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Wer für ein Jazz-Magazin einen Künstler interviewt, kommt meist irgendwann an jener „Schubladen-Frage“ nicht vorbei. Bei Jens Thomas weckt die Frage, ob er sich denn noch als „Jazz-Musiker“ fühlt, vor allem ein mildes Grinsen. Nein, diese Skalen und der ganze Kram seien für ihn weniger wichtig. Viel mehr fasziniere ihn im Moment etwa die Klaviermusik von Johann Sebastian Bach, vor allem aber, wie Glenn Gould diese spielt – und damit zeigt, wie zeitlos, wie modern diese Musik nach wie vor ist...
Kürzlich habe er in einem Hotelzimmer ein Goethe-Bändchen in die Finger bekommen und sich darin festgelesen – vor allem das Gedicht über „Seligen Sehnsucht“ ließ ihn nicht mehr los. Jetzt steht dieser Text im Zentrum seiner jüngsten CD-Produktion „Lunarplexus“, und im Januar will ein ganzer Soloabend mit ihm am Bochumer Schauspielhaus die klassische Wortkunst des Herrn Goethe jeder Aura einer steifen Bildungsbürgerlichkeit entreißen. Für Jens Thomas, der einst vor allem mit Rockmusik groß wurde, zählt nämlich vor allem die Frage: „Was kann man damit Anderes, Neues machen?“ Wir haben uns einen freien Tisch in der lauschigen Eve-Bar gesucht – für den Drink nach hohem Kulturgenuss werden hier im Keller des Bochumer Schauspielhauses Cocktails und anderes im trendigen Ambiente serviert. Der Hannoveraner Pianist und mittlerweile auch immer mehr Komponist, Aktions-Performer, Sänger und Allround-Künstler ist in dieser Spielsaison zum „Artist in Residence“ an diesem Ruhrgebiets-Theater berufen worden – und damit sind im Falle dieses Künstlers neue sinnliche Erfahrungen fürs Publikum vorprogrammiert. Elmar Goerden, der seit 2005 neuer Intendant am Bochumer Schauspielhaus ist, bewies mit dieser Entscheidung das richtige Gespür für neue, kreative Wege auf dem Theater und viel Mut zum Unvorhergesehenen und Unvorhersehbaren. Denn wie unterschiedlich die Live-Projekte von Jens Thomas auch ausfallen – garantiert ist auf jeden Fall ein hoher, völlig frei improvisierter Anteil! Soeben agierte er noch mit der US-Schlagzeug-Künstlerin Robyn Schulkowsky auf der Bühne des Kleinen Hauses. Sie kennen sich schon lange und redeten oft miteinander, gemeinsam musizieren sie hier in Bochum zum ersten Mal beziehungsweise zelebrieren ein temperamentvolles und höchst spontanes Happening, das garnicht so einfach zu kategorisieren ist. Konzentrierte musikalische Expression verwächst so ganz mit gestischen und visuellen Elementen zu einem kreativen Musik-Theater. Beide erobern sich dabei den Bühnenraum zu Beginn der Show symbolisch. Sie durchmessen über einen sehr langen Zeitraum pantomimisch und tänzerisch den großen Raum, trommeln dabei auf allem, was ihnen in den Weg kommt – hier kann alles zum Klangerzeuger werden, während das Publikum zuweilen unruhig wird, was als Nächstes passiert. Einer von ihnen äußert beim späteren Hinausgehen seine Erleichterung, dass beide nicht auch „mit Wasser zu spritzen“ angefangen haben. Die Wurzeln für diesen Performance-Aspekt reichen weit zurück, nämlich in die Zeit, als Jens Thomas sich noch mit seinem inzwischen aufgelösten „Triocolor“ als grenzgängerischer Jazz-Virtuose profilierte. Beim Geburtstagskonzert für die Jazzzeitung zum Beispiel traktierte er – vor nunmehr fünf Jahren – nicht nur höchst perkussiv seine Klaviertasten, sondern machte irgendwann auf der Klavierbank weiter – seitdem wurde die Kunst des Jens Thomas immer mehr zum Balanceakt zwischen Musik und Geräuschwelt, was nicht ausschließt, dass sich nicht auch viele griffige Melodien immer wieder Gehör verschaffen. In Bochum gelangen Jens Thomas und seine Partnerin schließlich doch zu den eigentlichen Instrumenten, wo sie dann virtuos und impulsiv demonstrieren, dass Klaviersaiten, Trommeln, Pauken und Becken doch noch reicher klingen als Bühnenbretter, Holzkisten oder eine Stehleiter. Mit unterschiedlichsten Kostproben seiner multistilistischen und oft ganz freien Pianistik feuert er seine Partnerin zu impulsiven Ausbrüchen ihrerseits an. Doch immer wieder kommt es anders, als wir denken, wenn der Flügel zum Schlaginstrument oder auch mal zur Theater-Requisite wird oder die Kesselpauke zum Resonanzboden für seltsame Gesangseinlagen von Jens Thomas. Dieses alles wirkt bei Jens Thomas so echt und authentisch, scheint sich
so unspektakulär und selbstverständlich in einen intuitiven
künstlerischen Gesamtentwurf einzufügen, dass seine Antwort
auf die Frage nach einem etwaigen „Konzept“ und einem roten
Faden eigentlich wenig überascht: „Ich spiele einfach auf der
Bühne“ – denn irgendwie müsse man auf einer Theaterbühne
schon etwas vollführen, vielleicht eine Geschichte erzählen.
Stefan Pieper
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