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Er ist Pianist und Bandleader, Komponist und Improvisator, Anreger und Verunsicherer. Momentaufnahme 1: Misha Mengelberg mit dem ICP Orchestra. Er erinnert ein bisschen an Monk, wenn dieser um das Klavier tanzte wie ein täppischer Bär. Seine Bewegungen gleichen einem behäbigen Schwingen. Doch seine Musiker wissen genau, was und wie all das gemeint ist, als Spielanweisung. „Sie sind alle viel besser als ich,“ sagt Mengelberg, „ich bin eigentlich nur ein mittelmäßiger Klavierspieler. Aber sie helfen mir etwas Schönes daraus zu machen.“ Das ist natürlich ein wenig Koketterie, denn – wie Monk – hat auch Mengelberg die für seine Intentionen adäquate Technik entwickelt. Über Improvisation kann man sich trefflich mit ihm unterhalten. Eingedenk der von ihm gesetzten Vorzeichen: „Das ist alles wie der Wasserhandel, wenn man darüber spricht, dann verliert man es oft schon wieder.“
Momentaufnahme 2: Mengelberg allein am Klavier. Er kratzt sich am Kopf, schlägt ein paar Akkorde in die Tasten, rauft sich das Resthaar, summt ein Liedchen, hält inne und setzt neu an. Impromptus nannte man ursprünglich Kompositionen, die aus dem Stegreif entstanden sind. „Impromptus“ heißt eine seiner seltsam anmutenden Soloplatten. An der Improvisation reizt ihn, dass sie anders verlaufen kann, als man erwartet, auch anders, als man plant. Die Not, aus der Sackgasse wieder herauszukommen mobilisiert die kreativen Kräfte. Der Imperativ der Improvisation lautet: agiere! Andernorts hat Mengelberg das Spiel aus dem Moment heraus mit dem Reparieren von Fahrrädern verglichen. Er führt vor, was ihm in den Sinn kommt, wie er sich verfährt und nach Auswegen sucht. Dabei gibt es eine Menge zu erleben: musikalische Aktionen vom feinen Pianissimo bis zum vehementen Forte, hingetupfte Einzeltöne und dissonante Akkordballungen, merkwürdige Melodien und Eingriffe in das Innenleben des Klaviers. Vor allem aber lässt sich einiges über Musik in Erfahrung bringen, über die Problemstellungen und Lösungen, über musikalisches Denken und die Kunst des Extempores. Misha Mengelberg, der sich mitunter als einen „miserablen Klavierspieler“ bezeichnet, besticht nicht mit Brillanz und Virtuosität, sondern frappiert mit einer Reduktion des Technischen, die das Gedankliche offenbart und die Konstrukte andeutet. Mengelberg, von seinen Kollegen und Kolleginnen wie auch von seiner Fangemeinde liebevoll Misha genannt, zählt zu den Veteranen der holländischen, längst auch der internationalen Improvisationsszene. Das Jahr 1967 ist in die Geschichte dieser Musik mit den Buchstaben ICP eingetragen. Gemeinsam mit dem Schlagzeuger Han Bennink sowie dem Saxophonisten und Klarinettisten Willem Breuker gründete Misha Mengelberg damals den Instant Composers Pool, kurz ICP genannt. Als Musikerkooperative, Selbsthilfeorganisation, Plattform und Plattenlabel angelegt, trug ICP wesentlich dazu bei, dass „die Holländer“ im neuen europäischen, von den amerikanischen Vorbildern abgenabelten Jazz bekannt und im musikalischen Bewusstsein verankert wurden. In den siebziger Jahren trennten sich die Wege der Gründungsväter. Willem Breuker setzte seine Ambitionen mit dem von ihm geleiteten, musiktheatralischen Einlagen, kompakte Arrangements und freie Improvisationen integrierenden „Breuker Kollektief“ fort. Micha Mengelberg und Han Bennink agierten weiter als Duo und gemeinsam in unterschiedlichen Besetzungen, unter denen die von Misha Mengelberg geleiteten grösseren Formationen (ICP Orchestra, ICP Tentet oder Octet) eine zentrale Rolle einnehmen. Bei einem Konzert der ICP Gruppen kann es passieren, dass die Musiker bereits anfangen, während Misha Mengelberg noch einen Kaffe oder einen Cognac an der Theke trinkt (dass er sich gern auch Tasse und Gläschen aufs Klavier stellt, zählt zu seinen Eigenarten, so wie lange Zeit das Kettenrauchen, das er allerdings inzwischen auf ärztlichen Rat hin gänzlich eingestellt hat). ICP bedeutet Kollektivität von Individualisten. „Das Potential des Orchesters“, so der undogmatische und wenig autoritäre Bandleader, „sind die Qualitäten der Spieler.“ Die Musiker von ICP sind handverlesen und wurden in einem langen Prozess auf den Prüfstand gestellt. ICP folgt einer eigenartigen Dialektik: dem Anknüpfen an Musizierhaltungen des Jazz bei gleichzeitiger Negation der mit dem Jazz verbundenen Erwartungshaltungen. Auch diesbezüglich kann sich Misha auf Aussenseiter des Jazz als Ahnherrn berufen, allen voran wieder auf Thelonious Monk. Im Laufe der Jahre hat Mengelberg mit seinen ICP Gruppen Programme erarbeitet, die sich auf Herbie Nichols, Thelonious Monk und Duke Ellington beziehen. „Ellington Mix“ ist ein trefflicher Titel für Musik, die sich vor dem Meister verbeugt und dessen kompositorische Essenzen zugleich aufmischt. Mengelbergs Lebensweg begann am 5. Juni 1935 in Kiew. Geboren als Sohn eines holländischen Komponisten, Dirigenten und Pianisten, der in Berlin studierte und dort eine deutsche Harfenistin, Mishas Mutter, kennenlernte. Die Eltern, fasziniert vom Aufbau einer neuen Gesellschaft, folgten einem Engagement von Mishas Mutter an einem Orchester in Kiew. Vor die Wahl gestellt, die sowjetische Staatsbürgerschaft anzunehmen oder die UdSSR zu verlassen, kehrten sie 1938, wohl auch unter dem Eindruck zunehmender stalinistischer Repressionen, nach Holland zurück. Sohn Misha bekam von klein an Klavierunterricht, entdeckte sukzessive Boogie Woogies und die Welt des Jazz, insbesondere Aufnahmen von Monk und Ellington, die ihn nicht mehr losliessen. Bereits vom Jazz-Bazillus befallen, studierte er später Komposition am Konservatorium in Den Haag. Seine Begeisterung für den Jazz führte ihn zur Mitwirkung in Post-Bebop-Gruppen. Gemeinsam mit Han Bennink war er 1964 an der Einspielung von Eric Dolphys Album „Last Date“ beteiligt. Auf dieser ist ein Zitat von Dolphy im Originalton eingeblendet: „When the music is over, you can never capture it again, it’s gone in to the air.“ In diesem Bewusstsein für die flüchtige Natur der Klänge, treffen sich Fluxus und Jazz, taoistische Lebensphilosophie und eine Art von musikalischem Denken, das nicht auf das Werk, sondern auf den Prozess orientiert ist. „Last Date“, die Platte, die später vom Label ICP veröffentlicht wurde, dokumentiert das Zusammentreffen mit Dolphy und auf der Rückseite Mengelbergs Duo-Improvisationen mit seinem Freund Eeko, einem rotschwänzigen Papagei. Typisch Mengelberg! Mit Dolphy diskutierte er damals Themen wie dieses: Kommt dem Geräusch eines Autos, wenn es an einem Konservatorium vorbeifährt, mehr musikalische Bedeutung zu, als wenn es eine Versicherungsanstalt passiert. Damals stand Misha Mengelberg bereits unter dem Einfluss von John Cage. Den Ideen einer Emanzipation aller klingenden Erscheinungen folgend, beflügelt von den Enfants terribles der europäischen Kultur wie Kurt Schwitters und Marcel Duchamp, schloss sich Misha Mengelberg in den sechziger Jahren einer Bewegung an, die jeglicher Ideologie abgeschworen hatte und sich auch nicht auf einen Nenner bringen lässt, es sei denn auf die Vorstellung des Panta rhei, des Fliessenden: Fluxus. Von da aus wuchs der Appetit auf Spontanes und auf Theatralisches, stets auch verbunden mit jener Geste des Improvisatorischen, auf deren Geschmack Mengelberg durch Monk und Ellington gekommen war. Musik, sage ich zu Misha, ist doch ein unberechenbares Extra in diesen auf Kalkulation ausgerichteten Gesellschaften, ein Mehrwert. Und er antwortet, auf die von ihm gewohnte Weise, paradox: „Musik ist sehr viel mehr und sehr viel weniger wert“. Und das Kriterium für Musik, die ihn interessiert? Wie muss diese sein: „Sie muss leicht sein“, sagt Mengelberg. Und er meint natürlich nicht, das was man im Allgemeinen unter „leichter“ Musik versteht. „Luft muss da sein in der Musik.“ Bert Noglik
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