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Sylke Merbold hat es wahrscheinlich geschafft: das Bayerische Jazzinstitut BJI, das sie seit dem Tod ihres Vorgängers, Entdeckers und Förderers Richard Wiedamann im Januar 2011 „kommissarisch“ leitet, wird wohl per Minister-Ukas seinen Träger wechseln. Statt der Landesarbeitsgemeinschaft Jazz (LAG), die einst eigens als Rechtsträger des BJI geschaffen worden war, wird in Zukunft, man höre und staune, der Bayerische Sing- und Musikschulverband zuständig sein. Glaubt man Merbold, dann ist das nicht nur der Qualität dienlich, sondern auch ein Sieg über Intrigen: „Seit mehr als einem Jahr wird um die Zukunft des Bayerischen Jazzinstituts gerungen. Selten sahen wir uns mit offenen Angriffen konfrontiert – auf die wir wenigstens reagieren konnten – meist wurde im Hintergrund agiert“, schreibt Merbold in einem „Statement in eigener Sache“, das als Titelstück auf der Homepage www.bayernjazz.de des BJI prangt. Angriffe im Hintergrund – damit kann Merbold schwerlich den moderat kritischen Artikel in der Jazzzeitung vom Mai 2011 vom Verfasser auch dieser Zeilen meinen, denn offener und öffentlicher als in einer Zeitschrift geht es ja nicht. Sie selbst freilich reagierte, indem sie den ihr persönlich bekannten, dennoch nur als „einen Herrn H.“ titulierten Autor mit Vorwürfen vom Kampagnenjournalismus bis Verrat am „Kampf gegen Vorurteile, Besitzstandswahrung und bestehende Netzwerke“ vorwarf – in einem internen Schreiben an die LAG-Mitglieder, also selbst im Hintergrund. Von Merbolds speziellem Kampf gegen Besitzstandswahrung und bestehende Netzwerke wird noch die Rede sein, zunächst sei ihre Methode „Angriff ist die beste Verteidigung“ weiter verfolgt. Der nämlich blieb sie vom Rausbeißen nicht linientreuer Ehrenamtlicher in verschiedenen Gremien über rüde Attacken und Manöver gegen den neugewählten LAG-Vorstand bis zum beleidigenden Tweet nach einem SZ-Artikel treu. In der Tat, „Frau M.“ versteht sich auf das Wort als Waffe. So gut, dass sie sich selten in die Niederungen sachlicher Argumentation begibt. Denn für einen Kenner der Jazzlandschaft lesen sich Merbolds diverse Rundschreiben, Selbstdarstellungen und Rechenschaftsberichte (die das BJI ja seinem Kuratorium vorlegen muss) entlarvend: Gebetsmühlenartig und schwülstig wird da die „Philosophie“ ihres Hauses aufgebläht („Wir sind Beides: Institut und virtuelle Lebensform, wissenschaftliche Einrichtung und Lobbyzentrum für Freiheit in der Musik, geeint mit einem Bewusstsein für eine persönliche Verantwortung für die Gesellschaft“); werden die wenigen, eher dem Zufall als einer strukturierten Arbeit geschuldeten Leuchtturmprojekte als repräsentativ dargestellt; wird sich fürs sicher verdienstvolle Jazzweekend Regensburg auf die Schulter geklopft (ohne dass freilich je erwähnt wird, dass alle Musiker dort für 80 Euro Gage spielen, man also genau das Spielchen der Ausbeutung der Kreativen mitmacht, gegen das derzeit die Berliner Jazzer zu Recht mobil machen); führt Merbold ausdauernd ihre wichtige Rolle beim Verankern des Jazz und der Weltmusik im neuen Bayerischen Musikplan ins Feld (ein gewisser Verdienst, doch besonders dieses Papier ist wie seine Jahrzehnte alten Vorgänger geduldig); und, das darf nie fehlen, es wird ausführlich und mit der nötigen Prise ehrfurchtsgebietendem IT-Jargon auf die geradezu bahnbrechende Arbeit im Internet und in den sozialen Medien verwiesen – belegt zum Beispiel durch über 480.000 Besucher im Jahr 2011. Nimmt man diese Zahl als gegeben, bleibt die Frage, worauf da zugegriffen wird. Und das ist, man kann es nicht anders sagen, ein völlig unübersichtliches, unbrauchbares und krudes „Netzwerk mehrerer Homepages“. Poesiealbumsprüche, atemberaubende „Schmunzel-ecken“ und „Jazzkapaden“ korrespondieren mit einem wirren Tweet über alles Jazznahe und -ferne. Interessant klingende Angebote wie der „Jubiläenkalender“ begrüßen einen mit „Achtung- Testphase: Bitte nicht über die begrenzte Anzahl der Einträge wundern!“ oder, bei den „Galerien“, mit „Daher heißt es auch in diesem Bereich: Eile mit Weile, das Warten wird sich lohnen.“ „Bayernjazz“ im WebEine echte Lachnummer ist seit eh und je die aufwändig in Regierungsbezirke unterteilte Liste bayerischer Musiker: Ganze 48 Namen umfasst sie derzeit, einen Johannes Enders, einen Christian Elsässer, selbst einen Klaus Doldinger sucht man wie fast alle namhaften bayerischen Jazzer dort vergebens, das Jazz-Dozentenverzeichnis mancher Musikhochschule ist umfangreicher. Ähnlich sieht es mit den Fernsehtipps auf der eigenen Seite www.jazzfix.de aus – naturgemäß, da der Jazz ja im Fernsehen fast nicht vorkommt, vielleicht auch dank solcher „Interessenvertreter“. Brauchbar sind der Festivalkalender und mit Abstrichen die kommentierten Weblinks. Auf letzteren kann man zum Beispiel den „Wegweiser Jazz“ des Jazzinstituts Darmstadt finden – wo alle wesentlichen Fakten und Namen zum deutschen Jazz mustergültig aufbereitet sind. Den Vergleich mit dieser fast zur gleichen Zeit gegründeten Institution, die wirklich funktioniert und – mit kaum höherem Personal- und Kostenaufwand – ein enormes Leistungsspektum von regelmäßigen Konzerten über Tagungen bis zu echtem Service mit geregelten Öffnungszeiten abdeckt, wehrt Merbold aber reflexartig als „abwegig“ ab – ohne dies anders als mit dem „langfristig angelegten Engagement und den Erfolgen“ des BJI zu begründen. Un-VerhältnisAlles in allem muss man feststellen, dass Aufwand und Ertrag beim BJI in keinem Verhältnis stehen. Gibt doch dafür der Freistaat Bayern den zweitgrößten Pos-ten seiner kompletten Jazzförderung aus – eine Förderung übrigens, die im Vergleich zu fast allen anderen, bekanntlich wesentlich ärmeren Bundesländern als Almosen bezeichnet werden muss. Zu tun gäbe es genug für das BJI – von einer echten Interessenvertretung der Jazzmusiker (Stichworte Gema, Steuerberatung, Tourförderung, Sponsorensuche etc.) über eine systematische Dokumentation des bayerischen Jazz und einer Vernetzung mit anderen Jazz-Institutionen bis zu einer Öffentlichkeitsarbeit, die diesen Namen auch verdient. Vor allem müsste das abweisende, nur nach Absprache zugängliche Haus wieder seinem ursprünglichen Sinn dienen: als Geschäftsstelle eines im LAG demokratisch verfassten bayerischen Jazz. Denn was man im BJI wie im Staatsministerium für Wissenschaft, Kunst und Forschung ganz offensichtlich nicht mitbekommen hat: Die bayerische Jazzszene hat sich in den vergangenen Jahren radikal gewandelt. Sie ist kein kleiner Zirkel fast autistisch auf eine kaum wahrgenommene Kunst fixierter Außenseiter mehr; sie ist vielmehr ein akademisch bestens unterfütterter, mitten im kulturellen Leben stehender Kunstzweig geworden, mit so vielen, so vielen guten und so aufmerksam beachteten Musikern wie nie zuvor. Musiker, die im Jazz ganz selbstverständlich ihren Beruf sehen, sich als Teil dieser Gesellschaft empfingen und sich dementsprechend demokratisch legitimiert vertreten sehen wollen. Kurzer DienstwegMan hätte es also im Ministerium eigentlich freudig begrüßen müssen, dass sich mit Barbara Heinrich vom Vorstand der Münchner Unterfahrt – nebenbei bemerkt einer inzwischen von allen wichtigen Jazzern der Welt frequentierte Institution, die als aktueller Echo-Preisträger („Förderer des Jazz“) und Musikpreisträger der Landeshauptstadt München ein bisschen mehr vorzuweisen hat als das BJI –, dem Musiker und Nürnberger Musikhochschulprofessor Steffen Schorn und dem Publizisten und Musikzeitschriften-Verleger Theo Geissler geballte Kompetenz ehrenamtlich zur Verfügung stellen wollte, dem seit langem sanft entschlummerten LAG ebenso wie dem BJI neues Leben einzuhauchen. Und das demokratisch legitimiert. Doch offensichtlich will man im wenn nicht beratungsresistenten, so doch uninteressierten und uninformierten Ministerium seine Ruhe haben und schätzt deswegen den bewährten „kurzen Dienstweg“ zu Sylke Merbold. Einer „Jazz-Lobbyistin“, die außer von Richard Wiedamann von niemandem je dazu erwählt wurde, deren Kompetenz mindestens fraglich ist und die offenkundig mit allen Mitteln ihre Macht und ihre Pfründe erhalten will. Für eine Tragödie fehlt die Fallhöhe, ein Schmierenstück ist es ganz sicher. Oliver Hochkeppel |
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