Anzeige |
|
|
Anzeige |
|
Eine Frage, die mich seit meiner frühesten Jugend (die – zumindest
in Sachen Musik – im Alter von zirka elf Jahren begann) bewegt,
ist die nach dem Ursprung des Begriffs „Blues“. Blau war immer
eine meiner Lieblingsfarben, je tiefblauer, desto besser. Was jedoch hat
die Farbe mit der Musik zu tun? Darüber hinaus böte diese Variante auch Unmengen an interessanten Interpretationsmöglichkeiten, die einem mit genügend schwedischem Kartoffelschnaps im Blut auch als die einzig gültige Wahrheit erscheinen: Mit „Kind of Blue“ wollte Miles Davis offensichtlich alle möglichen Arten des Rausches porträtieren. Um „Midnight Blue“ zu erreichen, musste Kenny Burrell meiner Meinung nach spätestens um neun Uhr abends anfangen, dem Schnaps zuzusprechen, und auch die Botschaft in B.B. Kings „How Blue can you get“ war mir sofort klar: Es ging um Trinkspiele und damit um den Männlichkeitsbeweis schlechthin, die Trinkfestigkeit! Wer sich am meisten hinter die Binde schütten kann, hat gewonnen! Kurz vor dem Sieg stand immer wieder Elvis Costello und ist damit pausenlos einer der Favoriten auf dem Platz des Trinkfestesten: „Almost Blue“. Aber eben leider nur almost... Doch Spaß beiseite, hier geht es weniger um die toxischen Gewohnheiten der Jazz- und Bluesmusiker – und da gibt es einige –, nein, vielmehr geht es um die Farbe Blau selbst, die im Allgemeinen als Sinnbild der Treue gilt. Und die uns Menschen, ähnlich wie die Farbe Rot, seit Urzeiten fasziniert. Was ist das Geheimnis des Blauen? Blau/Blue ist die Farbe gewordene Stimmung: Sehen wir etwas Blaues, löst es in uns eine wohlig-warme Melancholie, eine kühle Gemütlichkeit, Ruhe und Traurigkeit zugleich aus. Scheinbar unvereinbare Empfindungen und Gefühle scheint diese Farbe hervorzurufen, und auch das Lexikon (in diesem Fall Bertelsmann) macht hier keine Ausnahme und ist sich in seiner Aussage scheinbar uneinig: Blues [blu:z] käme vom englischen „blue“, und damit sei „traurig“ gemeint. Das Bild links des Artikels zeigt jedoch zur Veranschaulichung den fröhlichen und breit grinsenden Louis Armstrong, zumindest äußerlich alles andere als traurig. Im meiner Kindheit habe ich ein Buch geliebt, das den Titel „Die Blaue Stunde“ trug. Darin ging es – soweit ich mich erinnern kann – um ein kleines Mädchen, das auf dem Nachhauseweg durch ihre Heimatstadt streunte und dabei das Abendlicht genoss, das, kurz zwischen Sonnenuntergang und dem Einsetzen der nächtlichen Dunkelheit, alle Häuser, Straßen und Bäume in ein verträumtes Blau tauchte. Die Stimmung war zum einen faszinierend, zum anderen aber auch verstörend, und so gefiel dem Mädchen zwar die blaue Welt, die es da in der Geschichte durchwanderte, es war jedoch auch wieder froh, als es zu Hause in der in warmes, rötliches Licht getauchten Wohnung angekommen war. Die Kette der Paradoxa scheint offenbar nicht abzureißen: wohlig/melancholisch, fröhlich/traurig, faszinierend/verstörend. Und als hätte man es inszeniert, taucht sogar in der Definition der „Blue Notes“ [blu nouts], den charakteristischen Tonskalen in der Jazzimprovisation, ein Widerspruch auf: Laut Lexikon verhalten sie sich zwar „funktionsharmonisch gesehen neutral“, führen jedoch dadurch laut Lexikonartikel „zu einer eigenartigen Verwischung von Dur- und Moll-Charakteristik“. Das Wort „eigenartig“ in einer lexikalischen Definition? Zeigt das die Schwierigkeit, den Begriff „blue“ zu fassen? Oder ist das nur Zufall? Wohl nicht. Es ist vielmehr der musikwissenschaftliche Beleg für die einzigartige Fähigkeit des Jazz im Allgemeinen und des Blues im Speziellen, Empfindungen mit einem lachenden und einem weinenden Auge zu beleuchten und widerzuspiegeln. Und somit doch um einiges mehr dazu geeignet sein scheint, Gefühle auszudrücken oder zu verarbeiten, als ich es dieser Musik bisher zugetraut habe (wir erinnern uns: in der letzten Folge von „jäzzle g’macht“ ging es um den „Liebeskummerjazz“, also die vermeintliche Unfähigkeit des Jazz, dem Liebeskummer einen adäquaten Soundtrack zu liefern)... Mit dieser Erkenntnis gesegnet drücke ich den „Speichern“-Button, fahre den Computer herunter und schließe die Vorhänge an meinem Schlafzimmerfenster. Die selbstverständlich in der einzig wahren Farbe für Vorhänge gehalten sind: Tiefblau! Sebastian Klug |
|