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Das Thema (fliehende) Zeit, das prekäre, immer wieder neu auszuhandelnde Verhältnis zwischen den Generationen, der brennende Wunsch nach kontinuierlicher Entwicklung als Künstler und der ökonomische Druck als ständiger Widerpart - das sind seit jeher die Lebensthemen des britischen Jazzstars David Holland. Drei seiner Schlüsselscheiben hat der 57-jährige Lebenszeittheoretiker und Jazzbassist nicht zufällig „Life Cycle“, „Seeds of Time“ oder “Dream of the Elders” genannt. Schon allein deshalb war der englische Bass-Star die ideale Besetzung für Walter Schätzleins Westentaschenjazz Ost-West-Festival „50 Jahre Jazzstudio“. 1.200 Besucher lockte das dreitägige Event in die Nürnberger Tafelhalle, das für den Jazz in Nürnberg zwei Dinge bedeutet: Das Ende der Ära des langjährigen Programmchefs Walter Schätzlein – und ab so fort die Eröffnung des „Spiels“ um seine Nachfolge. Tafelhallenleiter Michael Bader hat in diesem Vakuum und vor allem neu zu definierenden Spielraum (unter ganz anderen kulturpolitischen und finanziellen Rahmenbedingungen als zu Schätzleins Glanzzeiten) einen runden Tisch initiiert. An dem ringen derzeit wichtige Schlüsselfiguren um die Zukunft des Jazz in Nürnberg.
„Ich weiß, welche Leistung es bedeutet, über einen so langen Zeitraum gerade im Jazzbereich eine Sache am Laufen zu halten – und ich bin stolz, zu dieser Geburtstagsparty zu gehören“, lobte der bei Miles Davis und Chick Coreas „Circle“ berühmt gewordene Starbassist Dave Holland auf der Bühne der Tafelhalle die Lebensleistung der Jazzstudio-Macher Günther Pächtner und Walter Schätzlein. Für den Jazzstudio-Mitbegründer Walter Schätzlein, der in den vergangen 25 Jahren wie kein anderer definierte, was man in Nürnberg unter Jazz zu verstehen hat, geht mit diesem Jubiläum ein Lebensabschnitt zu Ende. Der 69-Jährige (von der Lokalpresse gerne wahlweise als „dickschädelig“, „Jazz-Papst“ oder „Motor“ des Jazz in Nürnberg apostrophiert) will künftig endgültig die Programm-Planung im Jazzstudio Nürnberg abgeben. Indirekt stellte Holland vom ersten bis zum letzten Ton noch zwei andere Dinge klar, die auch für das Jazzstudio und das zumindest für dieses Jahr gestrichene Jazz Ost-West-Festival von weitreichender Bedeutung sind: Im Jazz bleiben Stars (auch Festivalmacher und Programm-Chefs!) nur dann langfristig ganz oben, wenn sie ständig immer besser werden und gleichzeitig darauf achten, den Abstand zu den Mitkonkurrenten permanent zu erweitern – oder sie setzen auf Überraschungen. Und eine solche war der junge rockige Schlagzeuger Nate Smith (seit September 2003 bei Holland als Nachfolger von Billy Kilson). Auf englische Art gab Holland damit vor allem der neuen, 29-jährigen Programmchefin Britta Lezius indirekt den Auftrag, konsequent und phantasievoll in die Zukunft zu blicken. Die Kunst dieser Programmgestaltung wird darin bestehen, weiterhin sensibel die schwierige Balance zwischen Tradition und Moderne zu halten, denn Zukunft braucht Herkunft. Schwarzer Jazz und weiße akademische Avantgarde, internationale und lokale Highlights müssen da wie bisher gleichberechtigt nebeneinander stehen: So wie bei diesem Jubiläum mit Dave Hollands Quintett und Mandi Riedelbauchs hervorragend eingestellter On Cue Big Band (mit ihrer mitreißenden Hommage für Jazzstudio-Ehrenbürger Count Basie). Die Jazzlandschaft im Großraum Nürnberg verändert sich derzeit dramatisch. Neue Spielorte wie das winzige Blue Note in Fürth oder das Kulturforum Fürth (dort gastierten zuletzt Zabrisiki Point aus Köln und das Martin Auer Quintett) konkurrieren mit dem Jazzstudio. Andere Mitkonkurrenten sind das finanzkräftige Karstadt Kulturcafé, die Kammerspiele im nahen Ansbach (dort spielte vor kurzem überraschend Pharoah Sanders) oder das von öffentlicher Hand gestützte Erlanger E-Werk: Trendspürnase Holger Watzka stellt dort am 9. Mai den angesagten Norweger Bugge Wesseltoft mit seinen „New Conceptions of Jazz“ zur richtigen Zeit am richtigen Ort öffentlich zur Diskussion. Ein ähnliches Timing und Gespür für Trends im Jazz zeigte die bis Mitte der 90er vorbildliche „The Art of Jazz“-Reihe des Jazzstudios zuletzt nicht immer. Anknüpfungspunkte gibt es allerdings noch ab und an: Die Einladung von David Murrays Latin Bigband am 27. Mai, die tags darauf gleich beim Festival in Moers spielt, ist ein solches Kunststück! In Nürnberger Jazzkreisen plädiert deshalb nicht nur „Art of Jazz“- Mitveranstalter Michael Bader für ein renoviertes Konzept der renommierten Reihe. Neue Wege suchen auch die beiden jungen Geschäftsführer der Gostenhofer Jazztage, Markus Hormeß und Adam Lawrence, nach dem Weggang ihres profilierten, langjährigen Programmmachers Achim Göttert. „Die finanziellen Zwänge lassen eine inhaltlich ambitionierte und verantwortliche Programmpolitik nicht mehr zu“, begründete Saxophonist Göttert kürzlich seinen Ausstieg nach den 11. Gostenhofer Jazztagen im vergangenen Jahr. Zwei unabhängige Jazz-Festivals im jährlichen Wechsel – wie bisher – hält Michael Bader allerdings momentan in Nürnberg nicht für machbar. Er kann sich für 2005 ein gemeinsames Festival vorstellen, das „Synergieeffekte“ nutzt. Und das die Farben von Jazz Ost-West, des Vereins Gostenhofer Jazztage, des örtlichen Jazzmusikervereins und der Jazzabteilung der Hochschule Nürnberg-Augsburg (mit Jazzprofessor und Saxophon-Mafioso Steffen Schorn als Motor) gemeinsam zum Leuchten bringt. „Ich denke an ein großes Festival mit dem Zentrum Künstlerhaus, wo eine aufgewertete fränkische Szene sich abbilden könnte, mit einer Außenspielstätte Tafelhalle für die größeren Konzerte, womit das bisherige Format der Gostenhofer Jazztage durch Kneipenkonzerte auch erhalten bliebe.“ Für eine stärkere Einbindung der Hochschule plädiert auch Alfred Mangold vom Nürnberger Qualitätsjazzlabel „Jazz4ever“. Er wünscht sich „dass Professoren und Dozenten in Nürnberg aktiver am Jazzgeschehen teilnehmen als bisher.“ Dass Mangold da auch an Steffen Schorn denkt, ist wohl ein offenes Geheimnis: Von dem kreativen Kölner Multibläser erhofft man sich in Nürnberg künftig mehr Präsenz und Engagement für die Nürnberger Szene. Reinhold Horn
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