|
|
|
|
Jazzzeitung
2002/04 ::: seite 20
education
|
|
|
|
|
|
|
|
Als der renommierte Percussionist Günther Baby Sommer vor einiger Zeit zum Professor für Ensemblespiel
und Percussion an der Dresdner Musikhochschule Carl Maria von Weber und damit zum Nachfolger von Professor
Siegfried Ludwig (einst Sommers Lehrer) geschlagen wurde, begann ein neuer Wind in der Klasse Jazz,
Rock, Pop zu wehen. Mehr Welt in die regionale Musikstadt Dresden und deren Musikhochschule holen, mehr Internationalität,
mehr künstlerische Offenheit und Freude am Experiment dies waren Hoffnungen, die sich mit Sommers Antritt
verbanden. Vieles ist seither bewegt worden. Sommers neuester Coup: Er holte für einen Workshop vom 13. bis 15.
März (nach Redaktionsschluss) den außergewöhnlichen New Yorker Tenorsaxophonisten und Komponisten
Ellery Eskelin und dessen Trio nach Dresden. Eskelin gilt als ein künstlerisch sehr eigenständiger Musiker,
der sich immer wieder auf den Jazz bezieht, dabei gleichermaßen aber auch Elemente zeitgenössischer komponierter
Musik sowie der freien Improvisationsmusik integriert. Allein unter eigenem Namen hat er seit 1988 bis heute 15 LPs/CDs
eingespielt, als Mitglied der Bands Baron Down, Joint Venture und 4 HORNS &
WHAT? sowie als Sideman bei Rabih Abou-Khalil, Eugene Chadbourne, Mark Helias, Gebhard Ullmann, Tom Varner und
vielen anderen kommen noch einmal etwa 30 CDs dazu. Mathias Bäumel stellte Ellery Eskelin im Zusammenhang mit
dem bevorstehenden Workshop in Dresden einige Fragen.
Jazzzeitung: Als du am 7. Februar 1988 deine erste LP aufgenommen hast, gabst du ihr den doppelsinnigen Namen
Setting the Standard. Einerseits sind darauf Jazz-Standards wie Yesterdays, All the
things you are oder East of the sun enthalten, andererseits: Welche Standards des Tenorsax-Spiels
hast du denn damit gesetzt?
Ellery Eskelin: Nun, das ist eine Frage, die andere beantworten sollten. Als meine erste eigene Einspielung
sollte es einfach meine Jazzwurzeln dokumentieren, kombiniert mit einigen meiner eigenen Vorstellungen zu Phrasierung
und dem Zusammenspiel innerhalb einer Band. 1988 war es wichtig für mich, dies zu tun, weil ich damals spürte,
dass sich meine Musik zu verändern begann.
Jazzzeitung: Als ich dich vor einigen Jahren das erste Mal live im alten Jazzclub Tonne spielen und einige
Aufnahmen von dir mit Paul Smoker, Baron Down und anderen hörte, nahm ich dich als einen kraftvollen, im Sound
Shepp-artigen Spieler wahr. Kannst du deinen eigenen künstlerischen Weg seit deiner ersten Platte bis heute beschreiben?
Eskelin: Das ist eine interessante Frage, denn während meiner gesamten durch Aufnahmen dokumentierten
Karriere haben Kritiker mich letztlich mit zwanzig verschiedenen Saxophonisten verglichen. Die Leute mögen häufig
solche Vergleiche, weil es für sie dadurch einfacher wird, Sinn und Bedeutung aus all dieser Menge von Musik
herauszufiltern, die heutzutage verfügbar ist. Doch solche Vergleiche helfen normalerweise den Musikern nicht,
weil es beispielsweise kaum möglich ist, wie zwanzig verschiedene Saxophonisten zu klingen. Nicht selten sind
diese Vergleiche irreführend und bringen nicht jene spezifischen musikalischen Ergebnisse zum Ausdruck, die gerade
das Persönliche des jeweiligen Musikers ausmachen. Meine Entwicklung als Saxophonist ist eng verbunden mit dem
jeweiligen Gruppenkonzept, das ich mit meinen Bands herausgearbeitet habe. Seit meinen ersten Aufnahmen habe ich versucht,
verschiedene Kontexte herauszufinden, in die ich das Saxophon hineinstellen kann. Beispielsweise versuche ich Instrumentierungen
zu nutzen, die im Vergleich zu den meistens verwendeten herkömmlichen Bläser-Piano-Drums-Bass-Mustern Alternativen
darstellen. Das gibt jedem Musiker die Chance, die eigene Rolle neu und nach den eigenen Wünschen zu definieren.
Und auch mir gibt es die Gelegenheit, mich als Ellery Eskelin und niemanden sonst zu realisieren.
Jazzzeitung: Deine aktuellen Aufnahmen sind dichte, strukturierte Texturen in einigen Fällen frei
improvisiert, in anderen vor-komponiert. Was war der persönliche Grund, von straight-ahead-Jazz-Standards zu
komplexen, multi-dimensionalen Stücken zu kommen?
Eskelin: Das ist natürlich gewachsen, es ist nichts, was Jahre im Voraus geplant worden wäre. Ich
bin daran interessiert, einige meiner Jazz-Wurzeln als Spieler anklingen zu lassen. Aber ich bin ebenso daran interessiert,
diese Jazzelemente mit anderen musikalischen Formen zu kombinieren. Für mich ist wichtig, einen musikalischen
Ausdruck zu finden, der für mich heutzutage, in dieser Zeit und in dieser Ära, relevant ist. Ich will keine
Nachempfindungen eines vergangenen Stils machen.
Jazzzeitung: Wenn man deine aktuellen HatOLOGY-CDs mit deiner Kooperation mit Daniel Humair (LIBERTÉ
SURVEILÉE) vergleicht wohin möchtest du deine Musik entwickeln?
Eskelin: Das Projekt mit Daniel Humair bot mir Gelegenheit, eine mehr jazzorientierte Musik zu spielen, aber
eben mit großartigen Musikern, die sehr offen in ihrem musikalischen Denken sind. Daniel gab mir in seiner Musik
ziemlich viele Freiräume, und das war eine sehr angenehme Erfahrung. Meine eigene Musik versuche ich in verschiedene
Richtungen voranzutreiben. Zuletzt habe ich mich mehr mit vollständig improvisierter Musik beschäftigt.
Meine letzte CD Vanishing Point war komplett improvisiert mit Saxophon, Streichern und Vibraphon. Und
meine neue CD mit Andrea Parkins und Jim Black 12 (+1) Imaginary Views erkundet ebenfalls
eher offene Formen der Improvisation.
Jazzzeitung: Welche pädagogischen Ziele verfolgst du mit dem Workshop an der Hochschule für Musik
Carl Maria von Weber und wer wird teilnehmen?
Eskelin: Ich habe wirklich keine pädagogischen Ziele. Mein Ziel ist, mit den teilnehmenden Musikern zu
kommunizieren und mit ihnen gemeinsam künstlerische Ergebnisse zu finden, die ihnen persönlich entsprechen.
Ich würde sie gern dazu bringen, von ihren eigenen künstlerischen Versuchen zu erzählen, um ihnen dann
ein paar Optionen anzubieten, die sie praktisch probieren und durchdenken könnten vielleicht auf andere
Weise als zuvor. Ich liefere keine Antworten, nur Fragen. Wir führen diesen Workshop an der Dresdner Musikhochschule
durch, und wie ich das verstehe werden viele Studenten teilnehmen. Wer genau, weiß ich noch nicht, es ist ja
für mich das erste Mal, dass ich in Dresden einen solchen Workshop leite. Doch ich bin offen für eine ganze
Bandbreite an Spielern, für jeden, der daran interessiert ist, improvisierte Musik zu erkunden.
Mathias Bäumel
|