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So klingt Berlin: verstimmt, neurotisch, durchgeknallt, ironisch. Wer Auswärtigen die Stimmungsvielfalt zwischen Spandau und Neukölln nahe bringen will, muss nur zum neuen Album von JazzXclamation greifen.
„Aphrodite goes Shopping“ lautet der mysteriöse Titel. Der humanistisch gebildete Hörer erinnert sich, dass die Göttin Aphrodite für ihre Schönheit bekannt war. Über ihr Konsumverhalten ist uns Heutigen jedoch nichts bekannt. Die (einkaufslustige?) Dame auf dem CD-Cover mit trendigem Dalmatiner an der Leine hilft auch nicht viel weiter. Aber vielleicht kann ja die Musik das Rätsel lösen: Sie weckt wie ein bewusst verwackelter Videoclip die Vorstellung einer weiblichen Schönheit mit Gucci-Täschchen und Schoßhund, die mit ihrem Zehn-Zentimeter-Absatz in einen Haufen Großstadt-Hundedreck tritt. JazzXclamation fängt die Widersprüche und Alltagsfrustrationen des Großstadtlebens gekonnt ein. Stücke wie „Asphaltklang“ oder „Kaputter Walzer“ spiegeln den Pendelschlag urbanen Lebens zwischen hektischer Aktivität und Melancholie. Treibende Kraft bei JazzXclamation ist die junge Saxophonistin Kathrin Lemke. Sie studierte in Heidelberg und Frankfurt Geisteswissenschaften, bevor sie sich beruflich auf den Jazz einließ. Seit Abschluss ihrer Ausbildung 1999 wohnt sie in Berlin. Nach eigenem Bekunden ist Frau Lemke „seit Jahren 29“. Selbstironisch nennt sich die Musikerin im Booklet der CD ein „brave girl in the mean world of jazz“. Tatsächlich ist sie ein ziemlich schweres Kaliber für alle jene Hörer, die sich bei sanften Saxophontönen und mit einem Cocktailglas in der Hand entspannen wollen. Kathrin Lemke bläst ihnen ihre Erwartungen gnadenlos um die Ohren. Das Klischee von Frauen im Jazz, die nett herumstehen und ein bisschen singen, wird dabei restlos zerstört. „Es enthält ja ein Fünkchen Wahrheit“, gesteht die Saxophonistin und fügt hinzu: „Dadurch fühle ich mich aber nicht benachteiligt. Im Gegenteil. Ich finde das eher lustig. Und freue mich, wenn die Leute sich dann wundern.“. Zu wundern gibt es auf dieser Scheibe Einiges, zumal das Quartett seine eigene musikalische Handschrift hat, die sich gebräuchlichen Schubladen konsequent entzieht. Das Repertoire von JazzXclamation stammt gänzlich aus der Feder Kathrin Lemkes. Das titelgebende Stück „Aphrodite goes Shopping“ erinnert an die kargen, verzerrten Themen von Thelonious Monk. In „Ambivalley“ zeigt Kontrabassist Stephan Bleier seine virtuosen Qualitäten. Teils melancholisch-melodisch, teils eingängig-populär geben sich die Melodien des Albums. Alles jedoch wird verfremdet und ironisch gebrochen. Zu ungewöhnlichen Klangverfärbungen trägt auch Peer Neumann am E-Piano bei. JazzXclamation ist nicht das einzige musikalische Projekt von Kathrin Lemke. Das Trio „Anke und die Seemannsbräute“ mit zwei Saxophonen und Stimme will „furchtlos Klischees verwenden und zerstören“ – so die bedrohlich klingende Ankündigung auf der gelungenen Internetseite www.kathrinlemke.de. Nicht weniger obskur gibt sich „Protoplasma´s Little Brother“ – ein elektroakustisches Duo mit dem Kölner Organisten Frank Stanzl. Mit ihren Kollegen von JazzXclamation plant Kathrin Lemke ebenfalls weitere Aufnahmen und Konzerte. Möge ihr Aphrodite Glück und Erfolg bringen. Dass die Göttin häufig mit einem spöttischen Lächeln dargestellt wurde, scheint sie zur passenden Beschützerin für die sympathische Künstlerin mit dem bissigen Humor zu machen. Antje Rößler |
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