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Halle an der Saale, die heimliche Hauptstadt Sachsen-Anhalts, hat seit kurzem ein eigenes internationales Jazzfestival. Das allein wäre Grund genug zur Freude. Der Umstand jedoch, dass dieses Festival den Frauen des Jazz gewidmet ist, wird wohl die Herzen all jener höher schlagen lassen, denen es schon lange nicht mehr als Selbstverständlichkeit erscheint, dass die Damen in der Jazzwelt eine untergeordnete Rolle spielen (sollen). Dass ein noch nicht etabliertes, dreitägiges „women in jazz“-Festival, mit dem Hallenser Opernhaus als Veranstaltungsort, ein gewisses finanzielles Risiko bedeuten könnte, ist den Initiatoren im Vorfeld zwar bewusst gewesen – nichtsdestotrotz war deren Motto: Ein Start ist ein Anfang, und wenn es beginnt, dann geht es los. Und wie es losging! Die 26-jährige japanische Pianistin und Keyboarderin Hiromi Uehara eröffnete das Festival mit einem musikalischen Orkan. Mit einer Windgeschwindigkeit von 240 Stundenkilometern fegte sie gemeinsam mit ihrem E-Bassisten und Schlagwerker durch den ausverkauften Saal des Opernhauses. Das junge Trio spielte die Kompositionen aus der Feder der quirligen Pianistin in einem Tempo, dass einem schwindlig werden musste. Musikalisch bewegte man sich irgendwo zwischen rollendem Boogie-Woogie, rasendem Jazzrock und expressionistisch-virtuoser Klavierliteratur des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts. Das hatte viel mit Olympia-reifem Hochleistungssport zu tun und verfehlte seine Wirkung nicht. Freunde ausgewogener und entspannter Musik bediente hingegen die schwedische Sängerin Viktoria Tolstoy im Quartett mit Piano, Kontrabass und Schlagzeug. Sie intonierte Coverversionen schwedischer und internationaler Kolleginnen und Kollegen, alles hübsch aufbereitet und mit gefühlvoller Stimme vorgetragen – gut gemacht, zweifelsohne, nicht mehr und nicht weniger. Im Prinzip hatte Rigmor Gustafsson Ähnliches zu bieten. Die ebenfalls aus Schweden stammende Sängerin musizierte in gleicher Besetzung wie ihre Landsfrau. Im Unterschied zu dieser sang sie viele Eigenkompositionen und riskierte stimmlich ein bisschen mehr. Im Ergebnis war das etwas interessanter, auch wenn ihre schlanke Stimme manchmal ins Schlingern geriet. Percussionistin Marilyn Mazur und ihre drei Trommelassistentinnen tanzten singend und klappernd als Percussion Paradise auf die Bühne, um dem reichlich aufgestellten Schlagwerk zu Leibe zu rücken. Da gongte und zymbelte es ordentlich! Mit folkloristisch angehauchten Gesängen begleiteten sich die vier Trommel-Esoterikerinnen gegenseitig bei ihrem Spiel auf Schlaginstrumenten aus aller Welt (einzig die Pauken fehlten). Erfrischend unbekümmert hüpften die Damen barfuss durch den Bühnenraum, dabei stets ein Lächeln und einen Jauchzer auf den Lippen. Ihr polyrhythmisches, weltmusikalisches Trommelgewirbel hatte aber zum Glück nichts von jenen gigantomanischen Mega-Percussion-Shows, die man in riesigen Hallen für viel Geld erleben darf. Nein, diese vier Frauen musizierten auf nuancierte und abwechslungsreiche Weise – und zwar mit hörbar weiblichem Esprit. Draufhauen konnten sie auch! Lokalkolorit brachten die Hallenser Tänzerinnen und Tänzer der Compania bella soso ein. Mit einer Choreographie von Yvonne Lützkendorf – zur konservierten Musik von Billy Holiday, Marcus Miller und George Duke – vertanzten sie das Leben und die Intensionen weiblicher Jazzgrößen wie Ella Fitzgerald, Billy Holiday, Nina Simone und anderer. Multimedial ergänzt wurde die Einlage durch eine in die Aufführung aktiv integrierte Videoprojektion. Die kleine Tanzshow erwies sich als respektable und unterhaltsame optische Auflockerung. Zum unbestrittenen Festivalliebling avancierte jedoch die polnische Sängerin Anna Maria Jopek. Ihre eindrückliche Gesangskunst im Verbund mit ihrer nonchalanten und witzigen Art zu moderieren wirkte nicht nur höchst professionell, sondern zudem überaus herzerwärmend. Ihre kongeniale Band, bestehend aus Keyboard, Bass, Schlagzeug, Saxophon und Gitarre, tat ihr Übriges. Es „menschelte“ sowohl auf der Bühne als auch zwischen Musikern und Publikum. Gänsehaut-Stimmung stellte sich ein. Gespielt wurden neben eigenen Songs und einem Mozart-Kanon englische Hits aus Rock und Pop ebenso wie polnisches Liedgut. Eingehüllt war das Ganze in ein popjazziges Gewand und klang weitaus aufregender, als man vermuten konnte. Kein seichter Smooth-Jazz also, sondern Popjazz at it’s best. Damit war Jocelyn B. Smith und ihrer Band (Piano/Keyboard, Gitarre, Sax/Flöte, Bass und Schlagzeug) einiges vorgegeben. Die erfahrene Amerikanerin mit Sitz in Berlin steht für einen Sound, der geprägt ist von Soul, Blues, Gospel und Funk – stets mit einer Prise Jazz versehen. Ihre extra für den Auftritt in Halle zusammengestellte Band war dafür zwar bestens besetzt – beispielsweise mit Volker Schlott an Sax und Flöte – allerdings brauchte sie eine Weile, um warm zu werden. Hier wurde der Unterschied zwischen einer eingespielten Band (Anna Maria Jopek) und einer kurzfristig zusammengekommenen (Jocelyn B. Smith) nur allzu deutlich. Schließlich schwingte man sich dennoch ein und entließ ein paar gut abgehangene Soli ins Auditorium. Frau Smith verbreitete stimmgewaltig und würdevoll die Botschaft des Herrn und erzählte von den Irrwegen des Lebens. Dem Publikum gefiel’s und so endete das Festival mit stehenden Ovationen. Damit ist aber längst nicht alles gesagt. Halles Jazzfestival wartete
nämlich zusätzlich mit einem interessanten Rahmenprogramm auf,
das eine Erwähnung wert ist. An allen drei Abenden konnte man ab
22.30 Uhr im Operncafé regionale „women in jazz“ erleben,
so zum Beispiel das Frauen-Gesangsquartett NINIWE aus Leipzig, das mit
ungewöhnlich zarten und berückenden Arrangements auffiel. Zudem
waren in den Gängen des Opernhauses Rüdiger Schestags Fotografien
internationaler Jazzmusikerinnen zu begutachten. Um möglichst viele
Hallenser Bürger auf das neue Festival aufmerksam zu machen, setzten
die Veranstalter außerdem auf ein Projekt namens „Cityjazz“,
das am dritten Tag die Innenstadt okkupierte: Kleine Formationen spielten
an öffentlichen Orten sowie in Kaufhäusern und ließen
so die Passanten Festivalluft schnuppern. Nico Thom |
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