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Peter Brötzmann stand gedankenverloren am Ufer der Spree, mitten in einem verregneten Sommer in einen herbstlichen Mantel gehüllt, den Rauchschwaden des unvermeidlichen Zigarillo nachschauend. Das 45 Jahre andauernde musikalische Lebenswerk der inzwischen 71 Jahre alten deutschen Free-Jazz-Legende war der rote Faden des viertägigen A L’Arme!-Festivals in einem alten Pumpwerk in der Nähe des Bahnhofs Jannowitzbrücke. Radialsystem nennt sich die seit sechs Jahren bestehende experimentierfreudige Kulturstätte, die sich erstmals der improvisierten Musik widmete. 16 Konzerte an vier Tagen, mit Musikern, die fast alle irgendwie einmal Brötzmanns Weg gekreuzt haben. Natürlich durften die in Ehren ergrauten treuen Fans mit den weithin sichtbaren Sun Ra-T-Shirts nicht fehlen. Zum Erstaunen, wohl auch von Brötzmann selbst, scharte sich darum aber auch ein auffallend junges Publikum. Generationsübergreifend nennt man so etwas. Louis Rastig, der erst 25 Jahre alte Pianist und Sohn des Posaunisten Conrad Bauer, der auch immer wieder mit Brötzmann gemeinsam auf der Bühne gestanden hat, organisierte das Festival. Ausgestattet mit einer freien Hand bei der Auswahl der Musiker, gefördert unter anderem vom japanischen Kulturinstitut und der norwegischen Botschaft. Partner aus gemeinsamen Unternehmungen Rastigs gehörten dazu, aber auch Weggefährten des Vaters, zum Beispiel Irene Schweizer. „Für mich als Pianist einfach nur ein Vorbild. Eine umwerfende Erfahrung, dass sie sofort ihr Kommen zusagte“, freute sich Rastig. Das ist nicht ganz selbstverständlich, denn auch Irene Schweizer ist mittlerweile 71 Jahre alt, und dass sie dann auch gleich noch den nur ein Jahr jüngeren Han Bennink mit nach Berlin brachte, ist fast ein Geschenk. So empfinden die beiden auch ihren gemeinsamen Auftritt. „Dankeschön“, loben sie sich gegenseitig, Dankeschön sagt das Publikum und Rastig strahlt, spricht einfach nur von einem „Klassiker“ und eilt schon in den nächsten Raum, um eine weitere Legende aus Chicago anzukündigen. Joe McPhee, der einen unverkennbaren Ton auf dem Tenorsaxophon geschaffen hat, inzwischen aber weit mehr mit den Klangmöglichkeiten seiner Taschentrompete beschäftigt ist. Survival Unit III nennt sich dieses seit Jahren von Festival zu Festival reisende Trio mit zwei anderen Klangbastlern, dem Cellospieler Fred Lonberg-Holm und dem Percussionisten Michael Zerang. Schweizer, Bennink, McPhee und natürlich Brötzmann selbst mit seinen japanischen Partnern Masahiko Satoh, Takeo Moriyama und Keiji Haino – sie stehen für die Urväter des Free Jazz, auch Ulrich Gumpert mit seinem leise-nachdenklichen Erik Satie-Solovortrag. Doch Rastig wollte mehr. Genreübergreifend, wohl auch jugendgemäß sollten die vier Tage im Radialsystem sein. Da scheute er sich nicht, die holländischen Punk-Veteranen Andy Moor und Colin McLean vorzustellen. Auch Neneh Cherry, die ebenfalls mit reichlich Punk-Vergangenheit ausgestattete Stieftochter des Trompeters Don Cherry, hatte da ihren Platz. Überhaupt gab es eine ganz beachtliche Frauenquote: mit Silke Eberhard und Aki Takase oder mit der begeisternden Moskauer Schlagzeugerin Olga Nosova in Rastigs eigener Band. Dass ganz zum Schluss dann Peter Brötzmanns Sohn Caspar im unfassbar lauten Trio mit Marino Pliakas und Michael Wertmüller auf der Bühne stand, galt geradezu als symbolhaftes Versprechen für die Lebendigkeit der Szene und verlangt fast zwingend nach einer Neuauflage. Gottfried Schalow |
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