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Rassismus. Bürgerrechteverweigerung. Zweite-Klasse-Menschen. Jazz. Ein Wort passt in diese Aufzählung nicht hinein und steht dennoch an der richtigen Stelle. Denn was Jazz (und damit Improvisation) und der Kampf um Bürgerrechte und Gleichberechtigung der farbigen Einwohner der Vereinigten Staaten von Amerika miteinander zu tun haben, erschließt sich aus einem umfangreichen musikalischen Werk namens „Ten Freedom Summers“. Sein Urheber, der Trompeter und Komponist Wadada Leo Smith, sagt dazu: „‚Ten Freedom Summers’ ist eine der wichtigsten Arbeiten meines Lebens.“ Trompeter und Komponist Wadada Leo Smith Jazz war immer, mal ausgeprägt, mal weniger im Fokus, ein wesentlicher Teil der Anti-Diskriminierungsbewegung und der Rassentrennung in den USA. Der „Civil Rights Act“, das amerikanische Bürgerrechtsgesetz von 1964, beendete nach sehr langem Kampf die Ungleichheit innerhalb der amerikanischen Gesellschaft, wenn auch die Umsetzung der neuen Vorschriften gegen Rassentrennung in Restaurants, Kinos oder Sportstadien und diskriminierende Wahltests für Afroamerikaner nur langsam erfolgte. Gleichwohl verbesserte es die Lage der Farbigen, die durch spektakuläre Aktionen dafür gesorgt hatten, daß dieses Thema in der amerikanischen Gesellschaft präsent blieb. Fünfunddreißig Jahre lang arbeitete Wadada Leo Smith an dieser monumentalen Komposition. Das erste Stück der Sammlung schrieb er 1977 für den Komponisten und Violinisten Leroy Jenkins: eine Hommage an den Bürgerrechtsaktivisten „Medgar Evers: A Love-Voice of a Thousand Years’ Journey For Liberty and Justice“. Evers starb am 12. Juni 1963 nach einem mörderischen Anschlag durch den Weißen Byron De La Beckwith, der den NAACP-Aktivisten vor dessen Haus in Jackson/Mississippi in den Rücken geschossen hatte. Das politisch motivierte Drama verarbeitete der Regisseur Rob Reiner 1996 in seinem Film „Das Attentat“. Auf „Ten Freedom Summers“ interpretiert das Kammermusikensemble „Southwest Chamber Music“ das zehnminütige Stück, das im Stile europäischer Neuklassik sowohl den dramatischen wie den emotionalen Hintergrund beleuchtet. Wadada Leo Smith würdigt in seinen anfangs 21 Titel umfassenden, dann für die Schallplattenaufnahmen auf 19 reduzierten Suiten die Helden und Märtyrer einer Ära, die zu einer der, Pardon, schwärzesten in der amerikanischen Geschichte zählt. Smith hebt jedoch hervor, dass „Ten Freedom Summers“ keine Suite oder ein in anderer Form ausgedehntes Werk bildet. „Das würde bedeuten, daß es kompositorische Elemente gibt, dessen zerteilte Details miteinander in Verbindung stehen,“ sagt Smith. „Das ist aber nicht der Fall. Jede Komposition in ‚Ten Freedom Summers’ ist abgeschlossen und steht für sich selbst.“ Aus dem Generalthema „Civil Rights“ heraus entwickelte Wadada Leo Smith eine Art Soundtrack, der Einzelereignisse im langen Freiheitskampf der afroamerikanischen Einwohner tief in das kollektive Bewusstsein eingebrannt haben. Da fügt Smith den Fall der NAACP-Aktivistin Rosa Parks, die sich 1955 in Montgomery/Alabama weigerte, ihren Sitzplatz in einem Bus für einen Weißen zu räumen, in einen Klangkosmos ein, den das Golden Quartet (Smith sowie Anthony Davis, John Lindberg, Pheeroan akLaff) wie einen Akt des passiven Widerstands gegen staatliche Willkür inszeniert. Markanter musikalischer Akt ist auch eine Würdigung für Thurgood Marshall, der als erster afroamerikanischer Richter an den Obersten Gerichtshof der USA berufen wurde. Noch als Rechtsanwalt trug er mit dazu bei, daß im sogenannten „Brown vs. Board of Education“ die getrennte öffentliche Schulbildung mit dem Gleichheitsgrundsatz in der Verfassung unvereinbar ist. Auch der Fall „Emmett Till: Defiant, Fearless“ (1955 ermordet aus rassistischen Motiven) oder „The Little Rock Nine: A Force for Desegregation in Education“ (die ersten Schüler, die 1957 nach Aufhebung der Rassentrennung an öffentlichen Schulen die Little Rock Central High School besuchten) erhellen den afroamerikanischen Freiheitssommer. „Ten Freedom Summers“ hält sich auf der Linie anderer Jazzmusik, die sich mit den Freiheits- und Bürgerrechten der Afroamerikaner auseinandersetzte. Die „Freedom Suite“ (1958) von Sonny Rollins ist zu nennen, „Attica Blues“ von Archie Shepp (1972) oder Werke von Gil Scott-Heron, The Last Poets und The Pharaohs. Doch so ausführlich und gründlich wie Wadada Leo Smith seinen Rückblick auf eine dunkle Seite der USA-Geschichte in Musik umsetzte, ist vor ihm noch niemand vorgegangen. Klaus Hübner Diskografie
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