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Die Aufnahmen der großen Klassiker der Jazzgeschichte sind inzwischen über die Jahrhundertmitte hinaus allen Firmen frei zugänglich. Die erst vor wenigen Monaten begonnene Serie der Naxos Jazz Legends gibt vom niedrigen Ladenpreis und der Bekanntheit der darin vertretenen Namen her zweifellos eine Antwort auf die doppelt so teure, noch störungsfreier klingende französische Reihe Dreyfus Jazz Reference. Beide Editionen mischen in der Regel Material aus relativ weit gesteckten Zeiträumen und in unterschiedlichsten Besetzungen und erfreuen trotz minuziöser diskografischer Nachweise eher den Einsteiger als den Sammler, der sich über mangelnde Chronologie und unvollständige Aufnahmesitzungen ärgern muss: Wer diese komplettieren will, muss sich die Sachen dann noch mal kaufen im schlimmsten Fall auf verschiedene CDs verteilt. Damit soll keineswegs der musikalische Wert der Reihe infrage gestellt werden die mir bislang untergekommenen Folgen enthielten keine einzige wirklich schlechte Nummer. Außerdem muss man froh sein, dass liebevoll ans Werk gehende Klangrestaurateure versuchen, diese unwiederbringlichen Dokumente aus der Eisenzeit der Aufnahmetechnik auch einer von digitalem Dolby-Surround verwöhnten Klientel nahe zu bringen. Earl Hines, der frühe Duopartner von Louis Armstrong, lauschte diesem die trompetenartige Klavierspielweise ab und prägte damit für alle Zeiten die Art, wie auf den 88 Tasten mit der rechten Hand swingend improvisiert wird nämlich als atmende Abfolge von Einzelnoten. Hines erlebte zwar in den dreißiger und vierziger Jahren wirtschaftlich mehr oder weniger erfolgreiche Episoden als Leiter einer mitreißenden Big Band, von denen ausgerechnet die fortschrittlichste mit Parker, Gillespie und Sarah Vaughan nirgends dokumentiert wurde. Doch liegen seine wesentlichen Verdienste anderswo: Der hier ausgiebig zu genießende, mit unbestechlicher, klassisch geschulter Technik gesegnete Solo- und Ensemblepianist Fatha Hines brachte es neben ganz frühen Erfolgen als Songwriter (Rosetta, Blues In Thirds) fertig, sechs Jahrzehnte hindurch wirklich modern also musikalisch anspruchs- und gehaltvoll, aber immer flüssig vorwärtsdrängend und unterhaltsam zu bleiben, ohne ein Iota an seinem unverkennbaren Stil zu ändern. Für die Serie eher untypisch sind die nahezu unbekannten, da nichtkommerziellen Aufnahmen vom Anfang der Karriere Nat King Coles, als der 21-jährige Pianist gerade sein später überaus einflussreiches Trio mit Oscar Moore (Gitarre) und Wesley Prince (Bass) ins Leben gerufen hatte. Der besondere Klang von Coles Stimme schien noch keinem aufgefallen zu sein; die vielen humorig gehaltenen Lieder werden meist im Unisono von allen drei Mitgliedern vorgetragen. Der aus heutiger Sicht allzu direkt angepeilte komische Effekt überschattet ein wenig die erheblichen instrumentalen Möglichkeiten des Gitarristen, der Django Reinhardt genauer gelauscht haben muss, und des Bassisten, der einem Slam Stewart kaum nachsteht: Der hatte im gleichen Jahr ein dem Cole-Trio stilistisch ähnliches Duo mit Slim Gaillard gegründet. Schließlich lassen einzelne Standards wie Liza oder Caravan, zwischen schnell veraltetes Schlagermaterial eingestreut, keinen Zweifel daran, dass an Nat Cole ein großer Jazzpianist verloren gegangen ist, dessen Virtuosität nur noch ein Art Tatum in den Schatten stellte. Aber wenn einer als Sänger erst einmal ein so hohes Ansehen und als Schwarzer ein so hervorragendes Einkommen genießt - warum sollte er sich dann länger mit Hungerleider-Musik aufhalten? Schon in dessen frühen Inkarnationen gelang es dem Orchester von Woody Herman, sich von den vielen Konkurrenten in der großen Zeit des Swing deutlich abzusetzen. Da es mit Benny Goodman und Artie Shaw bereits zwei namhafte Klarinettisten an der Spitze erfolgreicher Bands gab, musste sich Herman, der das Instrument ebenfalls mehr als anständig blies, etwas Besonderes einfallen lassen: Er beschloss, bevorzugt Bluesnummern oder wenigstens solche, die in Titel oder Spielhaltung danach klangen in sein Repertoire aufzunehmen. Mit diesem Konzept war er so erfolgreich, dass er selbst kritische Figuren wie Igor Strawinsky begeisterte (der für ihn 1945 das Ebony Concerto schrieb). Im Wesentlichen von vor Amerikas Eintritt in den Zweiten Weltkrieg datieren die hier in Auswahl versammelten, sehr ansprechend restaurierten (amerikanischen) Decca-Aufnahmen des Orchesters. Gleich der erste Titel der CD, Woodchoppers Ball von 1939, ging über eine Million Mal über die Ladentische, aber auch Blues In The Night, der Titelsong eines Films von 1941, wurde häufig verlangt: Der Jazz war vor sechzig Jahren eben die Popularmusik Amerikas. Schade, dass das Beiblatt die Identitäten der Sänger lüftet, während es die Urheber der viel interessanteren Instrumentalsoli schamhaft verschweigt. Erroll Garner gehörte zu jener heute nahezu ausgestorbenen Spezies Musiker, die die Bühne betreten, um ihren Hörern das pure Glück zu bescheren. Ich kann mir kaum vorstellen, dass Garner seine Interpretationen je mit finsterer Miene ablieferte und ich wette mit jedem Käufer dieser CD, dass er nach dem Einlegen schlagartig bessere Laune bekommt. Es könnte natürlich auch eine Generationsfrage sein: Das Wort Entertainer hatte in Garners frühen Jahren, die Gegenstand dieser Sammlung sind, vielleicht noch keinen so abwertenden Beiklang. Aber wer nicht nur die vor ihm befindlichen Tasten, sondern auch die Klaviatur der Gefühle seines Publikums derart souverän beherrscht wie Erroll Garner, darf sich musikalischen Humor erlauben, ohne sich damit gleich zum Hanswurst zu machen. Der rein nach Gehör spielende Autodidakt spielt hier noch nicht ganz so weit hinter dem Beat wie auf den Columbia-Aufnahmen, die ihm den großen Durchbruch bescheren sollten. Auch stellt er noch nicht jeder Themenexposition eine davon so weit wie möglich entfernte Rubato-Einleitung voran. Dafür hat er ein so stark entwickeltes Gefühl für die richtige time, dass er die wechselnden Rhythmusgruppen nicht wirklich gebraucht hätte. Sein perkussiver Blockakkord-Stil in boppenden Up-Tempi (Trio) bildet ein aufregendes Gegenstück zur floralen Üppigkeit seiner in jeder Hinsicht prächtigen Balladenauslegungen: Laura hat sich hier von ihren Ursprüngen im Film Noir gelöst und glitzert impressionistisch wie eine Wasseroberfläche in der Sonne. Der digital restaurierte Klang und die Auswahl der chronologisch gereihten Aufnahmen (darunter zwei Klaviersoli und eine Live-Kostprobe mit Wardell Gray) lassen nichts zu wünschen übrig; da die Produzenten aber auf die Hinterlassenschaften von sechs verschiedenen Labels zugreifen konnten, hätten zwanzig Minuten zusätzliche Spielzeit niemandem einen Zacken aus der Krone gebrochen. Mátyás Kiss
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