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Schon seit den 50er-Jahren fanden sich in Dresden Jazzenthusiasten zusammen, um je nach kulturpolitischer Wetterlage mehr oder weniger durch Funktionäre behindert Konzerte oder so genannte Schallplattenabende auf die Beine zu stellen. Doch in der zweiten Hälfte der 70er-Jahre kumulierte die Entwicklung, zwei voneinander unabhängige Jazz-Fangemeinschaften begannen mit ihrer Arbeit. Die Interessengemeinschaft (IG) Jazz Dresden im Kulturbund der DDR wurde im März 1977 (25 Jahre später wird nun bald das Datum gefeiert!), der Club Jazz & Sonstiges im Juni 1978 gegründet. Jazz & Sonstiges widmete sich in der kurzen Zeit seiner Existenz dem zeitgenössischen freien Jazz und der gesellschaftskritischen Liedermacherei (Bettina Wegner) und Literatur (Klaus Schlesinger). Der Club Jazz & Sonstiges war es, der erstmals in Dresden und im Nachbarstädtchen Radebeul westliche Freejazzer auftreten ließ im Kleinen Haus des Staatstheaters Dresden, in den Sächsischen Landesbühnen Radebeul, im Kino Radebeul. Evan Parker, Paul Lovens, Alexander von Schlippenbach, Irene Schweitzer, Sven Ake Johannsen, Peter Kowald und andere einflussreiche Freejazzer aus dem Westen wurden durch die Enthusiasten von Jazz & Sonstiges den Dresdnern vorgestellt.
Die IG Jazz Dresden, die sich bald nach ihrer Gründung vor allem dem Dixieland und den eher gemäßigten Jazzformen zuwandte, veranstaltete zunächst Jazzkonzerte im Rundkino auf der Prager Straße, im Studentenklub Bärenzwinger und in Hörsälen der TU Dresden. Im März 1981, zu einem Zeitpunkt, als Jazz & Sonstiges gerade das Handtuch geworfen hatte, zog die IG in die Gewölbe der Ruine des Kurländer Palais einem zerbombten, einst kulturgeschichtlich bedeutenden Gebäude aus der Barockzeit Dresdens ein. Diese tonnenförmigen Gewölbe, früher fast hundert Jahre lang ein Weinlager, wurden durch die Mitglieder der IG selbst in 15.000 Stunden unbezahlter Arbeit ausgebaut und für Jazzkonzerte nutzbar gemacht. Nun verlagerte sich Dresdens Jazzgeschehen immer mehr in die Tonne der IG Jazz. Dort fanden alle stilistischen Richtungen von Dixieland über Blues und Swing bis hin zu zeitgenössischen Formen eine Heimstatt. Die Reihe Jazzclub International stellte ausländische, meistens frei improvisierende Musikanten vor, Jazz Today präsentierte regelmäßig die mittlerweile europaweit anerkannte Creme des DDR-Freejazz, das Jazzpodium den Jazznachwuchs. Jazz-Wende zur politischen WendeUnmittelbar nach 1989/90 brach auch in Dresden fast das gesamte Spektrum der Jazz-Veranstalter weg. Studentenklubs wurden aus den Hochschulen ausgegliedert und fanden sich als nahezu mittellose Vereine wieder. Die Konzert- und Gastspieldirektion wurde aufgelöst; damit entfiel auch das Jazzabonnement im Deutschen Hygienemuseum Dresden. Der Kulturpalast begann, nach kommerziellen Gesichtspunkten zu arbeiten; er stellte alsbald aus wirtschaftlichen Gründen alle finanziell nicht einträglichen Veranstaltungsreihen ein. Die IG Jazz des Kulturbundes allerdings gründete sich 1990 als Jazzclub Tonne Dresden e. V. neu
und avancierte unter denkbar schlechten Voraussetzungen zum zunächst einzigen bedeutenden Jazzveranstalter in
der neuen sächsischen Landeshauptstadt. Die Tonne, wie der Verein bald genannt wurde, hatte sich
zwischen zwei Polen zu bewähren. Einerseits konnte man nun anders als zu DDR-Zeiten ohne ideologische
Einschränkungen von oben jeden Künstler buchen, andererseits reichten die kommunalen Zuschüsse
immer weniger, um den Ansprüchen eines überregional bedeutenden Jazz-Zentrums zu genügen. Durch großen
Enthusiasmus, durch die Erarbeitung eines sehr guten Rufes (viele Musiker aus allen Ecken der Welt wollten unbedingt
in der Tonne spielen) und wie die damalige Geschäftsführerin des Vereins, Angelika Schmidt,
zu Recht sagte durch gnadenlose Selbstausbeutung (unentgeltliche Arbeitsstunden und Lohnverzicht)
gelang es der Dresdner Tonne, zur Nummer Eins unter Ostdeutschlands Jazzclubs zu werden. Tonne
stand für Qualität bis 1997 galt, dass jeder, der übers Jahr regelmäßig die Tonne
besucht, viele der wichtigen innovativen Jazzer aus den USA und Europa gehört hat. Der Einschnitt kam 1997. Weil das Land Sachsen die Ruine des Kurländer Palais zum Verkauf ausschrieb, ohne ein Bleiberecht für die Tonne zu garantieren, und weil deswegen kein Investor zwischenzeitlich bereit war, für den Jazzclub Sanierungs- und Investitionsarbeiten zu übernehmen, sah sich die Mitgliederversammlung des Vereins nach harten Diskussionen gezwungen, in die historischen Bierlagerkeller der ehemaligen Waldschlösschenbrauerei umzusiedeln. Dort wurde der Club jedoch weder vom Großteil der Gründungsmitglieder noch vom Dresdner Jazzpublikum ausreichend angenommen. Die laufenden Kosten der opulenten Untertage-Anlage konnten nicht annähernd erwirtschaftet werden; die städtischen Zuschüsse trugen weder der kulturellen Bedeutung des Jazzclubs Tonne noch der Größe der Räumlichkeiten auch nur ansatzweise Rechnung. Bereits 1998, ganz deutlich jedoch 1999 waren diese Kalamitäten am Programm zu erkennen, dem man die hilflose, in alle musikalische Richtungen gehende Suche der Geschäftsführung nach den rettenden Geldbringer-Konzerten anmerkte. Nachdem im Frühjahr 2000 die Geschäftsführerin Angelika Schmidt das Handtuch geworfen hatte, sah sich die neue Führungsriege der Tonne mit einem finanziellen Desaster konfrontiert, dessen wahres Ausmaß erst Schritt für Schritt sichtbar wurde. Konsequenz: Gegen Ende 2000 musste der Jazzclub Tonne e.V. Insolvenz anmelden. Noch im Jahr 2000 haben Jazzfreunde den Jazzclub Neue Tonne Dresden e. V. gegründet, der die künstlerischen Traditionen des bisherigen Vereins aufgreifen und auf wirtschaftlich gesunden Füßen weiterführen und ausbauen will. Bereits im ersten Quartal 2001 fand eine Reihe von Benefizkonzerten zugunsten des neuen Jazzclubs statt. Dabei waren neben anderen das New Yorker Kult-Quartett Gutbucket sowie das Trio Peter Kowald, Baby Sommer und Conny Bauer. Viele der jüngeren Dresdner Jazzmusiker trafen sich nach wie vor jeden Montag zur Session des Monday Night Long Island Ice Tea Jazz Fanatics Orchestra im Jazzcafé. Seit März gab es wieder ein öffentlich verbreitetes gedrucktes Monatsprogramm, und die ersten internationalen Stars der kreativen Improvisationsmusik und des zeitgenössischen Jazz wie beispielsweise Gianni Gebbia aus Sizilien waren wieder zu Gast. Der Jazzclub Neue Tonne Dresden im Überlebenskampf Wieder brach für den Dresdner Tonne-Jazz eine neue Zeit an diesmal mit einem kleinen Büro im historischen Yenidse-Gebäude und mit Konzert für Konzert hinzugemieteten Veranstaltungsräumen. Vier Monate, von September bis Dezember, spielte die Neue Tonne auf der Kleinkunstbühne im Schillergarten und unter dem Slogan Jazzclub Neue Tonne im Scheune-Asyl im Dresdner Kulturzentrum Scheune. Immerhin 19 Konzerte veranstaltete der Jazzverein in diesem Zeitraum und die unter nun noch viel schwierigeren Bedingungen. Jetzt musste jeder Gitarrenverstärker, jedes Schlagzeug und jeder Notenständer gegen richtiges Geld gemietet, transportiert und installiert werden insgesamt ein Kraftakt, den sonst kaum jemand auf sich nimmt. Klar, dass die Wogen der Empörung hoch schlugen, als Dresdens Kulturamtsleiter Werner Barlmeyer am 15. Oktober 2001 in den Dresdner Neuesten Nachrichten äußerte, er könne sich auch vorstellen, dass der Club wie ein fliegender Teppichhändler lediglich Projekte veranstaltet, die auf Antrag vom Land unterstützt werden könnten. Das traf die Idee von der Tonne und damit eine über zwanzigjährige Tradition bis ins Mark. Der (Un-)Geist, der in dieser Zeitungsaussage steckte, wurde schließlich Ende November bittere Realität. Der Kulturamtsleiter ließ dem Jazzverein mitteilen, dass es 2002 keine institutionelle Förderung geben solle ohne dass der Verein vorher die Chance erhielt, Konzept und Situation zu erläutern. Was der Sozialismus nicht geschafft hat das Kulturamt bringt es fertig, war der verbitterte Tenor unter Jazzfreunden, die damit die Liquidierung des Tonne-Jazz und die Zerstörung der Idee von der Tonne als einem regionalen Jazz-Zentrum meinten. Mit einem Hilferuf an den Kulturausschuss sollte der endgültige Tonne-Tod verhindert werden. Ergebnis: Die Neue Tonne wurde wieder auf die Förderliste gesetzt, aber wie viel und wann sie Fördergelder erhält, ist nach wie vor offen. Die Mitgliederversammlung der Neuen Tonne beschloss daraufhin am 19. Dezember 2001, die Liquidation ihres Vereins auszusetzen und weiter zu machen. Als aktuelle Hauptaufgabe steht nun die Suche nach einer geeigneten, Tonne-würdigen eigenen Spielstätte. Bis die gefunden und eingerichtet ist, wird es in Dresden nur sporadisch Tonne-Jazz geben. Mathias Bäumel |
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