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Dass Frankreich, was Anzahl, Akzeptanz, Dauer und Finanzierung von Festivals angeht, in Europa einzigartig dasteht, wird jedem Besucher deutlich, besonders wenn er aus Deutschland kommt. Französische Jazz-Festivals unterscheiden sich erheblich von vergleichbaren hier zu Lande. Ihre Programme weisen zum großen Teil einheimische und europäische Musiker aus, die Subventionen sind großzügig. Städte, Departements und das Kultusministerium geben Geld, um ihre Musiker zu fördern und sie einem breiten Publikum vorzustellen oftmals bei freiem Eintritt. Die US-Stars sind zwar das Salz in der Suppe, doch haben sie längst nicht die Vormachtstellung wie hier zu Lande. Der Prophet im eigenen Land, hier gilt er noch etwas.
Die Festivals im südlichen Nimes (Printemps du jazz) und im alpenländischen Grenoble machten den Anfang einer langen Reihe zahlreicher Großereignisse in unserem Nachbarland. Über dreihundert an der Zahl überziehen alljährlich das Land, von Nord bis Süd, von Ost bis West mit unterschiedlichen Programmen und Konzepten, versteht sich. Sowohl in Grenoble wie in Nimes fanden die Festivals typisch französisch nicht nur am Abend, auch nicht voll gepackt mit drei oder vier Gruppen und nicht nur an einem einzigen Ort statt. Ob Theater, Museum, Kulturzentrum oder Kaufhaus Fnac: an allen Ecken der Stadt swingte es. In Grenoble, das seine 30. Auflage erlebte, stellten sich in den Mittagskonzerten einige Solisten vor (herausragend: der Cellist Vincent Courtois), am Nachmittag regionale und nationale Gruppen. Abends dann im gediegenen Ambiente des Theaters waren einige Höhepunkte auszumachen. Das PAF Trio des sardischen Trompeters Paolo Fresu erntete Beifallsstürme. Dem in Paris lebenden Fresu, als spiritueller Sohn von Miles Davis angekündigt, gelang ein Mix aus Klassik- und Folklore-Elementen, lyrischen Improvisationen und kühlen Avantgarde-Sounds. Er jagte Töne durch den Raum, die vom Pianisten Antonello Salis, der gelegentlich an Cecil Taylor erinnerte, und vom Bassisten Furio di Castri aufgegriffen und variiert wurden. Noch früher als Fresu hat sich Bassist Henri Texier von anglo-amerikanischen Vorbildern gelöst, dies freilich nach langjähriger Zusammenarbeit mit Exil-Amerikanern wie Phil Woods, Don Cherry oder Johnny Griffin. In Grenoble präsentierte Texier mit seinem starken Trio einen Live-Soundtrack zu einem Dokumentarfilm über das Leben und die Kultur der Berber: aufwühlende, emotionale Musik, die mit Motiven der maghrebinischen Folklore spielte. Klänge, die auch ohne Bilder berührten. Anrührend auch die Interpretationen der Piazzolla-Kompositionen, die Richard Gaillanos Kammerensemble zum zehnten Todes- und achtzigsten Geburtstag des großen Bandoneon-Virtuosen in diesem Jahr darbrachte. Auf so viel Sonne warf einzig Elliott Sharp Schatten. Der New Yorker Gitarrist konnte mit seinem Projekt Terraplane wenig überzeugen. Indisponierte Vokalisten (einer von ihnen: Mingus-Sohn Eric) und ein Blues-Gitarrist (Hubert Sumlin), der sich nichts anmerken ließ. 50 Konzerte mit 220 Musikern insgesamt waren in Grenoble aufgeboten, um toutes les couleurs du jazz abzulichten, wie sich der langjährige Leiter Jacques Panisset ausdrückte. Aus den Quatre jours du jazz von 1973 ist ein stattliches Festival geworden, das die ganze Bandbreite des Jazz erfasst. In Nimes wird diese Bandbreite eingerahmt von Workshops, Gesprächen mit Musikern (eine dieser rencontres fand mit Joachim Kühn statt), Foto-Ausstellungen (Roberto Masotti) und Filmvorführungen. Mit diesem schlüssigen Konzept wagte Nicolle Raulin 1996 einen Neuanfang und ließ die Star-Vergangenheit des Festivals hinter sich. Offensichtlich sind die neuen Ratsherren, konservativ orientiert, anderer Meinung: sie wollen den printemps du jazz kommerzieller gestaltet sehen und die verdiente künstlerische Leiterin in die Wüste schicken. Dabei ist ihr im Jahr 2002 ein besonders attraktives Programm gelungen. Blues und weltmusikalische Strömungen fanden ebenso Eingang wie moderne Stilrichtungen und avantgardistische Tendenzen. Beim Pianisten Kenny Werner, einer der meist unterschätzten Musiker des Jazz, ging die Erneuerung von Rückgriffen auf klasssische Traditionen aus. Er integrierte sie in sein vom Bop geprägtes Spiel, das stets Freiräume schuf, wo sich seine beiden Partner Ari Hoenig (dr) und Andreas Weidenmüller (b) konzentriert entfalten konnten. Entscheidende Impulse sind in den letzten Jahren von Chicago ausgegangen. Neben Peter Brötzmann tat sich auch Bassist Peter Kowald dort um. Gemeinsam mit dem Trompeter Hugh Ragin hat er Open systems ins Leben gerufen. Das Quartett (Assif Tsahar, ts, und Hamid Drake, dr) besticht durch Intensität und Kreativität, was vom Publikum aufmerksam registriert wurde. Mit einem anderen Projekt stellte sich Ragin noch vor, seinem Trumpet Ensemble. Vier Trompeter (Ragin, Dontae Winslow, Omar Kabir, James Zollar) wurden von einer feurigen Rhythmusgruppe zu Höchstflügen animiert, die, durch die verschiedenen Kompositionen geschickt austariert, zahlreiche Facetten der Trompete zu Tage förderten. Abschließend waren in Nimes der in Frankreich recht populäre Joachim Kühn zu hören sowie das Joe Lovano Trio. Wenn letzterer plötzlich, wie in Nimes vor begeistertem Publikum geschehen, sich zum expressiv aufspielenden Kühn-Trio gesellt und eine Jam-Session-Atmosphäre herstellt, ist die Jazz-Welt wieder in Ordnung. Auch für derlei überraschende Begegnungen braucht man Festivals. In Frankreich funktioniert dies besser als anderswo. Reiner Kobe |
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