|
|
|
|
Jazzzeitung
2002/05 ::: seite 1
titelstory
|
|
|
|
|
|
|
|
Festivals engagieren ihn als künstlerischen Leiter (so die Ruhrtriennale für 2003/2004).
Er ist zuständig für die Finanzierung und die Organisation des österreichischen Jazzpreises. Er komponiert
klassische Musik für verschiedene Auftraggeber und ganz verschiedene Besetzungen. Doch das sind nur die Nebenjobs
von Mathias Rüegg (unser Bild, Foto: Andy Orel): Seine Hauptaufgabe sieht er nach wie vor in der Arbeit mit dem
Vienna Art Orchestra (VAO), das der Schweizer vor genau 25 Jahren gründete. Aus diesem Anlass führte die
Jazzzeitung ein Interview mit dem Leiter des so genannten Flaggschiffs des europäischen Jazz, Mathias
Rüegg.
Jazzzeitung: In den 80ern hieß ein Album Suite for the green eighties, heute nennen Sie
Ihr jüngstes Album art & fun (Emercy/Universal). Welche Veränderung hat das VAO durchlaufen?
Mathias Rüegg: Das Orchester hat zweifelsohne einen Reifeprozess durchlaufen. Aus der Posthippie-Band
mit all ihrem Wahnsinn ist ein ernst zu nehmender Klangkörper geworden, der eine Synthese zwischen amerikanischer
und europäischer Tradition repräsentiert. Seit zehn Jahren schreibe ich nur noch thematische Programme,
die sich sehr genau mit einem Thema beschäftigen und dieses von den verschiedensten (subjektiven) Seiten ausleuchten.
Die Nummern sind sehr genau auf die Solisten zugeschnitten, und der dramaturgische Ablauf mit der ganzen Visualisierung
wird konsequent geplant und umgesetzt, mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln. Das heißt, wir haben
20 Tonnen Equipment mit, inklusive Bühne, Licht und Ton. Damit sind wir unabhängig und finden immer dieselben
Bedingungen vor.
Jazzzeitung: Welche Veränderung hat der Jazz im vergangenen Vierteljahrhundert durchlaufen?
Rüegg: Wenn wir aus heutiger Sicht zum Beispiel die 40er-Jahre betrachten, dann fällt es uns sehr
leicht. Es ist klar, wer die Entwicklung des Bebop vorangetrieben, wer sich von der Swingmusik nicht gelöst,
wer instrumentale Standards gesetzt hat und wer Außenseiter war. Mir fällt auf, dass sich die Jazzmusik
als reproduktive und nicht mehr als innovative Kunstform zu etablieren beginnt und in Bälde einen
ähnlichen Stellenwert wie die klassische Musik einnehmen wird. Das heißt, die Preise erhöhen sich
und das Publikum wird (noch) älter werden.
Jazzzeitung: Das VAO ist gerade in einer Blick-zurück-Phase. Zuerst das Programm A
Centennary Journey (auf CD bei Quinton/Efa Medien) dann art & fun, das ganze Programm ein großes
25-Jahre-Selbstzitat. Aber: Welche Zukunft hat ein Orchester wie das Ihre?
Rüegg: Große Jazzformationen haben grundsätzlich keine Zukunft, außer der, die man sich
selber schafft. Jeder, der in dieser Branche arbeitet, weiß, was es heißt, mit einem 27-köpfigen
Tross, 31 Konzerte en suite zu spielen. Im Prinzip entscheidet sich die Zukunft von Jahr zu Jahr. Nach einem ziemlichen
Down Ende der 80er- bis in die 90er-Jahre geht es seit einigen Jahren wieder aufwärts. Das Publikum weiß
es zu schätzen, dass wir jedes Jahr mit mindestens einem neuen Programm (manchmal auch mit mehreren) unterwegs
sind und bekundet dieses Interesse durch immer zahlreicheres Erscheinen, wobei leider negative Überraschungen
nie ausgeschlossen sind.
Jazzzeitung: In art & fun verweisen Sie gerne auf eigene VAO-Titel. Können Sie unseren
Lesern schildern, wie die Komposition funktioniert?
Rüegg: Ich wollte für mich herausfinden, was denn eigentlich das Art Orchestra ausmacht, und bin
dadurch auf die Pole Anspruch (art) und Spaß (fun) gestoßen. Ich habe mir dann sämtliche CDs mit
der Partitur unter diesem Aspekt durchgehört und etwa 150 markante Stellen gesammelt. Diese Zitate habe ich in
zehn Untergruppen aufgeteilt, wie Bassriffs, rhythmische Patterns, harmonische Progressionen, Melodien, Nebenstimmen,
Bläserriffs et cetera, alle nach Tempi, Stimmungen und Grooves geordnet. Dann ging es darum, einen Raster für
die dreizehn Titel und deren Solisten zu finden. Schlussendlich habe ich die Zitate auf die verschiedenen Stücke
aufgeteilt und sie miteinander zu einem neuen Ganzen verwoben.
Jazzzeitung: Mit Ihren Satie-Paraphrasen setzten Sie neue Maßstäbe. Was denken Sie über die
Inflation der Klassik-Paraphraseure wie Uri Caine, Mike Svoboda, Joachim Kühn (um nur die besten
zu nennen)?
Rüegg: Nachdem sich die Jazzmusik immer mehr dem Status der klassischen Musik nähert, ist es folgerichtig,
dass die Jazzmusiker sich der klassischen Wurzeln annehmen, die im Bezug auf Harmonik, Melodik und Struktur die Jazzmusik
schon vorweggenommen haben. Deswegen ist es immer wieder interessant, Parallelen zu entdecken oder Querbezüge
herzustellen, um die Resultate in einen anderen rhythmischen Kontext zu setzen. Denn nur durch die Rhythmik unterscheiden
sich diese zwei Musikgattungen fundamental voneinander.
Jazzzeitung: Das Vienna Art Orchestra verjüngt sich regelmäßig. Wie suchen Sie Ihre neuen
Musiker aus? Welche Anforderungen stellen Sie?
Rüegg: Tatsächlich spielt die Altersstruktur im VAO eine nicht unwesentliche Rolle. Fangen wir mit
den älteren Musikern an. Sie bringen Reife, Erfahrung und das Know-how mit, wie bestimmte Dinge im Vienna Art
Orchestra gespielt werden sollten. Dann gibt es den Mittelbau, der zahlenmäßig am stärksten vertreten
ist und für die Professionalität der Durchführung steht.
Zum Schluss kommen die Jungen, die frisches Blut und frische Ideen mitbringen und sich geduldig die Witze der älteren
Generation anhören oder auch nicht!
Neben all diesen Kriterien braucht es Musiker, die gerne Reisen, Spaß am Spielen in dieser Band haben und die
gleichzeitig verrückt und trotzdem zuverlässig sind bei gegenseitigem Respekt!
Das Gespräch führte Andreas Kolb
|