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Er war ein Romantiker des Klanges, ein Musiker mit melodischem Einfallsreichtum, ein genialer Improvisator und ein Tenorsaxophonist mit einem ganz eigenen Ton. Stan Getz lieferte mit seinem Spiel den Gegenbeweis zur Gravitationslehre. Mit seiner Musik demonstrierte er die Schwerelosigkeit des Seins. Doch es blieb dies eine virtuelle Welt. Stan Getz erwies sich in seinem Wesen als ein gebrochener Romantiker, als ein Mann, der den Widerspruch zwischen wirklicher Welt und Klang verinnerlicht hatte und der darunter litt. Wie so oft bei Musikern seiner Generation man denke etwa an Chet Baker gewann er dieser düsteren Qual die Reinheit eines Klanges von gesanglicher Schönheit ab. Stan Getz kam in Philadelphia als Sohn russisch-jüdischer Einwanderer zur Welt und wuchs von seinem fünften Lebensjahr an in New York auf. Stanley Gayetzky, so sein bürgerlicher Name, war ein empfindsames, ein behütetes Kind, ein Einzelgänger, der sich in die Musik flüchtete. Mit sechzehn brach er die Schule ab, weil er bei Jack Teagarden vorgespielt hatte und als Big-Band-tauglich eingeschätzt, folglich engagiert wurde. Da es in den Kriegsjahren an professionellen Musikern mangelte, scheute man sich nicht, noch halbe Kinder auf die Bühe zu stellen. Für Stan Getz bedeuteten diese frühen Erfahrungen allerdings auch einen glänzenden Einstieg, und er hatte das Glück, bereits als Halbwüchsiger in einigen der besten Bands spielen zu können: in denen von Jack Teagarden, Stan Kenton, Jimmy Dorsey und Benny Goodman. In New York entstand 1946 eine eigenwillige Besetzung um den Trompeter Gene Roland mit vier Tenorsaxophonisten. Einer
davon war Stan Getz. Cool Jazz lag bereits in der Luft, doch dieser konnte erst in der relaxteren Atmosphäre
der amerikanischen Westküste gedeihen. Im folgenden Jahr formierte sich die Band mit den vier Tenoristen in Los
Angeles, nun mit Stan Getz, Jimmy Giuffre und Herbie Steward. Woody Herman, der gerade dabei war, seine Second
Herd zu konzipieren, war von dem tenorisierten Klang dermaßen begeistert, dass er die Four Brothers
in seine Big Band integrierte, wobei er Jimmy Giuffre als Arrangeur engagierte und ihn im Satz durch den Baritonsaxophonisten
Serge Chaloff ersetzte. Der Four Brothers-Sound wurde zu einem Markenzeichen, und Stan Getz gewann mit
seinem Solo über Early Autumn die Herzen eines breiten Publikums. Die geschwungenen Linien und der Ton von Stan Getz wurden zu einem Inbegriff des Cool Jazz: schwebend, schwerelos, emotional und zugleich leicht distanziert, sanft und doch alles andere als weichlich. Stan Getz ist mit seinem Spiel der menschlichen Stimme nahe gekommen, er erwies sich als ein Musiker von technischer Souveränität und offenbarte ein großes Talent für in sich stimmige Improvisationen. Kaum vorstellbar, dass sich hinter dieser Klangkulisse menschliche Dramen abspielten. Wie nicht wenige Musiker jener Zeit geriet auch Stan Getz in den Teufelskreis von Sucht, Entziehungsversuchen und Rückfall. 1954 drang er in eine Apotheke ein und versuchte im Stil eines Raubüberfalls an seinen Stoff heranzukommen. Das Unternehmen schlug fehl, Stan Getz kam ins Gefängnis und schrieb in einen reuevollen Brief an den Herausgeber des Jazz-Magazins Down Beat: Was in Seattle geschah, war unvermeidlich. Ich war am Ende... Als ich dalag und weiterlebte und nicht weiterleben wollte, weil ich meinen Angehörigen und allen, die versucht hatten, mir zu helfen, so weh getan hatte, kam die Schwester mit einem ganzen Arm voll von Briefen und Telegrammen und in allen stand dasselbe. Die Leute schrieben mir, dass ich nicht verzweifeln sollte, dass sie meine Musik bewunderten, dass ich beten sollte, wie sie für mich beten würden und vor allem: dass sie mir verzeihen würden. Abgesehen davon, dass ich getaufter Jude bin, war ich nie das, was man einen frommen Menschen nennt, aber diese Leute zeigten mir, dass es einen Gott gibt, nicht über uns, sondern in den warmen Herzen der Menschen. Seltsam zwischen warmherzigen Mitteilungen und leicht unterkühlten Stimmungen schwebend, wurde Stan Getz Anfang der 60er-Jahre zu einem der jazzmusikalischen Protagonisten des Bossa Nova. Dabei ging es, wie Joachim Ernst Berendt betonte, um wechselseitige Inspirationen: Man hat so oft darauf hingewiesen, dass Getz vom Bossa Nova angeregt wurde und dem Bossa alles verdankt, dass es notwendig geworden ist, zu sagen, dass es vorher einen Einfluss in umgekehrter Richtung gegeben hat: vom Cool Jazz (von dem Getz ja kommt) auf die brasilianische Samba. Einst in der Begegnung von Cool Jazz und Samba ist der Bossa Nova entstanden. Es schloss sich also ein Ring, als Getz nun seinerseits wieder Brasilianisches zurückborgte, wie er es selbst ausgedrückt hat. Auf Jazz Samba mit Charlie Byrd folgte die Zusammenarbeit mit Luiz Bonfá, Joao Gilbero und Antonio Carlos Jobim. Stan Getz gewann eine weit über das Jazzpublikum hinausreichende Popularität und landete Hits mit Titeln wie One Note Samba, Desafinado oder The Girl From Ipanema mit der mädchenhaften Stimme von Astrud Gilberto, die ursprünglich gar nicht für diese Aufnahmen vorgesehen war und gerade in ihrer amateurhaften Sorglosigkeit genau den Nerv dieser Musik getroffen hat. Die Ausflüge von Stan Getz in die Bereiche des Bossa Nova sind vielfach stärker im allgemeinen Bewusstsein hängen geblieben als all die anderen Aufnahmen, die für sein Schaffen ebenso wichtig, ja oft wichtiger erscheinen: Einspielungen mit Horace Silver, Jimmy Raney, Bob Brookemeyer, Chet Baker, Gerry Mulligan, Bill Evans, Gary Burton, J.J. Johnson, Gary Burton, Chick Corea und vielen anderen. Dabei erwies sich der Tenorsaxophonist als wandelbar, in seinem musikalischen Grundcharakter jedoch völlig unverwechselbar. Hans-Jürgen Schaal fand heraus, wie sich Stan Getz das Gestalten im Prozess des Spiels vorstellte: Auf der Suche nach einer Metapher, die sein Verständnis von Improvisation erklären könnte, zitierte Stan einmal Bill Evans. Der hatte die Improvisation mit japanischer Seidenmalerei verglichen. Einem Bild, das noch keines ist. Uns bleibt die Chance, die in ihrer Leichtigkeit vollkommenen Aufnahmen von Stan Getz nachzuerleben, sie zu einem eigenen Hörbild zu machen.
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