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Einen „Artist in Residence“ – Künstlerinnen oder Künstler also, die ihr Schaffen über eine Spielzeitdauer vorstellen – den lädt inzwischen fast jedes Konzerthaus in Deutschland ein. Dass an einer Philharmonie aber eine Jazzmusikerin oder ein Jazzmusiker residieren, ist wohl einzigartig in der Konzertlandschaft. Uri Caine und Carla Bley waren schon zu Gast, in der aktuellen Spielzeit ist Joachim Kühn der Residence-Künstler an der Philharmonie Essen.
Der Intendant Michael Kaufmann erläutert: „Mir ist es sehr wichtig, mit den Residence-Künstlern auf die so genannten Nischen aufmerksam zu machen und das ist dann natürlich auch der Jazz. Wir wollen zum Ausdruck bringen, dass ein Konzerthaus die Aufgabe hat, die Musik in ihrer Gänze darzustellen.“ Das Essener Konzerthaus präsentiere die „Artists in Residence“ nicht eine Spielzeit lang auf dem „Silbertablett“, sondern man bleibe in regem Kontakt darüber, wie die Musikerinnen und Musiker die Philharmonie sehen, welche Anregungen sie haben. Mit Joachim Kühn ist Kaufmann in ständigen Austausch auch über zukünftige Projekte: „Es ist faszinierend, mit jemandem wie Kühn zu arbeiten. Er macht so viele unterschiedliche Projekte und ist dabei nie oberflächlich. Etwa zum Frankreich-Schwerpunkt der nächsten Spielzeit hat er gleich fünf Ideen, wen man einladen könnte.“ Fest steht jetzt schon, dass Kühn auch in der kommenden Saison ein Konzertprogramm gestalten wird. Er ist schon der dritte Pianist unter den Jazz-Residenzlern und auch der Dritte, der wie Caine und Bley offen für den Umgang mit klassischer Musik ist. „Es war nicht so, dass ich mir vorher überlegt hätte, welche Jazzmusiker eine Verbindung zur sinfonischen Musik haben. Intuitiv hat es aber sicherlich damit zu tun, dass man den Bogen nicht irgendwohin spannen möchte. Man möchte dem Publikum eine Verbindung von der klassischen Musik zum Jazz herstellen. Kühn ist da sehr weit gegangen. Aus der Perspektive der klassischen Musik spielt er ja sozusagen nur Solokadenzen.“ Der „Artist in Residence“ der kommenden Saison ist übrigens schon wieder ein Pianist: Abdullah Ibrahim. Während Kaufmann das verrät schaut er immer wieder auf den Monitor, der den Soundcheck aus dem großen Saal in sein Büro überträgt. Er ist etwas betrübt, denn statt des angekündigten gemeinsamen Konzerts von Joachim Kühn und Ornette Coleman mit seinem Quartett wird es nun einen (übrigens ausgezeichneten) solistischen Auftakt mit Kühn und dann ein Set des Coleman-Quartetts geben. Es ist das bislang einzige Deutschlandkonzert in diesem Jahr, der Pianist Kühn hat es möglich gemacht und der Saxophonist Coleman präsentiert ausgerechnet zu diesem Anlass seine notorische Abneigung gegenüber Pianisten. Man weiß nicht genau, warum Coleman und sein Management so entschieden haben. Erst drei Tage zuvor, am 11. Februar, ist Coleman mit einem Grammy für sein Lebenswerk gewürdigt worden. Es gibt Mutmaßungen, dass es mit dieser Auszeichnung zusammen hängen könnte und Coleman auf dem Konzert Material für eine neue CD-Produktion mit seinem Quartett habe aufnehmen wollen. Andere Stimmen sagen einfach: „Er ist eben doch schon alt“. 76 Jahre alt ist der legendäre Musiker, der den Free Jazz erfunden hat und aus seiner Spielpraxis eine eigene Musiktheorie „Harmolodics“ entwickelt hat. Sein markanter Ton ist ungebrochen, oft schneidend durchdringend. Die akustischen Möglichkeiten des Alfried-Krupp-Saals für eine elektrisch verstärkte Jazzband klingen an diesem Abend allerdings begrenzt. Das Schlagzeug von Denardo Coleman verflüchtigt sich leider irgendwo unter der Decke. Markant dagegen und fast schon stilprägend für den Essener Auftritt klingt der gestrichene Kontrabass von Tony Falanga, den er meist in sehr hoher Lage spielt. Wie ein Cello klingt das und dann spielt er auch noch den Beginn von Bachs „Cellosuite Nr. 1“. Diese Improvisation des Quartetts über Bach ist der Publikumsrenner des Abends. Die Qualität der Performances ist jedoch wechselhaft. Die Stücke pendeln zwischen hoch kreativer und intellektuell spritziger motivischer Improvisation und Ratlosigkeit. Als Zugabe, dann doch noch gemeinsam mit Joachim Kühn, hat Coleman „Lonely Woman“ ausgewählt. Hier war dann zu hören, was das Konzert zuvor missen ließ: eine intensive musikalische Interaktion zwischen den Akteuren. Ein wenig musikalische Aussagekraft musste man sich an diesem Abend selbst hinzuhören, was leicht ist, wenn ein so charismatischer Musiker zu hören ist. Und als Coleman dann seine Rosen an die Frauen im Publikum verschenkte hatte er wirklich alle Herzen erobert: „In music, the only thing that matters is wether you feel it or not.“, hat Coleman einmal gesagt. Standing Ovations in allen Reihen. Antje Grajetzky |
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