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München. Das sparsame Hamburg hat gleich zwei, das fast bankrotte Berlin ein großes, eine Kleinstadt wie Burghausen ein richtig wichtiges, nur im reichen München, da braucht man dafür einen Tom Cruise: Es ist fast eine Mission Impossible, in dieser Stadt des Kulturüberangebots und des Hangs zur teuren Hochkultur alljährlich ein Jazzfestival aufzuziehen. Umso bemerkenswerter, dass Innegrit Volkhardt, Jazzfan und Chefin des Hotels Bayerischer Hof, den aufreibenden Part des Actionhelden – unterstützt von den Programmmachern Brane Ronchel Branko und Katarina Ehmki – seit 21 Jahren auf sich nimmt: 15 Jahre lang mit dem jazzigsten Teil des Crossover-„Klaviersommers“, nach dessen Ende nun seit sechs Jahren auf eigene Rechnung mit dem einwöchigen „Jazz Sommer“. Marc Ribot. Foto: Dombrowski Mindestens so bemerkenswert ist, dass man – selten so gut wie in diesem Jahr – seinen Platz gefunden hat. Beim Jazz Sommer geht es um Heldenverehrung, um die in einem Grandhotel ideal verortete geballte Präsenz verdienter Recken. Ein – wie auch der Publikumszuspruch in diesem Jahr beweist – richtiger, weil konkurrenzloser Weg: den aktuellen Stand des Jazz kann man ja beinahe jeden Abend in der Unterfahrt begutachten, die Leistungsfähigkeit der heimischen Szene ebendort, im „Vogler“ oder beim JIM-Jazzfest. Hier also waren die musikalischen Gäste zwischen 58 und 72 Jahre alt, mit Ausnahme von Ana Karina Rossi, dem einzigen weiblichen, mit Abstand jüngsten und unbekanntesten Gast. Sie blieb freilich auch am unscheinbarsten, mit ihrer allzu braven Tango- und Milonga-Lehrstunde. Da war der Auftakt von einem ganz anderen Kaliber. Gilberto Gil, der 70-jährige Minister der Musica Popular Brasileira, überraschte im Festsaal mit einem sehr kammermusikalischen Streifzug durch seinen Amtsbereich. Keine der tanzbetonten Salsa-Sausen also, für die war später der Geiger Alfredo de la Fe zuständig. Gil hingegen machte aus eigenen Hits wie „Chiclete Com Banana“ und Stücken von Jobim bis Veloso und sogar Hendrix ein fein gewebtes, noch im vertracktesten Rhythmus leicht fließendes, unglaublich musikantisches Kunstwerk. Dank seiner unverwechselbaren Sprechstimme, vor allem aber dank seines um Perkussion angereicherten reinen Saiten-Quartetts mit dem herausragenden Jacques Morelenbaum am Cello. Die letzte entspannte Zugabe war oben noch nicht verklungen, da ging es unten im Nightclub bereits richtig zur Sache: Es bleibt das Geheimnis des 68-jährigen Bassisten Dave Holland, wie er noch jede seiner Bands zur Referenz der jeweiligen Besetzung macht: Auch sein New Quartet addierte vier instrumentale Weltmeister (insbesondere Eric Harland präsentierte sich wieder als omnipotenter, derzeit an Tempo, Musikalität und Feinstrukturen unerreichter Schlagzeuger) zu einer maximalen Quersumme individueller Qualität. Vor allem bei den Kompositionen des Gitarristen Kevin Eubanks erklang Jazzrock reloaded und wie von einem anderen Stern. Nicht minder eindrucksvoll am folgenden Abend der grandios auf die Spitze getriebene, mit maximalem Jazz-Groove aufgeladene und lustvoll parodistisch dekonstruierte Hybrid-Son des Gitarristen Marc Ribot und seinen „falschen Kubanern“. Dagegen fiel die Avantgarde-Fusion des gleichaltrigen Kollegen Mike Stern etwas ab – nicht unbedingt musikalisch, sondern, weil Stern nun seit geraumer Zeit um den immer gleichen eigenen Kosmos kreist, und dies bereits rekordverdächtig oft im Bayerischen Hof. Trotzdem, einer solchen Legende erweist man auch noch bei Altherrensport die Ehre. Zumal man beim Vergleich mit Eric Harland vom ersten Abend sehen konnte, wohin sich Bakers Anstöße in 40 Jahren entwickelt haben. Solche Bögen schließt in München nur der Jazz Sommer. Oliver Hochkeppel |
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