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„Ich schreibe schneller als jeder, der besser ist und besser als jeder, der schneller ist.“ Auf diesen Nenner brachte der am 22. Januar im kalifornischen San Juan Capistrano verstorbene Billy May seine Erfolgsformel. Doch es gab wohl noch eine wichtigere Ursache für den Aufstieg des bei Charlie Barnet und Glenn Miller bekannt gewordenen Arrangeurs, Bandleaders, Trompeters und Komponisten: den Billy-May-Sound, eine spezielle Schreibe für die Saxophongruppe, die leichter zu erkennen als zu beschreiben ist.
Als „heulende, herabstürzende Saxophone im Terzabstand“ veranschaulichen die einen, als „schlürfende Saxophongruppe“ die anderen die Art bluesigen Glissandos, die May seinen Saxophonisten abforderte. Man mag ihn animierend oder manieriert finden, auf jeden Fall war dieser Sound in seiner Klangsinnlichkeit so effektvoll, dass ihn keiner vergißt, der ihn einmal gehört hat. May hat natürlich im Laufe seines Lebens auch eine Menge Arrangements geschrieben, die ganz ohne diesen Sound auskommen. Er war eben nicht nur Architekt dieses eines Markenzeichens (für dessen Propagierung er ein eigenes Orchester gründete), sondern ein emsiger, vielseitiger Handwerker, der den Blechbläsern die gleiche Aufmerksamkeit schenkte (manchmal sogar mehr), ein Tausendsassa, der ebenso Dixie- wie Mambo-Sounds aus dem Ärmel schüttelte, ein Profi, der immer genau wusste, welches orchestrale Gewand einen Frank Sinatra oder eine Ella Fitzgerald bei einem bestimmten Song besonders gut kleiden würde. Billy May hat einmal gesagt, er sei Arrangeur geworden, weil er so viel Zeit gehabt habe, die anderen Instrumente zu beobachten, wenn er auf der High School Tuba spielte. Der 1916 in Pittsburgh Geborene hatte bereits in diversen Bands seiner Geburtsstadt musiziert, als eines Tages Charlie Barnet dort gastierte. Billy May stellte sich ihm vor und schlug ihm vor, ein Arrangement für ihn zu schreiben. Das Ansinnen war mit Erfolg gekrönt. 1938 trat Billy May seinem Orchester bei. Er war ein guter Trompeter, doch noch viel besser mit der Feder und wurde auch regulärer Arrangeur der Band. Schon im folgenden Jahr war er in der Jazz-Szene ein bekannter und bald auch gefragter Mann, denn eine seiner allerersten Arbeiten für Barnet war ein Hit geworden. Er hatte einen damals noch recht obskuren Suite-Satz des englischen Bandleaders Ray Noble arrangiert: „Cherokee“. Dieses Stück wurde Barnets größter Hit und Themesong und spielte einige Jahre später wegen seiner interessanten Akkordwechsel auch sogar eine Rolle in der Entstehung des Bebop. Doch das ist eine ganz andere Geschichte. Als im Oktober 1939 Charlie Barnets sämtliche Noten gemeinsam mit dem Palomar Ballroom einer Feuersbrunst zum Opfer fielen, schrieb Billy May das ganze Repertoire noch einmal neu. Einige wichtige Einspielungen mit Barnet, so dass von May arrangierte „Pompton Turnpike“ zeigen ihn auch als Trompeter. Die nächste Station Billy Mays war das Orchester Glenn Miller, der kurioserweise mehr an Mays trompeterischen Fähigkeiten interessiert war, die etwa in „American Patrol“ zu hören sind. Daneben kamen auch einige wichtige Arrangements zustande, etwa von Billy Strayhorns „Take The A Train“. In diesem Zusammenhang ist darauf zu verweisen, dass sich May an der Musik der schwarzen Swingbands orientierte. So haben ihn beispielsweise Jimmie Lunceford und dessen Arrangeur Sy Oliver beeinflusst. Als Miller seine Band auflöste um dann seine Army Air Force Band aufzuziehen, verließ May Miller und zog nach Los Angeles. Nach seinen glorreichen Anfängen klopften natürlich alle möglichen Größen bei Billy May an, Bandleader wie Les Brown und Woody Herman, Sänger wie Bing Crosby, und Plattenfirmen wie Capitol. Musikalischer Leiter von Capitol war der Arrangeur Paul Weston. Für ihn schrieb May einige Ghost-Arrangements. Für Capitol nahm May auch die Platten seiner eigenen Bigband auf, die er ab 1951leitete, aber schon 1954 verkaufte. Billy May hatte in dieser für Orchester ungünstigen Zeit richtige Hit-Alben wie etwa „Bigband Bash”. Trotz der ökonomisch schwierigen Situation für Bigbands in der Nachkriegszeit, sahen die Zeiten für May rosig aus, denn die 50er-Jahre waren noch eine ausgesprochen Big-Band-verliebte Zeit. Das ist kein Widerspruch. Es gab zwar weniger feste Bigbands als in der Swing-Ära, aber jede Menge Studioorchester, die ad hoc aus erfahrenen Profis für Aufnahmen zusammengestellt wurden. Und so hatte May in den Studios viel zu tun. Vor allem ab 1957, als er durch eine Hit-Platte für Sinatra wieder mehr im Rampenlicht stand: „Come Fly With Me“ war seinerzeit auf Platz 1 der Billboard Pop Charts. Solche Erfolge öffneten May viele Türen. Mit Sinatra, den er schon 1939 kennen gelernt hatte, sollte er noch bis 1994 zusammenarbeiten. Er war nun bei Film und Fernsehen gefragt und musizierte innerhalb und außerhalb des Jazz mit Gott und der Welt, ließ es aber ab Mitte der 60er-Jahre ruhiger angehen, denn seine Lebensweise zollte ihren Tribut. May arbeitete sehr viel und verhielt sich bei der Arbeit diszipliniert, und dies als extremer Trinker, der problemlos im Zustand der Volltrunkenheit Orchester leiten und seine Arrangements in Windeseile schreiben konnte. So konnte er zu Beginn einer Aufnahmesitzung auffordern: „Es wird nichts getrunken, außerhalb des Jobs.“ Und die Musiker hatten viel Spaß bei ihm. Es gab nur ein Problem: Er begann erst drei Stunden vor den Aufnahmesitzungen seine Arrangements zu schreiben. Die armen Noten-Kopisten waren wohl nicht zu beneiden; sie schrieben natürlich noch daran, als bereits aufgenommen wurde. Zu beneiden war eher die Schar illustrer Vokalisten von Peggy Lee bis Nat King Cole, die auf Mays Dienste vertraute. Freunde des Great American Song Book werden bei May fündig. Für Ella Fitzgerald orchestrierte er die Songs aus der Feder von Harold Arlen, für Anita O’Day jene von Cole Porter. Gerade in den letzten Monaten hat Verve zufällig einige seiner weniger bekannten Arbeiten wiederveröffentlicht: „After The Ball“ (1960), ein Album des heute noch aktiven, doch seltsam unbekannt gebliebenen Chicagoer Sängers Frank D’Rone wäre kaum wieder aufgelegt worden, stammten die Arrangements nicht von May. Das Album „Ole Tormé. Mel Tormé goes south of the border with Billy May“ bot 1959 eine Blütenlese lateinamerikanischer oder lateinamerikanisch inspirierter Hits. Für dieses Genre hatte May eine besondere Schwäche. Mays Schaffen gehörte zwar überwiegend zu einem „kommerziellen Randbereich“, den Jazzpuristen kaum mehr wahrnehmen: Popular Song und im Bigband-Swing verwurzelte Tanz- und Unterhaltungsmusik. Doch waren es nicht zuletzt durch die Schule des Jazz gegangene und zu ihm eine Bindung aufrecht erhaltende Musiker wie Billy May, die im zweiten Drittel des 20. Jahrhunderts für das gehobene Niveau dessen sorgten, was damals in Amerika Popmusik war. Jazzfernere Spätausläufer dieser Musik, die schon damals strenggenommen kein Jazz war, landen witzigerweise in den Jazz Charts und werden nun, da die Madonnas und Jackos ausgedient haben, zugleich als Erneuerung der Popmusik gefeiert. Schade, dass dann ein Billy May nicht mehr zur Stelle ist, um auch für den richtigen Swing zu sorgen. Marcus A. Woelfle |
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