch
gewordenen Programms, keineswegs aber ein Abgleiten in die reine Routine
oder (wie wegen der Aufnahmen mit Streichern unterstellt wird) in den
Kommerz. Obwohl Parker mit seiner chaotischen Lebensweise seiner Karriere
selbst im Wege stand und nicht zuletzt durch seinen Drogenmißbrauch
seine Gesundheit ruiniert hatte, konnte sich „Bird“ in den
letzten Lebensjahren zu Höhenflügen aufschwingen, die zum einen
von Norman Granz für Verve im Studio aufgenommen wurden, zum anderen
mit Rundfunk- und Privatmitschnitten aus New York, Portland und Boston
dokumentiert wurden. Die vorliegende Doppel-CD beginnt im Juli 1953 (also
leider erst nach dem Massey-Hall-Konzert) und endet im Dezember 1954.
Aus dem Todesjahr 1955 ist kein einziger Ton erhalten. Die mit sehr guten
Liner Notes ausgestattete Edition ist dank der verschiedenen Quellen
sehr facettenreich: Parker im Studio und live mit eigenen Combos, mit
Streichern, mit lokalen Begleitgruppen, als Gast bei Stars wie Gillespie
und Kenton, mit eigenen Kompositionen und seinem abschließenden
Cole-Porter-Song-Book … Sie wäre unschlagbar, wenn sie auch
vollständig wäre.
Miles Davis
The Complete Live Recordings 1948-1955
United Archives Ein Blick auf den Titel der 10-CD-Box genügt, ihre Bedeutung zu
erkennen, ein zweiter auf den Preis (sie ist oft unter 40 Euro zu haben),
sie zu kaufen. In der Tat wurden hier erstmals (fast) sämtliche
Einspielungen des Trompeters versammelt, die zwischen 1948 und 1955 außerhalb
der Studios entstanden sind. Früher mußte man sie sich auf
verschiedenen, zum Teil seltenen und teueren Veröffentlichungen
zusammensuchen. Als Bonus findet sich sogar ein Stück mit Benny
Carter aus dem Jahr 1946. Die wichtigen 48er Aufnahmen als Sideman Charlie
Parkers sind nicht dabei, dafür aber spätere Beispiele des
Zusammenspiels mit seinem „Entdecker“. Obwohl einige dieser
Tondokumente eine jämmerliche Aufnahmequalität aufweisen, waren
viele von ihnen nie so gut zu hören! Sie bieten eine wertvolle und
aufschlußreiche Ergänzung zu den damaligen Studioplatten für
Capitol, Prestige und Blue Note. Nur live kann man das 1955er Comeback
in Newport an der Seite von Monk hören. Oder wie die Band, die im
Capitol-Studio als „Birth Of The Cool“ in die Geschichte
eingehen sollte, im Royal Roost noch gar nicht auf die „coole“ Zurückhaltung
eingeschworen war. Wie Miles sich fast verstellt, um neben seinem Idol
Dizzy auf der Bühne zu punkten. Der Kommentar ist – trotz
Schnitzern wie der Verwechslung von Charlie Ventura und Lucky Thompson
in der Soloreihenfolge – gut. Man sollte ihn auf Französisch
lesen.
Louis Armstrong
Stop Playing Those Blues
Naxos Jazz Legends
Vol.7 der Armstrong-Reihe mit Aufnahmen der Jahre 1946/1947 ist mit „Stop
Playing Those Blues featuring Jack Teagarden and including the famous
Town Hall Concert“ überschrieben. Doch selten hört man
Satchmo mit einer so vielfältigen Auswahl großartiger Blues,
darunter „Back O’Town Blues“ und „Jack-Armstrong
Blues“. Die gute Zusammenstellung sollte eher heißen: „Stop
Playing with Big Band”. In der Zeit der vorliegenden digitalisierten
Schellacks (die mit einer Ausnahme für RCA Vitor entstanden) nahm
Armstrong schweren Herzens Abschied von seiner Big Band (die noch mit
dem Stück „Endie“ vertreten ist), um mit kleinen Formationen
wieder an die Combo-Tradition seines Frühwerks anzuschließen.
Nach den Einspielungen mit den „Hot Six“ (mit Barney Bigard)
und den „Dixieland Seven“ (mit Kid Ory) entstanden die ersten
Aufnahmen der „All Stars“. Ihr Town Hall–Konzert vom
17. Mai 1947, das den Wendepunkt markiert, gehört auch zu deren
besten: Zum einen liegt es an Sidemen vom Kaliber eines Jack Teagarden.
Doch auch Armstrongs Einfälle wirken um einiges spontaner als in
der späteren All-Star-Routine. (Später nahm Armstrong seine
Konzerte auf, um sich das Beste aus seinen Improvisationen für den
nächsten Tag zu merken – so improvisierte er schließlich
immer weniger.) Ein rundum beglückendes Album eines Sängers,
der das Herz berührt, eines Trompeters, dessen Sound die Strahlen
der Sonne spiegelte.
Marcus Woelfle |