Anzeige |
|
|
Anzeige |
|
Lynne Arriale (Foto) ist eine filigrane, schöne Rothaarige mit brennenden blauen Augen, eine Frau wie einem Jane-Austen-Roman entstiegen. Aus mehreren Gründen war sie ein Glücksfall im Opernhaus zu Halle an der Saale, der Hauptspielstätte auch im zweiten Jahrgang von „Women in Jazz“. Die Amerikanerin zelebrierte nicht nur ein brillantes Konzert am Beginn des zweiten Tages, sondern gab den Beweis, dass es sie gibt, diese auf höchster Höhe improvisierenden Frauen, die das Festival und seine Veranstalter Ulf Herden und Janis Kapetsis zur Überschau einer Szene versammeln wollten. Es gibt sie nicht selbstverständlich, sondern trotzdem, denn der Jazz ist eine männlich dominierte Musik.
Lynne Arriale ist eine mitten in der Königsdisziplin des Jazz, dem klassischen Pianotrio, erfolgreich und unaufdringlich brillierende Solistin. Sie beherrscht die sensible Kunst von Steigerung und Dramaturgie, kann Melodien fädeln, drehen und wenden und wenn sie romantisch wird, hat das nichts mit Rührseligkeit zu tun. Sie kann die Schönheit eines Themas aushalten, durchaus im doppelten Wortsinn, und gab den veritablen Beweis, dass Mainstream kein Schimpfwort sein muss. Man durfte ruhig an Bill Evans denken, denn die Kunst der Arriale ist hoch kultiviert, spontan und diszipliniert in einem. Solche Art der Interpretation hat aktuell dazu geführt, dass eine der orthodoxesten Kleinformationen der populären Musik alles andere als tot ist. Das Klaviertrio mit Kontrabass und Schlagzeug steht längst nicht mehr zur Cocktailuntermalung in der Bar-Ecke herum, sondern boomt und füllt weltweit die großen Säle. Und noch ein Zweites demonstrierte Arriale wie aus dem Lehrbuch: dass Jazz eine spontane Musik ist. Also war es die vielleicht beste Idee eines ideenreichen, in einem enormen Rahmenprogramm auch in die Stadt hinein mäandernden Festivals, sie eigens für Halle zur spontanen Begegnung mit der Posaunistin Sarah Morrow zusammenzuspannen, die einst als erste Frau bei Ray Charles jobben durfte. Sie ist ein offensiver Liza Minelli-Typ, und weil der Jazz seinen opulenten Standardkatalog hat, folgte ein fintenreiches Spiel mit Themen Ellingtons, Monks und Cole Porters. Eine hinreißende Session wurde das, bei der auch Schlagzeuger Steve Davis seine Akzente setzen konnte. Diese Höhe zu halten erwies sich als ein Ding der Unmöglichkeit. Das 19 Frauen versammelnde United Women’s Orchestra jedenfalls konnte es nicht. Es blieb bei aller Opulenz und trotz schöner solistischer Beiträge (Julia Hülsmann, Silke Eberhard) festgefroren in Ambition. Viel Blech und noch mehr Mut zu Eigenem, doch irgendwo blieb der Spaß auf der Strecke. Immerhin: das Frauenorchester der Kölnerin Christina Fuchs und der Holländerin Hazel Leach demonstrierte eine der vielen Facetten eines jungen deutschen Jazz. Schlank, groß, in Schwarz und hinter langem Lockenvorhang hatte Aziza Mustafa Zadeh den Eröffnungsabend bestritten. Gleichermaßen verehrt wie belächelt, gab sie den Engel aus dem Orient, allein mit ihren Stilisierungen, romantische und heftige Attacken häufend. Scheherezade träumt von Bach, wuchert ostinat in den Tasten und dupliziert das mit ihren typischen Aserbaidschan-Scats. Solch kantige Anverwandlungen von Chopin, Mozart, Händel oder Gershwin hat man noch nicht gehört, doch türmte artistische Beflissenheit allzu oft Tiefenschärfe und Eleganz zu. Eine dramaturgische Klammer zu ihr, doch eine völlig andere Spielart des Orientalischen gab die Berliner Band Cyminology um die Sängerin Cymin Samawatie bis hin zu vertonten Gedichten aus dem Persien des 11. Jahrhunderts. „Es war, sagen wir mal, recht interessant, aber ...“, fasste das einer im Publikum zusammen. Ich Geste, also bin ich. Die Botschaft hör ich wohl, allein sie steckte fest. Bei Cristin Claas & L’Arc Six dann, der einzigen Band aus Sachsen-Anhalt, klemmte nichts, allein: Es fehlte die Botschaft. Im Osten nichts Neues. Kammerpop, der zurück blickt oder ganz weit nach hinten zum Gut unserer Volkslieder. In einer bemerkenswerten Interpretation von Kurt Weills „Es regnet“ zeigte die selbstbewusste Sängerin, was hätte sein können bei dieser wirklich bemerkenswerten Stimme, doch hätte die Band dazu mehr Risiko gehen müssen, statt sich mit dem Publikum auf kleine gemeinsame Nenner zu einigen. Kein Jazz, nirgends: Dieser lange dritte Abend ausschließlich mit Vokalistinnen zeigte die Krux eines griffigen Konzepts. Es ist nicht leicht mit durchweg überzeugenden Acts zu füllen. Passables ist nicht unbedingt passend. Ausgerechnet dort, wo an Femininem kein Mangel ist, franste das Festival aus ins Beliebige. Als Produktplacement unter Marketingaspekten funktionierte der gewählte Quotenschwerpunkt Frau hervorragend, im Sinne einer Inventur des Genres aber nicht. Das hängt weniger mit der wirklich exzellenten Organisation zusammen, als schlicht mit dem Vorhandenen. Und einem allzeit reichlich erschienenen, alles dankbar feierndem Publikum war’s eh egal. Und dann wurde mit einem Schlag doch alles wieder gut. Sehr gut sogar, weil die beiden letzten Konzerte zum Kern der Sache zurückfanden, mit der blinden Sängerin und Pianistin Diane Schuur ins amerikanische Mutterland des Jazz und mit der einzigartigen Susi Hyldgaard nach Skandinavien, dorthin also, woher der europäische Jazz seit Jahrzehnten zuverlässig seine Innovationen bezieht. Die Hyldgaard rettete als souveräne und jenseits aller Schubladen angesiedelte Singer-Songwriterin den dritten Abend. „Komplizierte innere Musik“ nennt sie ihre höchst suggestive Endlosschleife, die in immer neuen Facetten von dem Ort handelt, an dem wir am verwundbarsten sind: zu Hause. Neuerdings fügt sie dem einige Interpretationen von Standards hinzu, deren autobiographische Wurzeln sie nicht nur benennt, sondern vorführt. Musik ohne Verfallsdatum ist das, überzeugend eben wegen ihrer vom Leben beglaubigten Beiläufigkeit. Das baut tragfähige Stimmungen, bleibt bei sich und erzählt davon, ohne sich beliebig an Diesem und Jenem orientieren zu müssen. Dieses Festival ist definitiv angekommen in der Stadt, auch weil es fantasievoll und vital mit diversen Spielorten auf die Leute zuging. Das Abschlusskonzert in der Ulrichskirche war noch einmal zuverlässig gefüllt. Endlich hieß die Parole Swing. Ein kurzweiliges Blättern im großen Songbuch war das, und Diane Schuur eine scattende, scherzende, voltenreiche Entertainerin in der Ahnenreihe von Ella, Sarah, Dinah und Billie, der großen Women in Jazz, die allesamt Sängerinnen waren. Ulrich Steinmetzger |
|