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Gerade musste die Jazzwelt den Verlust von drei großen Bassisten verkraften: Niels-Henning Orsted-Pedersen, Jimmy Woode und Percy Heath sind innerhalb weniger Wochen von uns gegangen. Aber die Community hat auch einen unerwarteten Zuwachs zu vermelden. Ein Bassist, den viele längst im Jenseits wähnten, hat sich kürzlich aus dem Nichts zurück gemeldet: Henry Grimes.
Die Geschichte, die dieser Musiker, der im November 70 wird, zu erzählen hat, gibt eigentlich genug Stoff her für ein Hollywood-Drehbuch. Die Sixties in New York – eine Zeit des musikalischen Aufbruchs und Ausbruchs. An vielem, was in dieser Zeit geschieht, ist Henry Grimes beteiligt. Der Juillard-Absolvent spielt mit Thelonious Monk, John Coltrane, Miles Davis, Sonny Rollins, Roy Haynes, McCoy Tyner, mit Don Cherry, Albert Ayler, Cecil Taylor, Bill Dixon, Frank Wright oder Roswell Rudd. Egal, wie der musikalische Kontext aussieht: Grimes spielt mit einer Intensität, dass Musiker wie Dennis Charles damals glaubten, „sein Bass würde gleich explodieren“. Auf dem Höhepunkt seines Schaffens macht sich Grimes Ende der 60er-Jahre ohne Vorwarnung aus dem Staub. Der Bassist William Parker weist im Booklet von Henry Grimes aktueller CD auf die vielen Gerüchte hin, die sich um den Bassisten rankten. „Er ist in Kalifornien und dreht Filme. Er hat sich die Haare grün gefärbt. Er ist verstorben.“ 38 Jahre nach seinem Verschwinden sitzt ein äußerst schüchterner, zurückhaltender, aber sehr lebendiger Henry Grimes im Bayerischen Hof in München und beantwortet die Frage, die ihm in letzter Zeit sicher ein paar mal zu häufig gestellt wurde. „Ich war damals unter derart starkem finanziellen Druck, dass ich mich entschloss, New York zu verlassen und in San Francisco einen Neustart zu wagen. Zunächst spielte ich eine Weile mit dem Sänger Jon Hendricks und tourte auch mit ihm im Westen der Staaten. Dann verließ ich seine Band, spielte in San Francisco mit verschiedenen Gruppen. Schließlich bin ich nach Los Angeles umgezogen. Dort kam ich mir ziemlich verloren vor, weil ich überhaupt keine Musiker kannte und die Club-Szene ziemlich vor sich hin dümpelte. Irgendwann musste ich meinen Bass verkaufen und Jobs jeglicher Art annehmen. Ich war ja in guter physischer Verfassung und konnte deshalb etwa als Bauarbeiter mein Geld verdienen.“ Es sei nicht sein Ding, andere um Gefälligkeiten oder finanzielle Unterstützung zu bitten, kommentiert Grimes die Frage, warum er denn keinen seiner alten Spielkameraden in New York um Hilfe gebeten hat. „Ich wusste, irgendwann wird meine Zeit wieder kommen. Ich habe über all die Jahre immer bestimmte Übungen gemacht, um meine Hände zu kräftigen. Ich wollte darauf vorbereitet sein, wieder mit dem Spielen anfangen zu können.“ Dreißig Jahre sollte es dauern, bis er endlich wieder ein Instrument in die Finger bekam. Ein Sozialarbeiter namens Marshall Marrotte stöberte Grimes 2002 durch Zufall in L.A. auf. „Für mich war es, als wäre ich von den Toten auferstanden. Als mich Marshall fand und die Welt wissen ließ, dass es mich noch gibt, kriegte ich umgehend Anrufe und Angebote von überall her.“ Der Bassist William Parker schenkte ihm schließlich einen Bass und animierte sein Idol, an eine Rückkehr in die Szene zu denken. „Heute übe ich mehr als früher“, lacht Grimes. „Und das, woran ich jetzt arbeite, hat mehr Bedeutung als früher. Dinge, die ich damals nur erahnte, verstehe ich heute besser und sehe sie in einem anderen Licht, aus einer anderen Perspektive.“ Heute lebt Henry Grimes wieder in New York (mit seiner Managerin zusammen) und kann sich vor Aufträgen kaum retten. Mit David Murray und Hamid Drake veröffentlichte er eben „Live At The Kerava Festival“ (Ayler Records/ Sunny Moon). Gerade verstärkte Grimes „Spiritual Unity“, das Albert Ayler-Projekt des Gitarristen Marc Ribot (das zum Deutschen Jazz Festival in Frankfurt eingeladen wurde). Zur Zeit ist er mit dem Saxophonisten Andrew Lamb und dem Drummer Newman Baker in Europa unterwegs, danach geht er mit der Pianistin Marilyn Crispell und dem Schlagzeuger Andrew Cyrille auf Tour. Willkommen zurück im wilden Jazzleben, Henry Grimes. Text/Foto: Ssirus W. Pakzad |
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