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Das laut Ella Fitzgerald „größte Gesangstalent der Welt“ erhielt von Freunden Kosenamen wie „Sassy“, „Sass“ oder „Sailor“. Die Öffentlichkeit bevorzugte das Vokabular der Anbetung: „Divine Sarah“ – wie bei Sarah Bernhardt! – oder gar „The Divine One“. Im Laufe der Jahre flößte sie immer mehr Gefühle der Ehrfurcht ein, sei es wegen ihrer unerreichbaren Perfektion oder wegen ihrer persönlichen Ausstrahlung: nicht die überschäumende Lustigkeit einer Ella oder die Zerbrechlichkeit Lady Days, sondern die zurückhaltende Eleganz einer Diva, die sie sogar bei extrovertiertestem und heftigstem Gesang bewahrte. Wer ihre Stimme nur als Naturgabe betrachtet, verkennt den zähen Fleiß, mit dem „Sassy“ sie jahrzehntelang modellierte. Am offensichtlichsten war das beim Stimmumfang, der so manche Opernsängerin vor Neid erblassen lassen dürfte. Arbeitete sich die „schwarze Callas“ bis in die sechziger Jahre in schwindelerregende Höhen vor, so drang die Junggebliebene in ihren letzten Lebensjahren fast in Baritontiefen, die von Kolleginnen noch kaum erforscht waren. Die unglaubliche Flexibilität ihrer Stimme erlaubte ihr Tonsprünge und verschachtelte Linien, die so gewagt waren wie Salti mortali von Zirkusartisten. Ihre klangvolle Stimme konnte unbegleitet und ohne Mikrophon die Carnegie Hall mühelos füllen. Mit einem einzigen Ton konnte sie demonstrieren, welche Spielchen allein durch Veränderungen des Timbres möglich sind. Ihre pianistische Ausbildung versah die „schwarze Callas“ mit einem beachtlichem Harmoniegefühl, der ihrem Scat erlaubte, in der bebop-Ära zum vokalen Pendant der Solistik eines Charlie Parker oder Dizzy Gillespie zu werden. Miles Davis drückte es so aus: „Sarah sang, wie Bird und Diz spielten, und die beiden bliesen wie der Teufel! Für sie war Sarah das dritte Horn.“ Sarah Vaughan, die mit Größen wie Miles Davis, Clifford Brown oder Cannball Adderley traumhafte Platten einspielte, blieb bis zuletzt, trotz gelegentlicher „Schlager“ eine „musicians’ singer“. „God is good“ pflegte sie zu sagen, wenn sie nach Konzerten gelobt wurde. In der Tat wurde Sarah Vaughan ein außerordentliches Organ in die Wiege gelegt. Dazu kam eine sehr robuste Gesundheit. Da weder Rauchen noch Erkältungen sich hörbar auf die Stimme niederschlugen, schonte sie sich leider auch in keiner Weise. Sie schlief wenig, oft mehrere Nächte hintereinander nicht, um in geselliger Runde zu trinken, essen, gelegentlich leichtere Drogen zu nehmen und vor allem wie ein Schlot zu rauchen. Hat es Ihrer Stimme auch nicht geschadet, so starb sie doch an Lungenkrebs. Sie beeinflußte viele Vokalistinnen, hinterließ aber keine Nachfolgerin. Als die außergewöhnlichste Stimme der Jazzgeschichte für immer verstummte, hinterließ sie eine Lücke, die bis heute – trotz der seither hereingebrochenen Flut an Jazz-Sängerinnen – nicht zu schließen ist. Göttinnen gibt es eben nicht im Dutzend. Marcus A. Woelfle |
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