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Der Bene. Ich hatte das letzte Mal beim Bene aufgehört gehabt. Im Sommer 1997 kamen Bene und ich – durch erste Besuche in der Münchner Unterfahrt angeregt – auf die Idee, in unserer Stammkneipe, dem Hinterhalt, im Zweimonatstakt Jam-Sessions zu veranstalten. Das Wort „Jazz“ stand nicht auf den Plakaten, das Konzept „Jazz“ war jedoch vorgegeben – immerhin war die Sessionband ein Standards-Trio, neben dem Bene am Klavier sein bester Freund Benny Schäfer am Bass und der damals noch unverschämt junge 15-jährige Andy Haberl am Schlagzeug. Das Problem war, dass sich neben den drei Sessionleitern keine willigen Jazzmusiker im Publikum befanden, die einsteigen hätten können. Kurzerhand verteilte der Andy daraufhin Rasseln und andere „einfache“ Instrumente wahllos an die Zuschauer – mit Jazz hatte das darauf folgende Geräusch musikalisch betrachtet wenig zu tun, kulturell jedoch war ein Schritt gelungen: Menschen, die vorher nichts mit aktivem Musizieren zu tun gehabt hatten, waren plötzlich ein Teil dessen, was sie bisher nur konsumiert hatten. Die Sessions gingen noch einige Jahre weiter, wurden ausufernder (unter anderem spielten unsagbar schlimme Metal-Combos und ebenso unsagbar begnadete Musiker aus der ganzen Welt) und versanken wie so vieles in den Wogen, die das Erwachsenwerden und der Ausbruch von daheim in die weite Welt verursachen. Was allerdings blieb, war eine kleine, aber feine Jazzleidenschaft bei den Menschen aus der Region. Einer dieser leidenschaftlichen Menschen war und ist der Gerd. Er und seine Frau Monika leben in einem umgebauten Stadel (so sagen wir Bayern zu Häusern, die eigens zur Verwahrung von getrocknetem Gras genutzt werden) südlich von München, mit Blick auf die Alpen. Gerd ist Graphiker und hat sein schon recht langes Leben den Künsten gewidmet – nicht in irgendeiner intellektuell übersteigerten oder – anderes Extrem – ästhetisch verkitschten Weite, sondern einfach als Teil seines Lebens. Alles, was in dem Haus der beiden zu finden ist, hat seinen Grund, ist nie nur Zierde oder Accessoire, sondern muss sich seine Berechtigung erkämpfen. So auch die Musik – zwar läuft bei den Schieleins beinahe alles, was man sich vorstellen kann (von Klassik über Neue Musik bis hin zu Schlagersingles auf Vinyl an Silvester). Wirklich im Herzen jedoch schwingt beim Gerd das Jazzpendel, seine Augen beginnen zu glühen, wenn er von Miles Davis erzählt, seine sonst so ruhige Art verfliegt, wenn ein Schlagzeugsolo auftaucht. Einmal standen wir im Wohnzimmer, ich war gerade im Gehen, als wir im Gespräch auf Jimi Hendrix’ „Band of Gipsies“ kamen. Wir kamen darauf, dass das Album im Grunde nur sehr wenig mit Rock zu tun hatte, vielmehr der Ursprung des Funk war. Und als wir dann das Nadel auf die Platte gesetzt und den Lautstärkeregler nahezu auf Anschlag gedreht hatten und die ersten Takte von „Who Knows“ erklangen, blitzte in Gerds Augen wieder genau das auf, was ich eben noch als Leidenschaft bezeichnet hatte und genau das, was ich bei meinem ersten Hendrix-Erlebnis empfunden hatte. Auf die Musik gemünzt bedeutet Leidenschaft im Grunde nichts anderes als Jazz. Die Lust daran, all das, die Kunst immer im Kontext des Künstlers sehen zu wollen. Das ist es, was Herrn Nicolaescu, den Bene, wahrscheinlich den Jimi und den B.B. und ganz sicher den Gerd miteinander verbindet. Diese Leidenschaft treibt mich an, seitdem ich mit sieben Jahren zum ersten Mal das Album „Revolver“ von den Beatles auf einem Plattenspieler gehört habe. Diese Leidenschaft ist es, die es einem möglich macht, in der Jazz-Schublade zu stecken und trotzdem immer wieder die Kraft aufzubringen, durch die gesamte Musikkommode zu klettern und die anderen Schubladen zu erkunden. Der „Marsch zum Jazz“ ist also eher eine Klettertour. Und wie man als Bergsportler weiß: Wirklich ankommen kann man im Grunde eh nicht. Sebastian Klug |
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