Anzeige |
|
|
Anzeige |
|
Was ist Jazz? Eine Hautkrankheit? So witzelten Jazzer schon in den 70ern über die Unbedarftheit ihres Publikums. George Wein, der Gründer des legendären, 1954 in Rhode Island aus der Taufe gehobenen Newport-Festivals ergänzte: Frag heute (1975) 100 Leute auf der Straße Was ist Jazz? und du bekommst mindestens 75 verschiedene Antworten. Schon damals lag der Jazz im Clinch mit seinem Publikum... Die verpasste Chance: 1979 kam George Wein auf meine Anregung hin mit seinem Festival zu uns in die Olympiahalle und verkaufte an einem Abend fast 10.000 Eintrittskarten! Am Tag zuvor hatte ich noch die Werbetrommel gerührt. Mit mehreren Freiluft-Konzerten in der Innenstadt, vor mehreren Tausend Zuhörern auf dem Marienplatz mit Woody Herman und seiner Big Band. Dann Dizzy, Sassy, Lionel, Stéphane, Grover, Chick & Herbie oder Albert & Wolfgang an einem Abend! Doch statt zu jubeln, schrie die heimische Szene Verrat! Während des Festivals war in den Clubs natürlich tote Hose. Auch die Kollegen der schreibenden Zunft maulten und sahen ihre Reisen zu den gleichen Musikern an so schöne Festival-Orte wie Montreux oder Nizza in Gefahr. Was vorher aus der Ferne noch als gigantisch bejubelt wurde, war vor Ort zum lieblos geschnürten Festivalpaket runter geschrieben worden. Außerdem hatte George Wein an diesem Abend für jedermann sichtbar einen zu guten Schnitt gemacht. So viel Geld zu verdienen und dann noch mit Jazz. Pfui Deibel! Im folgenden Jahr war von den Kameras der ARD beim Jazz-Festival in der Olympiahalle nichts mehr zu sehen und im dritten Jahr verlor George Wein in der Olympiahalle nicht nur ein Einfamilienhaus, sondern auch die Lust an der Münchner Gemütlichkeit. Das Festival wurde wie eine Hautkrankheit ausgeschwitzt und nur für den örtlichen Veranstalter LOFT gab es anschließend noch genügend weiße Salbe, mit freilich immer weniger Wirkstoffen, um bis in die späten 90er im Gasteig den großen Klaviersommer vom Stapel zu lassen. Auch das ist längst Geschichte. Heute führt Innegret Volkhardt, ihres Zeichens Chefin im Bayerischen Hof, den Klaviersommer im kleineren Rahmen fort, ohne weiße Salbe und auf eigene Rechnung, versteht sich. Die hats ja... Womit wir bei Thomas Vogler wären. Der hat es nämlich nicht, den hat es höchstens. Da verkauft dieser Waisenknabe im Jahr keine 100 Hektoliter Bier, sprich nach Adam Riese keine 30 Liter oder 60 Halbe pro Abend und will von diesen rund 300 Mark Bierumsatz und einigen Zerquetschten für noch dies und das 7.000 Mark Pacht im Monat oder rund 230 Mark pro Tag löhnen. Selbst wer Umsatz mit Gewinn verwechselt, was insbesondere unter Jazzwirten leider eher die Regel als die Ausnahme ist, dürfte sich bei kühlem Kopf auf so ein Geschäft nicht einlassen. Um das im Vorab zu erkennen muss man weder ein abgeschlossenes Studium der Wirtschaftswissenschaften vorweisen können, noch umfangreiche und kostspielige Feldstudien treiben. Doch seis drum. Wer hat nicht schon einmal aus jugendlichem Leichtsinn und voller Enthusiasmus versucht die Wände einzureißen? Aber spätestens nach zwei Jahren, als das Finanzamt und die GEMA vor der Türe standen, hätte dem Wirt ein Licht aufgehen müssen. Alles Haffa, oder was? Doch nein, statt dessen beklebte unser Pfiffikus seine eigenen Toilettenwände mit wütenden Protesten gegen die GEMA-Forderungen und führte die GEMA-Mark ein.
Jetzt freilich ist der Katzenjammer groß! Der arme Vogler und die böse Spatenbrauerei! Dabei wollte die Brauerei mit der Kündigung nur verhindern, dass Herr Vogler in sein Unglück rennt. Klingt vielleicht aus dem Munde der Großkopferten ein wenig zynisch, ist aber nicht so ohne weiteres von der Hand zu weisen. Zumal die Münchner Brauereien schon mehr als ihnen vor ihren Aktionären lieb sein durfte, (Stichwort: Shareholder Value) so ihre Erfahrungen mit Münchner Jazzkneipen gemacht hatten. Und das war schon immer so, auch in den 70ern! Da mögen die Eltern der Teenies und Twens von heute noch so schwärmen von der guten alten Zeit. Ich denke da nur an den Schiffbruch von Fritz Otto und seiner ehemaligen Vielharmonie in Haidhausen. Otto griff nach den Sternen, engagierte Stars wie Freddie Hubbard oder John Scofield und hatte damit oft ein volles Haus, aber bald, auch aus privaten Gründen, kein Moos. Oder an die vorsichtiger agierende, längst verarmt verstorbene Jazz-Mutti Anneliese Merkelstätter und ihre Jazzstube in der Herzogstraße. Die musikalische Leitung ihres Clubs hatte sie vertrauensvoll in die, an den schwarzen und weißen Tasten sicher besser als an der Kasse aufgehobenen Hände des Pianisten und Jazz School Gründers Joe Haider gelegt. Während die Mutti in der Küche tapfer den Kochlöffel schwang, konnte sie so manch einen elaborierten Klang, vornehmlich der Münchner Modernisten vernehmen, musste aber zugleich zusehen, wie sich die in den Club gesteckte kapitalisierte Rente ihres verstorbenen Mannes innerhalb von weniger als einem Jahr, genau wie die in ihrem Club gespielten Töne buchstäblich in Luft auflöste. Apropos Kochlöffel: da hatten wir in der Türkenstraße mit Hermann Kügler einen auf Michelin-Sterne fixierten Koch, der zugleich ein ambitionierter Schlagzeuger war. Als sich weder die Gourmets noch die Sterne einstellen wollten, mutierte er zum Trommlerwirt, hob das Allotria aus der Taufe und erfand den Schweinebraten-Frühschoppen. Die damals noch zahlreichen Münchner Dixie-Amateure gaben sich dort die Klinke in die Hand und fanden das natürlich bärenstark. Vor allem sonntags, wenn die Knödelboys spielten und der Laden, auch bei gutem Wetter meistens brechend voll war. Vermutlich hatte Hermann Kügler auch noch von der Einführung der Woche mit sieben oder wenigstens vier Sonntagen geträumt. Dann wäre wohl trotz des dort herrschenden chronischen Chaos aus dem Allotria noch eine Goldgrube geworden. Nachdem diese Pläne aber an dem unverständlichen Widerstand einflussreicher Kreise gescheitert waren, zog es Hermann nach immerhin rund zehn Jahren Allotria vor, sich über Nacht mit Sack und Pack aus dem Staub zu machen. Nicht viel anders erging es seinem Nachfolger Helge Rohwedder, der nur hinterm Tresen stand und laut ins Publikum Umsatz rief, was die Stimmung auch nicht hob. Das verkürzte seine Saison auf der Rennbahn in Daglfing erheblich und machte schließlich den Weg für Gerry Hayes ins Allotria frei. Nach Gerrys Music Corner am Feiltzschplatz, und Gerrys in der Sternstraße. Unter seiner Leitung wurde aus dem Allotria ein Mainstream Jazz Club, der an das kurz zuvor geschlossene noch immer legendäre domicile anknüpfen sollte. Etwas konventioneller im Programm, oft mit dem Hausherrn als Schlagzeuger, Vibraphonisten oder Sänger auf der Bühne und immer wieder mit Gastspielen internationaler Größen vom Kaliber eines Ray Brown, Monty Alexander oder Louie Bellson. Geblieben ist auch ihm davon buchstäblich nichts. Bis auf die Ehre, dem Münchner Jazzleben so manch ein musikalisches Glanzlicht aufgesetzt zu haben. Die darauf folgende unendliche (Leidens-) Geschichte mit noch zwei Umzügen seines Allotrias, einem Abstecher in Gerrys Swingland im Schinkenschöberl das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen und seiner im letzten Sommer beendeten Episode als Programmleiter von Gerrys Swingland im Hofbräukeller spielte sich erst in den letzten 20 Jahren ab. Ebenso die der Unterfahrt, die erst Ende der 70er entstand und nur deshalb hier keine Erwähnung findet. Also nicht in der guten alten Zeit, als alles noch viel besser war. Blicken wir also noch einmal zurück auf das JazzMünchen in die 70er-Jahre, die nicht nur von Fritz Otto und seinen Flausen, der etwas harmlosen Jazz-Mutti und dem Trommlerwirt Hermann Kügler geprägt waren. Zunächst einmal war da das domicile. Lange Jahre in der Siegesstraße, dann in der Leopoldstraße, Ecke Franz-Josef-Straße. Das domicile war der tonangebende Jazzclub in München. Und das hatte mehrere Gründe. Einmal weil der Betreiber Ernst Knauff noch bis kurz vor der Eröffnung seines Clubs selbst die Basssaiten, etwa im Käuzchen etwa mit Baldur Bockhoff am Klavier gezupft hatte, aber rechtzeitig erkannt hatte, dass aus diesem gemeinsamen Musizieren nie mehr als eine nette Feiertagsbeschäftigung werden konnte. Konsequent legte er in seinem domicile den Bass beiseite und ließ Bessere ran. Beurteilen konnte er dies allemal, schließlich wusste er ja, wie Musik im Allgemeinen und Bebop im Speziellen gemacht wird. Dann merkte er bald, dass er nur mit Gastspielen der Münchner Musiker auf Dauer keinen Erfolg haben würde. Selbst die zahlreichen hervorragenden und namhaften Jazzsolisten aus dem Max Greger Orchester von einst kamen zwar gerne zwischen einer Tanzmucke und einem bunten Unterhaltungsabend im Fernsehen zum Jammen ins domicile, mussten aber erkennen, dass auch sie auf Dauer dort verbrennen würden. Prompt flog Ernst Knauff von nun ab regelmäßig nach New York, in das Mekka des Jazz und informierte sich aus erster Hand über das aktuelle musikalische Geschehen. Ganz nebenbei erfuhr er so auch, dass selbst die in aller Welt verehrten Jazzgrößen im gelobten Land des Jazz froh sein konnten, wenn sie dort einigermaßen regelmäßig für kaum mehr als ein Butterbrot spielen durften. Also kaufte er man kann es nicht anders nennen internationale Großmeister zu Gagen ein, die nur unwesentlich über dem Niveau der heimischen Szene in München waren. Und die kamen gerne über den großen Teich, denn längst hatte sich herumgesprochen, dass Jazz, in Europa anders als in den USA, nicht als eine selbstverständliche Nebensächlichkeit abgetan wird, sondern als eine der klassischen Musik vergleichbare Kunst angesehen wird. Sodann verpflichtete Knauff die Musiker nicht für einen Abend, sondern jeweils für eine Woche, die Thad Jones/Mel Lewis Bigband gar zweimal für einen Monat! Das minderte die Reisekosten pro Tag auf ein erträgliches Maß, vor allem wenn er sich mit Ronnie Scott in London absprach, der die gleiche erfolgreiche Politik verfolgte. Nun mussten die Auftritte nur noch publik gemacht werden. Da kommt der oben erwähnte Baldur Bockhoff wieder ins Spiel. Der arbeitete inzwischen als Kritiker bei der Süddeutschen Zeitung und saß mit Wolfgang Thoma (AZ) und dem Verfasser dieser Zeilen (MM) jeweils montags in einem spärlich besetzten domicile, schrieb wie wir am Dienstag seine Kritik und ab Mittwoch brummte der Laden. Das reichte bis der Dollar plötzlich stieg und zugleich die Ausländersteuer in die Höhe trieb. Wieder reagierte Ernst Knauff ungeachtet aller Protestschreie konsequent und machte den Laden dicht. Heute kann man Ernst Knauff nur noch bei Skatmeisterschaften treffen. Vom Jazz spricht er kaum mehr... Durch das so über ein Jahrzehnt erfolgreich geführte domicile wurde Jazz zum Thema in München, auch jenseits des Insider-Kreises. Eine Reihe von Satelliten hängten sich an den Erfolg des domicile an. Auch hier hatte Knauff zunächst die Finger im Spiel und verpachtete an Memo Rhein nach dem Umzug in die Leopoldstraße sein altes domicile, aus dem das Memoland wurde. Hier saßen noch immer die Lauscher, nun bedient von Amateuren, wie etwa der Big Old Swing Feet, die mit anspruchsvollen Swing-Arrangements überzeugten. Gastspiele hatten dort eher Seltenheitswert. Unvergessen jedoch der Auftritt von Teddy Wilson. Unmittelbar gegenüber vom Memoland lag das Schwabinger Podium. Dort liefen die Säufer ein und prosteten sich zum fröhlichen Dixieland zu. Übrigens hatten wir damals mit dem Podium und dem Allotria zwei Lokale, die täglich Dixieland anboten! Die Allotria Jazzband hatte im Podium ihren festen Tag und durfte sich gelegentlich Gäste einladen, wie den zur Jahreswende verstorbenen Stride Pianisten Ralph Sutton oder Peanuts Hucko, laut Berendt den dixielandisierten Benny Goodman. Auch das ist längst Geschichte.
|
|