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Ähnlich wie bei seinem gefeierten Comeback mit einem Gershwin-Tribute vor zwei Jahren (Bennie Wallace: Someone To Watch Over Me; Enja Records 9356 2) überschlagen sich die Kritiker auch diesmal: Bennie Wallace in Berlin (Enja Records 9425 2), das zweite Live-Album des 52-jährigen Tenorsaxophonisten, wird einhellig gelobt, ganz gleich ob der Kritiker Peter Rüedi heißt und in der Schweizer Weltwoche den Jazz sondiert oder ob sich Mátyás Kiss in Rondo über ein Konzert der Superlative begeistert.
Dabei gäbe es dieses Album gar nicht, wenn es nach Bennie Wallace gegangen wäre: Der Sound des beim Jazzfest-Berlin 1999 entstandenen Konzertmitschnitts passte ihm nicht und mit drei Gershwin-Nummern schien sich das Repertoire auch zu sehr mit dem Vorgänger-Album zu überlappen. Nur zweien ist es zu verdanken, dass der überkritische Bennie Wallace letztlich doch grünes Licht für die Veröffentlichung dieses Live-Albums gab: Dem hartnäckig auf einer Veröffentlichung beharrenden Enja-Chef Matthias Winckelmann und Bernie Grundman, der dem Konzertmitschnitt mit seinen Tonmischkünsten eine Beinah-Studio-Qualität abringen konnte, von der sich auch der Sound-Fetischist Bennie Wallace überzeugen ließ. So liegt das Album nun vor und damit in voller, ungekürzter Länge (66 Minuten)! ein spannender Jazz-Abend in Berlin. Ein Abend, der in der Erinnerung des Tenorsaxophonisten auch in die Hosen hätte gehen können: Nach dem kurzfristigen Ausfall von zwei (!) gebuchten Pianisten hatte Ersatzpianist Georges Cables Bennie Wallace erst zwei Tage vor dem Berliner Auftritt zugesagt; und die einzige gemeinsame Probe der vier in dieser Besetzung zum ersten Mal zusammen spielenden Musiker (neben B. Wallace und G. Cables: Peter Washington am Bass und Herlin Riley am Schlagzeug) war alles andere als gut ausgefallen. Ganz anders das Konzert: Mit Bennie Wallace in Berlin präsentiert sich dem Hörer der ganze Wallace und dies in prachtvoller Spiellaune. Da gibt es den sensiblen Balladeninterpreten, den seit geraumer Zeit nichts mehr interessiert als Balladen Balladen wie Gershwins I Love You, Porgy oder Someone To Watch Over Me, in die er wie in einen Handschuh schlüpft. Da gibt es den Tenoristen, der sich mit einer Calypso-Fassung von Its Only A Papermoon tief vor Sonny Rollins verbeugt. Und da ist auch der frühe Bennie Wallace zu hören, der gerne einmal Saxophonist bei Thelonius Monk geworden wäre, und der wenn er seinem kauzig-schrägen, experimentellen Humor freien Lauf lässt (vgl. At Lulu Whites, It Has Happened To Me) ein wenig so klingt, als ob der verehrte Monk als Tenorsaxophonist zurückgekehrt wäre. In Anlehnung an Coleman Hawkins und dessen Schule des großen, fetten Saxophon-Klangs pflegt Bennie Wallace einen Sound, der mit einer großen, körperlich spürbaren Luftverdrängung eine unheimliche Präsenz erzeugt. Mal röhrt er mit einem vor Kraft und Süffigkeit schier berstenden Ton, mal streichelt er Noten so zart und mit so viel Luft wie Ben Webster. Die tonliche Qualität im Jazz für Wallace, der einmal ein Coleman Hawkins der Avantgarde und ein Eric Dolphy der Tradition genannt wurde, ist sie so essenziell wie der Live-Charakter, die Rhythmem, Melodien und Harmonien des Jazz. Bennie Wallace in Berlin ist das Live-Album eines überzeugten Live-Spielers, der das jahrelange Herum-Jammen in den schwarzen Jazzclubs von Chattanooga im Country-Staat Tennessee als seine beste Jazz-Schule bezeichnet. Dennoch war Wallace in den 90er-Jahren live jahrelang kaum zu hören gewesen. Der Grund: Hollywood. Anfang der 90er-Jahre war Wallace in die Traumfabrik übergewechselt weil er seit dem Alfie-Soundtrack von Sonny Rollins schon immer mal Filmmusik hatte machen wollen und weil er das Angebot aus Hollywood als Chance ansah, um zwar nicht dem Jazz, aber dem ihm damals verhassten Jazz-Business zu entfliehen. Wallace komponierte erfolgreich Musik für Filme wie den Baseball-Streifen Bill Durham, aber die Formel Filmkomponist + Jazzer = Hollywood wollte für Bennie Wallace nicht so aufgehen, wie er sich das vorgestellt hatte. Für Tourneen und Live-Auftritte blieb kaum mehr Zeit, einmal musste Wallace sogar eine bereits geplante Tour absagen. So entschied sich Wallace 1998 wieder für den Jazz und gegen Hollywood. Die Bilanz seiner Hollywood-Jahre fällt dennoch nicht allein negativ aus: Hollywood sei eine unglaubliche Lernerfahrung gewesen. In der Filmstadt habe er sich ausgiebig mit klassischer Musik und der Instrumentierung von Streichorchestern befassen können und dabei auf indirektem Wege auch viel über den Jazz gelernt. Außerdem schloss Wallace in Hollywood Freundschaft mit dem Pianisten Jimmy Rowles, einem der besten Kenner des Great American Songbook. Aus Klavierstunden, in denen Wallace sich das harmonische Konzept von Rowles aneignen wollte, wurden schon bald endlose Hör-Sessions. Wochenlang unterhielt er sich mit Rowles über die zwei seiner Ansicht nach besten Balladen des Jazz: In A Sentimental Mood und Body And Soul. Dass Wallace heute, wenn er sich Jazz-Standards neu aneignet, interpretiert und studiert, ältere Aufnahmen vorwiegend von Sängern wie Frank Sinatra anhört und wie einst Ben Webster auch Lyrics auswendig lernt, hat er von Jimmy Rowles gelernt seinem späten Lehrmeister in der Art of Song, mit dem er so gerne noch ein Album aufgenommen hätte, wenn Rowles nicht zu früh verstorben wäre. Das nächste Album? Bennie Wallace hat noch keine konkreten Pläne. Er weiß nur, dass er demnächst irgendwann mal unbedingt South Of The Border aufnehmen möchte. Und dass die definitiv beste Interpretation dieses Songs von der Country-Legende Willie Nelson stammt. Claus Lochbihler |
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