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Es ist schon viele Jahre her, da wurde in einer Programmzeitschrift ein Konzert mit den Bassisten Niels-Henning und Ørsted Pedersen angekündigt. Der Unsinn schien Methode zu haben, denn nicht nur sein Name war so lang, dass man ihn oft in NHØP abkürzte. Von der Fülle der von ihm allein bei einem Song durchmessenen Töne mag ein anderer Bassist einen ganzen Set zehren. Der wohl berühmteste Musiker Dänemarks erbrachte tagtäglich in der Tat als Solist und Begleiter die Leistung zweier Bassisten. Der am 19. April erst 58-jährig im dänischen Ishøj einem
Herzinfarkt erlegene Virtuose spielte so quirlig als stünde er permanent
unter Strom. Neben seinem behänden Spiel, für das er eine eigene
Zupftechnik entwickelte, bei der er mit drei, vier Fingern die Saiten
anriss, wirkten schon mal die größten Solisten des Jazz wie
Baldrian neben Koffein. Ray Brown war es, der den in Jazzkreisen bereits
weltbekannten Musiker zum größten Durchbruch verhalf, indem
er ihn Oscar Peterson anempfahl mit den Worten: „Das ist der einzige,
den ich kenne, der vielleicht mit Dir mithalten kann.“ Ocar Peterson,
mit dem er vor allem 1974 bis 1987 regelmäßig tourte, schloss
den seiner Meinung nach „vielleicht einfallsreichsten Bassisten
des Jazz“, dessen Virtuosität die jedes anderen Bassisten übertreffe,
nicht weniger ins Herz als zuvor den so ganz anders gearteten Ray Brown.
Beim einem seit kurzem auch auf DVD zu bewundernden Konzert stand Peterson
1977 sogar mit beiden auf der Bühne: Ray Browns berückend warmer
Sound ist ebenso unerreicht wie Niels Pedersens wieselflinke Leichtigkeit
und so ging das Bassisten-Match unentschieden aus. Die Ruhe eines Ray
Brown konnte und wollte der flinke Däne wohl nicht ausstrahlen. Wo
andere Solisten bei langsamen Stücken zur Spannungssteigerung in
die Doubletime gehen, ging er zunächst einmal ganz „gemütlich“
in die Tripletime… Ja, er konnte schon Balladen spielen und selbstlos
begleiten, zur Hochform lief er aber dort auf, wo er in boppiger Rasanz
und funkigem Feeling die Schwerelosigkeit eines Rennpferdes erreichte. Jimmy WoodeDem skandinavischen Jazz gehörte eine Zeitlang auch der vier Tage später, am 23. April in Lindenwood, New Jersey verstorbene Bassist Jimmy Woode an. Ihn hatte es wie so viele große schwarze Musiker nach Europa verschlagen, zunächst nach Schweden, dann nach Deutschland, wo er von 1963 bis 1973 dem mit internationalen Größen hochkarätig besetzten Orchesters von Francy Boland und Kenny Clarke angehörte. James Bryant Woode erblickte den 23. September 1928 in Philadelphia das Licht der Welt, doch der 16-jährig von Louis Armstrong entdeckte Musiker betrachtete wie Duke Ellington scherzhaft den 7.Juli 1956 als Geburtstag. An diesem denkwürdigen Tag gastierte Ellington, dessen Orchester sich Woode im Vorjahr angeschlossen hatte beim Jazzfestival in Newport. Einige Jahre hatte das Orchester ein Karrieretief durchlebt. In Newport feierte es ein großartiges Comeback, und zwar nicht nur wegen der legendären 27 Chorusse von Paul Gonsalves in „Diminuendo and Crescendo in Blue“, sondern weil Ellington mit Jimmy Woode und dem Drummer Sam Woodyard ein fantastisches Rhythmusteam bildete, das jeden Solisten zu Höchstleistungen anspornte. „Fünf Jahre, vier Monate, zwei Wochen und zwei Tage – die wichtigste Zeit meines Lebens“ hat Woode, dieser verkannte Gigant in der Gestalt eines harmonisch hellhörigen Dieners an der Stütze der Band, den Sound des Ellington-Orchesters mitgeprägt. Die 60er- und 70erJahre sahen Woode an der Seite vieler „Expatriates“ wie Mal Waldron oder Johnny Griffin, erbrachten Arbeit bei Fernsehen und Funk. Der Bassist gründete sogar einen eigenen Verlag. Städte wie Amsterdam, Wien, Bern, München und Berlin wurden nacheinander zur Wahlheimat. Immer wieder geriet er ins Blickfeld, sei es in den 80er-Jahren mit der Paris Reunion Band oder in den 90ern mit Lionel Hamptons Golden Men of Jazz. Sicher liebte Woode das weniger rassistische Europa, dessen Szene er mit so viel Rat und Tat gefördert hat und in dem einst schon sein Vater, ein Pianist, gelebt hatte. Und die Liebe floss zurück. Zu Recht wurde Jimmy Woode bei uns als ein Stück lebendiger Jazzgeschichte verehrt, der seine reiche Erfahrung übrigens nicht nur an junge europäische Musiker weitergab, sondern auch in Texten über Jazz lesenswert formulierte. Allerdings machte Woode auch in Deutschland schlechte Erfahrungen, so als eines Tages seine Wohnung von hakenkreuzschmierenden Nazis verwüstet wurde. Er zog 2001 in die USA zurück, doch die Verbindung zur deutschen Szene brach nie ab. So spielte Woode an der Seite Helge Schneiders im Film „Jazzclub“ einen Bassisten. Und eine seiner letzten Aufnahmen, vielleicht seinen Schwanengesang, spielte er für das Label Laika mit der Oliver Strauch Group ein, „Anatomy of a Trio“, eine Verbeugung vor dem Genius des Duke. „Ganz gleich, in welcher harmonischen oder melodischen Richtung wir uns bewegten“, vermerkte Ellington in seiner Autobiographie über seinen Bassisten, „Jimmy Woode war immer schon da. Es entging ihm einfach nichts, er war ständig in Einklang mit unserer Musik, und ich begann, seinen wahren Wert zu erkennen. Er gehörte zu den Musikern mit Teamgeist, denen es nicht in erster Linie darum geht ihr Licht leuchten zu lassen, sondern alles zu geben, was in ihnen ist.“ Percy HeathAuch Percy Heath, der fünf Tage danach, zwei Tage vor seinem 82. Geburtstag, am 28. April in Southhampton, New York, verstarb, war kein selbstherrlicher Virtuose, sondern ein Musiker des Teamgeistes. Ja, der sensible Tieftöner, als Musiker und Mensch der geborene Gentleman, war ein Meister des Understatements, musste es sein bei der raffinierten Kammermusik, die er Jahrzehnte lang mit dem Modern Jazz Quartet, zelebrierte. Percy Heath wurde in Wilmington, North Carolina, in eine musikalische Familie hineingeboren. Zusammen mit seinen jüngeren Brüdern, dem Tenoristen Jimmy Heath und dem Drummer Al „Tootie“ Heath, gehört er zu den großen Talenten Philadelphias. Relativ spät, erst nach dem 2. Weltkrieg, wechselte er von der Violine zum Bass, meisterte das Instrument aber so schnell, dass er schon nach wenigen Monaten damit professionell arbeiten konnte, wobei er mit seinem Bruder Jimmy 1947 bei Howard McGhee schon mitten in der jungen Bebop-Szene mitmischte. Urväter des Bebop wie Charlie Parker oder Thelonious Monk sollten in den kommenden Jahren immer wieder auf ihn zurückgreifen, vor allem nachdem ihn Dizzy Gillespie 1950 in seine Band holte. In Gillespies Orchester, bei dem so vieles im Jazz seinen Ursprung hat, beginnt auch schon die Geschichte des Modern Jazz Quartet, der einflussreichen Formation an der Schnittstelle zwischen Cool Jazz, Bebop und Third Stream. Bei Gillespie wirkte eine Rhythmusgruppe, die aus Größen bestand, die das Gesicht des Jazz für immer änderten: Milt Jackson, der die Innovationen des Bebop als erster auf das Vibraphon übertrug und es zu einem warm klingenden Melodie-Instrument verwandelte, dem er betörend fließende Melodielinien entlockte. John Lewis, ein begnadeter Komponist, Arrangeur und Pianist, dessen umfassende Bildung in abendländischer Musiktradition ihn zum Brückenschläger vom Bebop zur klassischen Musik prädestinierte. Kenny Clarke, der Vater des modernen Jazz-Schlagzeugspiels. Ray Brown, neben Oscar Pettiford der größte Bassist des modernen Jazz. Zunächst vertrieben sich die vier Herren während der langwierigen Bläserproben gerne mit gemeinsamem Musizieren die Zeit. Dann wurde das Quartett bei Auftritten des Gillespie Orchesters als Band in der Band herausgestellt. Diese vier Herren musizierten auch dann noch zusammen, als das Orchester längst nicht mehr existierte – als Milt-Jackson-Quartett. Mittlerweile hatte Brown mit seiner Gattin Ella Fitzgerald sowie mit Oscar Peterson alle Hände voll zu spielen. Als sie sich die drei anderen 1952 als Modern Jazz Quartet neu formierten, fiel die Wahl des Bassisten ganz natürlich auf Percy Heath, der sich nicht nur an Pettiford und vor allem Brown geschult hatte, und mit seinem straighten, ausbalancierten Spiel und seiner Fähigkeit auf Sparflamme zu kochen genau der richtige Mann war. Diese Umbesetzung und die Ernennung von John Lewis, der seine Spielart des modernen Jazz der barocken und klassischen Ästhetik annäherte, zum künstlerischen Leiter, machte die schon seit einigen Jahren existierende Formation überhaupt erst zu einer der erfolgreichsten Gruppen, insbesondere als Kenny Clarke 1955 durch den noch zurückhaltenderen Conny Kay ersetzt wurde. Der Erfolg der wohl langlebigsten Jazzcombo (1952-1974; 1981-1995) lag zwar zunächst in der gegensätzlichen Veranlagung des instinktiven Vollblutmusikanten Milt Jackson und des planvollen Architekten John Lewis, wäre aber ohne Heaths Bass als Basis kaum vorstellbar gewesen. Die kammermusikalische Raffinesse der vier Künstler, öffnete dem MJQ die Herzen jener und damit dem Jazz die Konzertsäle. Doch Heath hatte auch neben dem Modern Jazz Quartett eine viel zu wenig beachtete Existenz. Trotz auffallender Charakteristika, die ein Zurückdrängen des spontanen Elements vermuten ließen – wie Perfektion (extrem saubere Intonation), Durchdachtheit (sehr planvolle Strukturen), Zurückhaltung (in der Lautstärke und im Temperament) – wirkte sein Spiel nie steif, sondern elastisch, federnd, lebendig und inspirierend. Daher gehörte er zu den meist aufgenommenen Bassisten der Jazzgeschichte. Vor allem um 1953 herum war er für klassisch gewordene Plattenaufnahmen führender Modern Jazzer, gleich ob Monk, Davis, Rollins, Brown und Silver immer wieder der Bassist der Wahl. Doch auch in späteren Jahren, als ihn das MJQ immer mehr beanspruchte, fand er Zeit, auch mit überraschenden Partnern wie Ray Charles oder Ornette Coleman ins Studio zu gehen. Schließlich kam auch für Percy Heath in den späten 70er- und frühen 80er-Jahren eine Zeit, wo er zu Recht mehr im Vordergrund stand. Mit seinen Brüdern tat er sich zu den „Heath Brothers“ zusammen und spielte bei ihnen auch ein scherzhaft als „Baby Bass“ bezeichnetes Instrument, ein Cello mit breiterem Griffbrett und Bassstimmung. Zu seinen Spezialitäten gehörte etwa „The Watergate Blues“, ein mitreißender Ohrwurm, der bedauern lässt, dass er nicht häufiger zur Feder griff. Erst vor einem Jahr legte dieser bescheidene Künstler ein Debut-Album als Bandleader vor: „A Love Song“. KahlschlagInnerhalb weniger Tage im April wurden dem Jazz drei Bassisten entrissen, zwei große Alte und ein weit jüngerer, der aber stilistisch und durch sein Umfeld zu ihnen gezählt werden kann. So ein fast präzedenzloser Kahlschlag unter den tragenden Säulen der modernen Jazz-Tradition hat seine Folgen: Von den großen Bassisten der Generation vor Ron Carter und Charlie Haden, die schon einer anderen Ära angehören, leben nur noch wenige, etwa Richard Davis. Nun sind die Bassisten der bewegten, avantgardistischen 60er-Jahre zu den großen Alten aufgerückt. Marcus A. Woelfle |
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