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Jazzfestival Saalfelden. Hey, its a great work, quetschte David Murray unter seinem Cosa-Nostra-Schnauzer hervor, das Jazzfotobuch in der Hand. Bin ich drin? Nein, antwortete der zufällig neben dem Musiker stehende Fotograf und Buchautor. Oh. Its a great photo book, strahlte Murray, legte das Buch beiseite und ging. Gekauft hätte er es ohnehin nicht. Viele Musiker erwarten, dass sie solche Bücher ehrenhalber kostenfrei überreicht bekommen. Szenewechsel. Alter Schlachthof Dresden, Zugabe-Applaus nach einem guten Konzert des Zentralquartetts. No Photo! No Photo!, krähte der verbissen um Schalk bemühte Ernst-Ludwig Petrowsky einem bekannten Jazzfotografen entgegen, als der gerade die sich verbeugenden Musiker im Kamerasucher hatte Petrowsky konnte es offenbar nicht verwinden, dass kein Portrait von ihm im Fotobildband dieses Fotografen zu finden ist.
Auf die eine oder andere Weise sehen viele Jazzmusiker in der Jazzfotografie vordergründig eine Art spezifisches Werbemedium, eine Möglichkeit, mit der sie nicht nur ihre künstlerische Arbeit in besonderer Weise wertgeschätzt, sondern auch ihre auf das Publikum kindisch wirkenden Eitelkeiten bedient sehen wollen. Und diese Haltung ist trotz des Egozentrismus, von dem sie zeugt, nicht ganz von der Hand zu weisen, schließlich gilt gerade der zeitgenössische Jazz als das Musikgenre, in dem es am ehesten ganz konsequent um individuelle künstlerische Aussagen geht. Warum also sollte dann Jazzfotografie nicht die Künstlerindividualität in den Mittelpunkt stellen mehr als jede andere Musikfotografie? Wenn Jazzfotografie dies täte, wäre das verständlich, aber sie tut es zumindest im Allgemeinen nicht. Stattdessen dominieren in Zeitschriften, Katalogen und Ausstellungen modisch arrangierte Fotos im Stile der Werbe-Visuals und im Alltag der Tageszeitungen eilige Schnappschüsse, die manchmal etwas von der Bildberichterstattung auf Sportseiten haben. Eitle Musiker sind für Fotos der ersten Kategorie besonders zu haben, zurückhaltendere sind für die der zweiten Kategorie wenigstens dankbar. Als eigenständige Gattung entstanden ist die Jazzfotografie mit dem neuen Jazz nach 1945, mit dem Bebop, dem Cooljazz und dem Hardbop; sie hat angefangen als eine Art fotodokumentarische Verehrung, die Fans ihren Musiker-Helden mit der Kamera in der Hand zukommen ließen. So hing William Claxton Anfang der 50er-Jahre in den Clubs von Los Angeles rum, fotografierte das Gerry Mulligan Quartet mit Chet Baker, wurde schließlich Hausfotograf von Pacific Records, dann der Art Director dieses Labels und schließlich der wahrscheinlich weltbekannteste Jazzfotograf. Einen ähnlichen Werdegang nahm Francis Wolff. Der knipste ab 1941 während der Studio Sessions und Proben seiner Jazz-Heroen und avancierte zum Hauptfotografen des berühmten Blue-Note-Labels. Beiden sind mehrere Aspekte gemeinsam: Sie drangen jeweils in die Arbeitswelt der Musikanten ein, dokumentierten sie unmittelbar vor Ort keineswegs lediglich bei Bühnenauftritten mit einem sicheren Gespür für die Individualitäten (Claxton studierte nicht nur ein paar Monate Kunst, sondern auch Psychologie), beide entwickelten daraus auch einen Sinn für visuelle Inszenierungen, indem sie Fotos für Plattenhüllendesigns schossen oder sich gar selbst für die Designs verantwortlich zeichneten. Visuelle Psychologie des Jazz und Werbefotografie diese beiden Elemente der Jazzfotografie wurzeln in den Arbeiten von Claxton und Wolff, während ein anderer, William P. Gottlieb, das Tagesdokumentarische hinzufügte. Der begeisterte Jazzfan Gottlieb nämlich, eigentlich Anzeigenakquisiteur, bekam in seiner Zeitung Washington Post eine wöchentliche Jazz-Kolumne, und da ein Pressefotograf nicht zur Verfügung stand, fotografierte Gottlieb selbst. Seine Bilder spielen nicht mit Atmosphäre, sie halten einfach in distanzierter, karger, spröder Schönheit die Musiker meist während der Konzerte fest. Was Gottlieb vermeiden wollte, Fotos mit arrangierten lyrischen Stimmungen, gelang Herman Leonhard, und zwar zunächst ungewollt. Als nämlich beim Betätigen des Auslösers eine Lampe versagte, entstand ein enigmatisch wirkendes Bild, das Leonhard gefiel; seither arbeitete der Fotograf mit Stimmungsmachern wie Rauch, Gegenlicht, Schatten. Der Ehrgeiz, unter Benutzung des Gestaltungselementes Musiker eigene ambitionierte Kunst zu machen, war somit geboren. Und damit sind wir wieder in der Gegenwart. Die Arbeiten des Slowenen Ziga Koritnik enthalten ganz disparate Gestaltungsprinzipien. Licht-Schatten-Kontraste, Hell-Dunkel-Abtönungen und symbolistische Arrangements auf der einen, direkte, deutlich gezeichnete Dokumentationen auf der anderen Seite spannen die Breite von Koritniks fotokünstlerischem Spektrum auf. Keziah Jones (Wiesen 1995) von Dunkel umgebener, von da herausmodellierter Körper, bei dem die Identifizierung des Musikers nahezu unmöglich und autarkes ästhetisches Spiel Ziel des Fotos ist, der ebenfalls nicht erkennbare Vernon Reid (Saalfelden 1995), dessen fließende Dread-Lock-Haare zum Symbol für das Fließen der Musik hochgedeutet werden könnten, sowie Bobby McFerrin (Wien 1994), Dokumentar-Momentaufnahme und visuelles Psychogramm in einem, stecken drei ästhetische Eckpunkte ab. Ästhetisierendes und Symbolistisches hat der Münchner Ssirus W. Pakzad wohl am weitesten vorangetrieben. Der visionär dreinblickende, von Spot-Strukturen in der Art von gotischen Kathedral-Bögen eingerahmte Melvin Gibbs (Saalfelden 1995), Lee Konitz (Saalfelden 1993), der in beklemmender Weise durch das Gestänge-Dreieck eines Gerüstes direkt ins Auge des Betrachters starrt, oder der fast ebenso hinter ein Gestänge drapierte, gedankenschwer-mürrisch und Rap-finster wirkende Steve Coleman (Saalfelden 1993) lassen den Eindruck entstehen, dass sich bei Pakzad nicht selten eine geschönte Ästhetik aus der Welt der Werbung und der (Pseudo-) Zeitgeistmagazine unter Verwendung der Musiker zur Kunst-Bedeutsamkeit hochstilisiert. Sein Erfolg wenn häufiger Abdruck der Fotos als Erfolg begriffen wird gibt Pakzad Recht. Eine Reihe von Pakzads Fotos wie auch nicht selten die von Marianne Hamann und Hans Harzheim helfen, im öffentlichen Bewusstsein eine Attraktivitäts-Ästhetik zu etablieren, die zweifellos ihrerseits hilft, Platten zu verkaufen und Konzerte zu besuchen, die also auch (manchen) Musikern hilft. Doch was erzählen sie von der Vielfalt und vom Wesen dieser Musik, was von den psychischen Aspekten und Spezifika des Jazzmusizierens? Diesen psychischen Aspekten des Musizierens wendet sich wohl Matthias Creutziger am konsequentesten zu; häufig sind seine Fotos visualisierte Psychogramme des Musizierens und der Musiker-Individualisten. Die Kunst der Improvisatoren lediglich als Sprungbrett für eigene, am modischen Trend orientierte Ambitionen zu nutzen, liegt Creutziger wahrscheinlich so fern wie kaum einem anderen. Gerade dadurch erhalten solche Fotos künstlerische Eigenwertigkeit scheinbar ein Paradox angesichts des unaufdringlichen Charakters dieser Bilder. Auch Peter Bastian mit seinem faszinierenden Auge für Situationen mit Flair, Detlev Schilke, der viel Wert auf Dynamisches legt und Manfred Rinderspacher, dessen Fotos eher zurückhaltend und schnappgeschossen wirken und der sich immer wieder von Antonionis Blow up inspiriert fühlt, dringen mit ihren Fotos in die psychischen Welten des Musizierens ein und bannen damit für den Jazz Wesentliches auf Papier. In dieser Zuspitzung auf die Musizier-Psychen der Musikanten liegt aber auch ein Problem: Lebens- und Arbeitsbereiche der Musiker, die anderweitig wenigstens noch andeutungsweise erfasst werden das Milieu hinter der Bühne oder im Studio, Musiker beim Komponieren, Musiker daheim, Selbstportraits, Straßenszenen, ganze Festival-Dokumentationen und Publikums-Schnappschüsse fehlen nahezu völlig, erst recht die Sujets, die auch sonst von niemandem beachtet werden: Produzenten, Plattenhüllendesigner, Plattenläden, Management, Musiker on the Road, kurz: alles, was sonst noch zur Subkultur Jazz gehört. Dennoch: All diese Fotografen, für die Jazz auch zum eigenen Lebenselixier gehört, geben mit vielen ihrer Arbeiten treffende Antworten auf die Frage: Reicht es aus, einen Musiker beim Essen oder elegisch an ein Fenster gelehnt oder vor einem symbolträchtigen Hintergrund drapiert abzulichten, um aus einem Foto ein Jazzfoto zu machen? Eins sollte man jedoch bei alldem bedenken: Von Jazzfotografie allein kann gegenwärtig in Deutschland und anderswo kaum jemand leben. Viele von denen, die das versuchen, kommen nicht umhin, auch andere verwandte und fremde Felder mit zu beackern: So arbeitet etwa Creutziger noch als Theater- und Konzertfotograf (so genannte Ernste Musik), Ziga Koritnik hat einen Teiljob als Kameramann beim slowenischen Fernsehen, andere haben ihr thematisches Spektrum um Blues und Rock erweitert (beispielsweise der Berliner Thomas Metzner). Sogar Aufträge als Reisefotograf oder im Werbesektor sind drin. Eine nahe liegende, heute aber offenbar relativ selten vorkommende Kombination hatte einst William P. Gottlieb vorgemacht: der Fotograf als Schreiber (oder der Schreiber als Fotograf). Beides während eines einzigen Konzertes zu bewerkstelligen, ist so die einhellige Meinung der Fotografen außerordentlich schwierig; zu verschieden wird die Aufmerksamkeit bei der Bildsuche und beim konzentrierten Zuhören beansprucht. Pakzad und Creutziger versuchen den Spagat immer wieder mal, Creutzigers Konzert- und Festivalkritiken in Tageszeitungen sind dabei nicht selten pointiert und anregend, Pakzads Artikel in Jazzmagazinen tragen zur Publicity der Musiker ebenso bei wie seine Fotos. Insgesamt spiegelt die Situation der Jazzfotografen diesbezüglich die der Jazzmusiker wider. Von denen sind auch jene, die sich konsequent mit experimentierfreudiger, avancierter, grenzüberschreitender Musik beschäftigen, zu den verschiedensten Neben-(Haupt?)Erwerben (Musiklehrer, TV-Film-Komponist, Studiomusiker, Aushilfskellner ...) verdammt, während sich die Berühmtheiten auf ihre großen Namen und das Wissen, den Geschmack vieler zu bedienen, verlassen können. Für den fest angestellten oder pauschal beschäftigten Fotografen einer Tageszeitung kann dagegen die Jazzfotografie willkommene Abwechslung sein, die dennoch bloß einen von bis zu zehn Foto-Terminen täglich ausmachen kann und die sich ästhetisch einfach gestaltet und vor allem der Konzertdokumentation gewidmet auf der Kreisseite neben Schnappschüssen von Geschäftseröffnungen und Polizeiaktionen bewähren muss. Die Situation eines solchen Fotografen hinsichtlich seiner Jazzfotos ist widersprüchlich. Einerseits verfügt er auch als Pauschalist über ein gewisses Mindesteinkommen, mit dessen Hilfe er seine Jazz-Neigungen besser realisieren kann, andererseits sind ihm engere ästhetische Begrenzungen gesetzt. So darf der Tageszeitungsleser durchaus Dokumentarisches erwarten; er will aus seiner Zeitung nicht nur die exakte Besetzung der jeweiligen Band des vorgestrigen Konzertabends erfahren (eine Frage des Artikels), sondern auch per Foto möglichst umfangreich über das Line-Up informiert werden. So unmöglich die Einlösung dieser Erwartung bei Big-Band-Konzerten auch ist, so ungenügend wäre es, würde die Tageszeitung immer nur eine psychologisch feinzeichnende Nahaufnahme des jeweiligen Stars in Action abdrucken und die anderen beteiligten Musiker regelmäßig weglassen. Auch drucktechnische und redaktionelle Faktoren fordern ihr Tribut. Nur in wenigen Tageszeitungen können saubere, fett-schwarze Flächen qualitativ gut gedruckt werden, ohne dass sie auf der Rückseite durchschlagen. Gerade aber schwarze Hintergründe und schwarz-weiße Kontraste scheinen essenziell zu künstlerisch ambitionierter Jazzfotografie zu gehören. Und welche Zeitung rückt ein Jazzfoto schon fünfspaltig ein? Briefmarken-klein entfalten aber die wenigsten Fotos eine künstlerische Wirkung. Mit anderen Worten: Jazzfotografie für das ständige Geschäft in Tageszeitungen einerseits und für Kunstbücher, Kunst-Magazine und Ausstellungen andererseits sind wohl verschiedene Dinge. Und so wenig eine Wagner-Aufführung in Bayreuth gültig für die deutsche Musikkultur steht, so wenig tun dies die gelegentlichen Jazzfoto-Ausstellungen hinsichtlich des aktuellen Zustandes der Jazzfotografie. Schließlich sucht der ernsthafte Fotograf aus hunderten seiner Bilder vielleicht ein, zwei für die Galerie-Ausstellung oder ein Buch aus. Bei dieser sehr strengen Auswahl ist es umso unverständlicher, wenn Musiker über das Fehlen ihrer Konterfeis verärgert sind, schließlich sind die Fotografen auch nicht vergnatzt darüber, dass außer verschiedene Jazzer mit Titeln zu Ehren des großen Claxton so gut wie kein Musiker je einem Fotografen mit einer Komposition ein Denkmal gesetzt hat. Mathias Bäumel
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