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Eigentlich ist die Frau da auf der Bühne nackt. Splitterfasernackt. Schutzlos. Gerade hat sie einen Seelenstriptease hingelegt, sich preisgegeben, von ihrem tiefsten Innern erzählt, von der multiplen Gespaltenheit ihrer Persönlichkeit. Ihre Entblößung hat nichts Peinliches, nur Würdevolles an sich. Wer die norwegische Sängerin Rebekka Bakken erlebt, muss sich auf einiges gefasst machen. Es gibt kein Entkommen.
Überschlagen haben sich die Kritiker, als die 33-Jährige mit ihrem Lebenspartner, dem österreichischen Meistergitarristen Wolfgang Muthspiel, jüngst auf deutschen Bühnen gastierte. Auch ein Projekt der Berliner Pianistin Julia Hülsmann, bei dem Rebekka Bakken Texte des amerikanischen Dichters E.E. Cummings singt, erfährt derzeit hymnische Rezensionen (zur Zeit präsentieren sich Bakken und Hülsmann live). Wer ist diese Frau, die es innerhalb eines halben Jahres geschafft hat, in aller Jazzmunde zu sein? Ein Portrait. Das bisschen Musik, das wir hören, machen wir uns selbst, dachten sich ihre Eltern. Zuhause wurde eifrig gesungen und musiziert. Eine Stereoanlage oder ein Radio gab es nicht. Dafür bekam Rebekka mit fünf eine Violine, auf der sie immerhin zehn Jahre spielte, bis es ihr „zu peinlich wurde, mit einem Geigenkasten herumzurennen. Ich besann und konzentrierte mich auf das, was ich schon immer gemacht habe, solange ich zurück denken kann: Singen.“ Getrübt wurden ihre musikalischen Ambitionen nur durch anerzogenes Unbehagen. „Musik fiel mir immer leicht. Deshalb war ich gleich von Schuldgefühlen beladen, weil mir meine religiöse Erziehung weismachen wollte, das etwas nicht stimmen kann, wenn man Freude für etwas empfindet, was man gut kann“, sagt sie mit sehr ernstem Gesichtsausdruck und hält dann einen mehrminütigen Monolog darüber, das solches Denken leider in vielen Religionen und auch Stammeskulturen verankert sei. „In der Schule hatte ich immer ein schlechtes Gewissen, wenn ich gute Zensuren für meine Lieblingsfächer bekam. Ich fühlte mich deshalb immer zu Dingen hingezogen, die mir nicht lagen, weil ich der Meinung war, es zu verdienen, wenn ich dabei versagte und dass nur harte Arbeit und Fleiß Erlösung bedeuten konnten.“ Als Teenager befreite sie sich langsam von der Reue. Sie nahm andere Musik wahr als die Klassik, die Kirchenlieder, Folklore und Schlager, die die Familie Bakken in den heimischen Wänden zum Besten gab. Sie interessierte sich für R & B, Blues, Rock und Funk. Ihre Liebe zum Jazz entdeckte Rebekka, weil sie jeden Sommer für ein norwegisches Jazzfestival arbeitete. „Ich war stark am Jazz interessiert, jedoch zunächst nur passiv, denn ich wollte mich künstlerisch nicht darauf einlassen. Aber dann sprach der Jazz zu mir, verführte mich und zog mich so an sich heran, dass ich mich kaum dagegen wehren konnte. Gut, ich bin wahrlich keine Jazzsängerin, zumal mir der ganze historische Hintergrund fehlt, aber ich fühle mich in einem Jazzumfeld wohl. Jazz bedeutet heute soviel mehr, als das American Songbook zu interpretieren. Hört euch nur einmal an, was in Europa unter dem Begriff Jazz passiert. Der Übergang vom Zustand, etwas zu mögen, wie in meinem Fall Jazz und dann aber festzustellen, dass du einen Scheißdreck darüber weißt, nämlich nichts, ist hart aber heilsam. Er hält dich bescheiden. Andererseits: Schwächen zuzugeben bedeutet Stärke zeigen.“ Ihre Stärke besteht nicht nur im Eingestehen der eigenen Unsicherheiten, sondern auch in einem einzigartigen Talent, mit Stimme und Mimik in jedem Stück in diverse neue Rollen schlüpfen zu können. Sie konfrontiert uns mal mit einem kleinen, verletzlichen Kind, mal gibt sie die Femme Fatale, danach dann vielleicht die Diva mit hochgezogener Augenbraue oder das einfache, demütige, rotwangige Mädchen vom Lande. „Ich schauspielere nicht“, sagt sie und bewegt den Zeigefinger wie ein Metronom. „Wenn ich auftrete, denke ich eigentlich nie darüber nach, was ich gleich musikalisch tun werde, oder wer ich jetzt sein möchte. Beim Schreiben ist es genauso. Ich lasse es passieren. Ich schreibe nur Worte nieder, die schon da sind, die die Musik verlangt und die ihr ohnehin schon gehören. Das hat alles nicht in erster Linie mit mir zu tun, denn wenn es das täte, würde ich gnadenlos versagen. Ich lasse einfach los, gebe die Kontrolle auf und lasse mich leiten. Nach Auftritten bin ich meist ungeheuer ausgeglichen, vermutlich, weil ich gerade alle meine versteckten Neurosen ausleben konnte.“ Im Herbst erscheint nun ein Solo-Album, das sie einfach hat geschehen lassen. „Ich weiß nicht, ob das ganze gut ist, aber ich liebe es. Die Songs sind schließlich meine Babies.“ Ssirus W. Pakzad
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