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Ihm gehört eine der markantesten Stimmen des europäischen Jazz, ein Tenorsaxophon von extremer Expressivität. Jede Note von Matthias Schubert ist mit ganzer Hingabe geblasen, jede Phrase ein Ausdrucksgewitter, jedes Solo eine Wechseldusche der Gefühle. Diese unverwechselbare Stimme hat Akzente gesetzt – bei Albert Mangelsdorff, Gunter Hampel, Manfred Bründl, Klaus König oder den Jungle Pilots. Schubert erhielt seine ersten Auszeichnungen in den frühen 80ern, 1995 war er SWR-Preisträger. Sein Quartett mit Simon Nabatov, Lindsey Horner und Tom Rainey hat in den 90ern drei CDs veröffentlicht.
Schubert hat es sich nie leicht gemacht. Als Künstler und als Mensch ist er ständig dabei, einmal gefundene Lösungen wieder in Frage zu stellen – und auch diese Hinterfragung wieder zu hinterfragen. Er ist ein Skeptiker, neigt zum Satirischen, zum Dadaistischen, zur Selbstkritik. Nichts liegt Schubert ferner als das Selbstverständliche, die Mainstream-Konvention, die Konfektionsware. Er ist einer, der Pianisten studiert, um von typischen Saxophon-Patterns wegzukommen. Der sich die Frage stellt, wie man als Saxophonist am besten ein Basssolo begleitet. Oder der ausprobiert, wie eine Telefonkarte als Saxophon-Rohrblatt klingt. Ein Querdenker. Solche Menschen werden selten Pädagogen. Aber solche Menschen sind oft hervorragende Pädagogen – denn sie bieten keine fertigen Lösungen an, stehen ihrer Rolle kritisch gegenüber und sind bereit, alles von Grund auf neu zu überdenken. Seit 2001 arbeitet Matthias Schubert als Lehrbeauftragter an der Hochschule für Musik in Hannover. In der Regel verbringt er dort einen Tag pro Woche, unterrichtet von elf Uhr morgens bis halb zehn Uhr abends; um ein Uhr in der Nacht ist er wieder zu Hause in Köln. Etwa acht Saxophonisten pro Semester erteilt er Einzelunterricht und einer Gruppe von drei bis zehn Studenten gibt er Ensemble-Stunden. Kein Mainstream oder ParkerWenn man einen Saxophonlehrer sucht, der einem beibringt, modernen Mainstream zu spielen oder wie Charlie Parker zu klingen, dann ist man bei Matthias Schubert allerdings am Falschen. „Die beste Möglichkeit, wie Charlie Parker zu spielen, ist: vermeiden, wie Charlie Parker zu spielen“, zitiert Schubert den Kollegen Allan Praskin. Soll heißen: Parker ist einer, der sich selbst erfand; er klang wie niemand vor ihm. Wenn ich das Vorbild Parker ernst nehme, muss ich ebenfalls meine ganz persönliche Musizier- und Improvisationsweise entwickeln. Auch der Lehrer kann da nie ein verbindliches Modell sein: „Ich werde nie sagen: So und so musst du das machen“, sagt Schubert. „Allein wie jemand so ein Saxophon in den Mund nimmt, ist eine so persönliche Sache, dass ein Lehrer, ohne es vielleicht zu merken, hier schon zu viel Einfluss nehmen kann. Soll doch jeder seinen eigenen Klang entwickeln und seine eigene Art des Spielens und seine eigene Musik!“ Schuberts Unterricht ist für die Bedürfnisse des Studenten da. Der kommt mit einem individuellen Problem an, schildert seine Unzufriedenheit, seine Unzulänglichkeit. Da kann der Saxophonlehrer nicht auf vorgefertigte Konzepte zurückgreifen; er muss individuell reagieren. „Jede Stunde ist eine Art Improvisation“, sagt Schubert. „Wenn jemand mit seinem Sound nicht zufrieden ist, frage ich mich: Wie kann ich helfen, ihn nach den Wünschen des Schülers zu verbessern?“ Schubert sieht sich daher weniger als Lehrer denn als „Saxophon-Supervisor“, als ein kritischer Begleiter der Lernprozesse seiner Schüler. Er will sicherstellen, dass der Lehrer dem Schüler nicht im Weg steht. „Das Ziel sollte sein, selbstständiges Lernen zu lernen und eigene Methoden zu finden, sich musikalisch zu entwickeln. Den Lehrer überflüssig zu machen.“ Atmung und BlasansatzDie Grundlagen jedes Saxophonunterrichts sind Körper- und Instrumentenhaltung, Atmung und Blasansatz. Auch hier lässt sich kaum etwas Allgemeingültiges vermitteln: Übungen dazu seien schwierig, sagt Schubert. Seine eigene, sehr kraftaufwändige Spielweise, die er als „epileptisch“ beschreibt, hält er als Vorbild für ungeeignet. In einem Interview sagte er mal: „Ich bin froh, dass ich mir nicht selber beim Spielen zusehen muss.“ Dagegen gibt es bestimmte Übungen für Spieltechnik und Improvisation, auf die er bei seinen Studenten immer wieder zurückgreift: „Ich empfehle aber nur die, die ich selbst durchgearbeitet habe und die mir lohnend erscheinen.“ Natürlich regt er auch an, wie der Schüler zu Hause seine Übungsstunde aufbauen könnte. Übungsstunde? Bei Matthias Schubert, bekannt für seine unermüdliche Disziplin, heißt das „Übungstag“ – ein Stundenplan, der sich täglich wiederholt. Nicht immer bequemSicherlich gibt es Studenten, die von einem Saxophonlehrer mehr technische „Anleitung“ erwarten, als Schubert sie geben will. Er ist sicherlich für den Studenten nicht immer ein bequemer Lehrer. Dafür ist er bereit, sich auf den Einzelnen einzulassen: Es kommt schon mal vor, dass sich das saxophonistische Problem zur Diskussion von psychologischen und Lebensfragen ausweitet. Der Vorschlag, mal den Wohnort zu wechseln, kann unter Umständen Wunder bewirken. „Bin aber leider nur Musiker und kein Psychologe“, sagt Schubert trocken. In erster Linie ist er nach wie vor aktiver Künstler, einer, der seine Nebenrolle als Lehrer ständig reflektiert. Und der Künstler Schubert reagiert empfindlich auf Autoritäten – auch auf die eigene. „Ein Lehrer kann mit der Zeit Gefallen daran finden, als ‚superior‘ betrachtet zu werden“, gibt er zu bedenken. „Dann besteht die Gefahr, dass er selbst an seine ‚Superiorität‘ glaubt. Doch außer eventuellen Erfahrungsvorsprüngen gibt es nichts, was einen Musiker/Lehrer von einem Musiker/Schüler unterscheidet. Wenn ich mal den Eindruck haben sollte, dass das Unterrichten für mich und damit auch für die Studenten schädlich ist, dann bin ich hoffentlich noch in der Lage, damit sofort aufzuhören.“ Hans-Jürgen Schaal |
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