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ob Feuilleton, ob Jazz-Magazin, er ist überall zu finden, der Jubiläumsartikel. Ich denke zurück an das Jahr 1998 (George Gershwin), an 1999 (Duke Ellington) oder 2000/01 (Louis Armstrong). Doch Jubiläumsjournalismus ist nicht nur Ausdruck mangelnden redaktionellen Einfallsreichtums. Er hat seinen Zweck. Jede Epoche, jede Gesellschaft hievt ihre Helden aufs Podest und identifiziert sich mit ihnen. Wir Jazzer betreiben eben unsere spezielle Art der Ahnenverehrung. Die ist mir allemal lieber als alle Reiterstandbilder und so genannten FreiheitsHallen zusammen.
Im April stehen zwei ganz besondere Gedenktage an: Am 6. April wäre der Baritonsaxophonist Gerry Mulligan fünfundsiebzig und am 22. April der Bassist Charles Mingus achtzig geworden. Mulligan verkörperte modernen kammermusikalischen Cooljazz wie kaum ein anderer. Von Bert Noglik nach seiner musikalischen Konfession befragt, antwortete er: Das Großartige am Jazz ist die Tradition und die Möglichkeit, diese weiterzuführen. Obwohl stilistisch geradezu ein Antipode von Mingus, verbindet ihn diese Grundidee vom Jazz mit Letzterem. Mingus Musik war niemals cool, niemals dezent, im Grunde swingte sie nicht einmal, sie überrollte einen eher (besonders wenn man Mingus zusammen mit Dannie Richmond hörte). Dennoch ist Mingus musikalisches Bekenntnis auch eines zur Tradition, zur afroamerikanischen wie zur europäischen. Ein echter europäischer Vertreter des Jazz ist fraglos das VAO, das Vienna Art Orchestra, das seit fünfundzwanzig
Jahren existiert. Die Arrangements und Kompositionen des Schweizer Orchesterleiters Mathias Rüegg haben nur auf
den ersten Blick nichts mit der Wildheit eines Mingus, der Coolness eines Mulligan zu tun. Rüegg formte innerhalb
eines Vierteljahrhunderts mit wechselndem Personal Besetzungen, die wie ein Schweizer Uhrwerk funktionierten. Gleichzeitig
lässt er dem einzelnen Musiker extreme Freiheit und Eigenständigkeit, wie es vor ihm vielleicht nur Mingus
wagte. Zurück zu den Jubiläen. Auch über den Atlantik hinweg gilt: Die Zukunft des Jazz liegt in seinen
Traditionen. Womit wir in der Gegenwart angelangt wären. Ihre Andreas Kolb
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