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Nahezu alle Hörer bayerndreier Rundfunkwerbung kennen Senden bei Ulm aufgrund der Commercials des dortigen Möbelhauses. Nur wenige Zeitgenossen wissen jedoch, dass das 20.000-Einwohner-Städtchen an der Iller mit einem eigenen Jazzlabel aufwarten kann. Seit 1985 bietet der wackere York von Prittwitz, ehemaliger PR-Mann bei CBS, Phillips und EMI-Elektrola, mit seinem Liebhaberlabel YVP den Großen Paroli. Ich war bis Ende 1984 PR-Chef bei der EMI-Elektrola, war in erster Linie für die Schnulzen zuständig. Eines Tages konnte ich das alles einfach nicht mehr ertragen. Mir war klar, auf Dauer gehe ich innerlich kaputt. Ich war 45 Jahre alt, war mit Howard Carpendale auf Tournee und da hatte ich einen Unfall, war eineinhalb Jahre außer Gefecht, lag monatelang in Hamburg im Krankenhaus und hab mir überlegt, wie lang ich noch mit den Schnulzen im Rucksack von Radio zu Radio und von Pressekonferenz zu Pressekonferenz laufen möchte. Das hat einfach keinen Spaß mehr gemacht. Die bei EMI-Elektrola waren dann auch sehr anständig zu mir, als ich weg wollte. Ende 84 hab ich dann meinen Sprung gemacht und hab sofort angefangen zu produzieren. Heute sichert sich der inzwischen 64-jährige Prittwitz seinen finanziellen Hintergrund mit freiberuflicher PR-Arbeit für Sonoton, einen Backgroundmusikverlag, der Industriemusik vertreibt, Geräusche, Trailer, Jingles, Untermalungsmusik fürs TV. Immerhin auch zwei komplette CDs mit Musik aus dem Hause YVP vervollständigen diese größte konzernunabhängige Music-Library der Welt. Eine Jugendliebe verschlug Prittwitz einst für einige Zeit nach Mailand. Die damals miterwachte Liebe zum italienischen Jazz ließ ihn bis heute nicht los. So verlegte sich das Sendener Label von Beginn an schwerpunktmäßig auf die italienische Szene. Enrico Pieranunzi war einer der ersten Musiker, die YVP produzierte, inzwischen liegt ein umfangreicher Katalog mit italienischen Spitzenjazzern vor, von Franco dAndrea bis zu Carlo Actis Dato, von Guido DiLeono bis zu Tony Pancella oder Stefano Sabatini. Besonders freut sich Prittwitz über seinen neuesten Coup, eine Aufnahme mit Romano Mussolini, zu dessen Fangemeinde sich der Sendener Labelchef zählt, seit er den Pianisten 1957 zum ersten Mal sah. 1996 hab ich ihn in Ulm getroffen, als er hier mit Oscar Klein spielte. Er wusste, dass ich Pieranunzi produziere, und wir kamen ins Gespräch. Aber erst jetzt hat sich die Gelegenheit ergeben, das ich eine Produktion übernehmen konnte: Romano Mussolini & Lino Patruno, The wonderful World of Louis Armstrong. Der illustre Name des Duce-Sohnes gilt Prittwitz nichts, der könne sich kommerziell allenfalls negativ auswirken. Ihm kommt es allein auf die Musik an: Das kann jeder im Geschichtsbuch nachlesen, was Romano Mussolini mit dem Faschismus zu tun hat, nämlich nichts! Da können die Dummschwätzer sagen, was sie wollen, weil es wirklich so ist. Mussolini ist Musiker, immerhin einer der gefragtesten Musiker Italiens. Der Stiefel voll Jazz, wie ein Prittwitz-Beitrag im Programmheft vom JazzFest Berlin einmal überschrieben war, ist eindeutiger Schwerpunkt, das Spektrum von YVP geht jedoch darüber hinaus: So gehören Aufnahmen des Holländers Gijs Hendricks ebenso selbstverständlich zu den Neuerscheinungen der letzten zwei Jahre wie CDs des Kölner Trompeters Hans Peter Salentin oder des Münchener Pianisten Joe Kienemann, der mit Amsel, Drossel, Swing und Funk auf seiner neuesten Scheibe deutsches Liedgut erswingen lässt. Allein im laufenden Jahr verwirklicht YVP 15 Produktionen, geplant sind derzeit unter anderem CDs mit Jimmy Garrisons Tochter Joy Garrison, Anette Neuffer oder Christian van der Goltz. Prittwitz fördert bewusst jüngere Musiker, denn: Im Nachwuchs steckt die Zukunft. Tobias Böcker |
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