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Jazzzeitung

2002/02  ::: seite 10

jazz heute

 

Inhalt 2002/02

standards
Editorial
News
no chaser: Atemnot
Glossar: Zirkulare Atemtechnik
Farewell: Zum Tod von Etta Jones
Farewell: die jazzzeitung verabschiedet sich von ...
break

titel
Gefälliger Engel.
Diana Krall: ihre Standards, ihre Zuhörer, ihre Kritiker

berichte
Dessau. Jugend-Big-Band-Anhalt probt mit Peter Herbolzheimer
Germering. Wilder C.C. Kreusch
Markoberdorf. Landeswettbewerb „Jugend jazzt“ für Big Bands
München. Erik Truffaz & Ladyland im Bayerischen Hof
Neuburg. Walter Lang’s Tales of 2 Cities im Birdland Jazzclub
Nürnberg. Valery Ponomarev-Konzert im Jazzstudio
Regensburg. „Hear east – Jazzandmore“ sorgt für frischen (Ost-)Wind
Charlie Mariano und Dieter Ilg bescherten dem Jazz-Zirkel eine Sternstunde

jazz heute
  Dresdner Kellerkind Jazz.
Jazzclub Neue Tonne kämpft ums Überleben – eine Chronik
  Vereinte Avantgarde
Der jazz e.V. dachau und sein Konzept

portrait / interview
Jubilee. 20 Jahre Harald Rüschenbaum Jazz Orchestra
Portrait. Dem Tenorsaxophonisten Stan Getz zum Fünfundsiebzigsten
Portrait. Herbie Hancocks Label „Transparent Music“
Portrait. Bennie Wallace live
Portrait. Aziza Mustafa Zadeh über Deutschland, Religion und Jazz

play back.
Junger Gitarrengott
Neue alte Platten von George Benson

education
Fortbildung. Kurse
Abgehört 3
Was John Scofield aus „There Will Never Be Another You“ macht
Berufsziel Freiberufler
Die Folkwang Hochschule macht den Nachwuchs fürs Musikbiz fit

dossier
Verschwundene Klänge
Retrospektive: Zurück in die neunziger Jahre

medien/service
Critics Choice
Internet. Link-Tipps
Rezensionen 2001/12
Service-Pack 2001/12 als pdf-Datei (kurz, aber wichtig; Clubadressen, Kalender, Jazz in Radio & TV, Jazz in Bayern und anderswo (204 kb))

 

Dresdner Kellerkind Jazz

Jazzclub Neue Tonne kämpft ums Überleben – eine Chronik

Schon seit den 50er-Jahren fanden sich in Dresden Jazzenthusiasten zusammen, um – je nach kulturpolitischer Wetterlage mehr oder weniger durch Funktionäre behindert – Konzerte oder so genannte Schallplattenabende auf die Beine zu stellen. Doch in der zweiten Hälfte der 70er-Jahre kumulierte die Entwicklung, zwei voneinander unabhängige Jazz-Fangemeinschaften begannen mit ihrer Arbeit. Die Interessengemeinschaft (IG) Jazz Dresden im Kulturbund der DDR wurde im März 1977 (25 Jahre später wird nun bald das Datum gefeiert!), der Club „Jazz & Sonstiges” im Juni 1978 gegründet.

„Jazz & Sonstiges” widmete sich in der kurzen Zeit seiner Existenz dem zeitgenössischen freien Jazz und der gesellschaftskritischen Liedermacherei (Bettina Wegner) und Literatur (Klaus Schlesinger). Der Club „Jazz & Sonstiges” war es, der erstmals in Dresden und im Nachbarstädtchen Radebeul westliche Freejazzer auftreten ließ – im Kleinen Haus des Staatstheaters Dresden, in den Sächsischen Landesbühnen Radebeul, im Kino Radebeul. Evan Parker, Paul Lovens, Alexander von Schlippenbach, Irene Schweitzer, Sven Ake Johannsen, Peter Kowald und andere einflussreiche Freejazzer aus dem „Westen” wurden durch die Enthusiasten von „Jazz & Sonstiges” den Dresdnern vorgestellt.

Zwischen Hoffnung und Bangen: Der Dresdner Jazzclub „Tonne“ musste im Frühjahr 1997 sein altes Domizil unter der Ruine des Kurländer Palais verlassen und in die ehemaligen Bierkeller-Gewölbe im Dresdner Waldschlösschen-Gelände (hier: Schnappschuss vom 23. Januar 1997 während der Bauphase) umziehen. Die hohen permanenten Kosten dieser opulenten Räumlichkeiten trugen entscheidend dazu bei, dass dieser Jazzverein schließlich im Jahr 2000 Insolvenz anmelden musste.
Foto: Archiv Bäumel

Die IG Jazz Dresden, die sich bald nach ihrer Gründung vor allem dem Dixieland und den eher „gemäßigten” Jazzformen zuwandte, veranstaltete zunächst Jazzkonzerte im „Rundkino” auf der Prager Straße, im Studentenklub Bärenzwinger und in Hörsälen der TU Dresden. Im März 1981, zu einem Zeitpunkt, als „Jazz & Sonstiges” gerade das Handtuch geworfen hatte, zog die IG in die Gewölbe der Ruine des Kurländer Palais – einem zerbombten, einst kulturgeschichtlich bedeutenden Gebäude aus der Barockzeit Dresdens – ein. Diese tonnenförmigen Gewölbe, früher fast hundert Jahre lang ein Weinlager, wurden durch die Mitglieder der IG selbst in 15.000 Stunden unbezahlter Arbeit ausgebaut und für Jazzkonzerte nutzbar gemacht. Nun verlagerte sich Dresdens Jazzgeschehen immer mehr in die „Tonne” der IG Jazz. Dort fanden alle stilistischen Richtungen von Dixieland über Blues und Swing bis hin zu zeitgenössischen Formen eine Heimstatt. Die Reihe „Jazzclub International” stellte ausländische, meistens frei improvisierende Musikanten vor, „Jazz Today” präsentierte regelmäßig die mittlerweile europaweit anerkannte Creme des DDR-Freejazz, das „Jazzpodium” den Jazznachwuchs.

Jazz-Wende zur politischen Wende

Unmittelbar nach 1989/90 brach auch in Dresden fast das gesamte Spektrum der Jazz-Veranstalter weg. Studentenklubs wurden aus den Hochschulen ausgegliedert und fanden sich als nahezu mittellose Vereine wieder. Die Konzert- und Gastspieldirektion wurde aufgelöst; damit entfiel auch das Jazzabonnement im Deutschen Hygienemuseum Dresden. Der Kulturpalast begann, nach kommerziellen Gesichtspunkten zu arbeiten; er stellte alsbald aus wirtschaftlichen Gründen alle finanziell nicht einträglichen Veranstaltungsreihen ein.

Die IG Jazz des Kulturbundes allerdings gründete sich 1990 als „Jazzclub Tonne Dresden e. V.” neu und avancierte unter denkbar schlechten Voraussetzungen zum zunächst einzigen bedeutenden Jazzveranstalter in der neuen sächsischen Landeshauptstadt. Die „Tonne”, wie der Verein bald genannt wurde, hatte sich zwischen zwei Polen zu bewähren. Einerseits konnte man nun – anders als zu DDR-Zeiten – ohne ideologische Einschränkungen „von oben” jeden Künstler buchen, andererseits reichten die kommunalen Zuschüsse immer weniger, um den Ansprüchen eines überregional bedeutenden Jazz-Zentrums zu genügen. Durch großen Enthusiasmus, durch die Erarbeitung eines sehr guten Rufes (viele Musiker aus allen Ecken der Welt wollten unbedingt in der „Tonne” spielen) und – wie die damalige Geschäftsführerin des Vereins, Angelika Schmidt, zu Recht sagte – durch „gnadenlose Selbstausbeutung” (unentgeltliche Arbeitsstunden und Lohnverzicht) gelang es der Dresdner „Tonne”, zur Nummer Eins unter Ostdeutschlands Jazzclubs zu werden. „Tonne” stand für Qualität – bis 1997 galt, dass jeder, der übers Jahr regelmäßig die „Tonne” besucht, viele der wichtigen innovativen Jazzer aus den USA und Europa gehört hat.
Musiker wie Tim Berne, Dave Douglas, Chris Speed, Charles Gayle, Abraham Burton, Kenny Wollesen, Marc Ribot, Wayne Horvitz, Stomu Takeishi, Paul Motian, Drew Gress, Ben Perowsky, Brad Shepik (Schoeppach), Mark Turner, Joshua Redman, Sun Ra, Anthony Coleman und viele andere spielten damals in der „Tonne”. Auch quantitativ machte die „Tonne” von sich reden, denn die Zahl ihrer Veranstaltungen pro Monat übertraf manches, was von kommunalen Einrichtungen geboten wurde.

Der Einschnitt kam 1997. Weil das Land Sachsen die Ruine des Kurländer Palais zum Verkauf ausschrieb, ohne ein Bleiberecht für die „Tonne” zu garantieren, und weil deswegen kein Investor zwischenzeitlich bereit war, für den Jazzclub Sanierungs- und Investitionsarbeiten zu übernehmen, sah sich die Mitgliederversammlung des Vereins nach harten Diskussionen gezwungen, in die historischen Bierlagerkeller der ehemaligen Waldschlösschenbrauerei umzusiedeln. Dort wurde der Club jedoch weder vom Großteil der Gründungsmitglieder noch vom Dresdner Jazzpublikum ausreichend angenommen. Die laufenden Kosten der opulenten Untertage-Anlage konnten nicht annähernd erwirtschaftet werden; die städtischen Zuschüsse trugen weder der kulturellen Bedeutung des Jazzclubs „Tonne” noch der Größe der Räumlichkeiten auch nur ansatzweise Rechnung. Bereits 1998, ganz deutlich jedoch 1999 waren diese Kalamitäten am Programm zu erkennen, dem man die hilflose, in alle musikalische Richtungen gehende Suche der Geschäftsführung nach den rettenden „Geldbringer-Konzerten” anmerkte. Nachdem im Frühjahr 2000 die Geschäftsführerin Angelika Schmidt das Handtuch geworfen hatte, sah sich die neue Führungsriege der „Tonne” mit einem finanziellen Desaster konfrontiert, dessen wahres Ausmaß erst Schritt für Schritt sichtbar wurde. Konsequenz: Gegen Ende 2000 musste der Jazzclub „Tonne e.V.“ Insolvenz anmelden.

Noch im Jahr 2000 haben Jazzfreunde den „Jazzclub Neue Tonne Dresden e. V.” gegründet, der die künstlerischen Traditionen des bisherigen Vereins aufgreifen und auf wirtschaftlich gesunden Füßen weiterführen und ausbauen will. Bereits im ersten Quartal 2001 fand eine Reihe von Benefizkonzerten zugunsten des neuen Jazzclubs statt. Dabei waren neben anderen das New Yorker Kult-Quartett „Gutbucket” sowie das Trio Peter Kowald, Baby Sommer und Conny Bauer.

Viele der jüngeren Dresdner Jazzmusiker trafen sich nach wie vor jeden Montag zur Session des „Monday Night Long Island Ice Tea Jazz Fanatics Orchestra” im Jazzcafé. Seit März gab es wieder ein öffentlich verbreitetes gedrucktes Monatsprogramm, und die ersten internationalen Stars der kreativen Improvisationsmusik und des zeitgenössischen Jazz wie beispielsweise Gianni Gebbia aus Sizilien waren wieder zu Gast.

Der Jazzclub Neue Tonne Dresden im Überlebenskampf
Dennoch hatte der Jazzclub „Neue Tonne“ Dresden alle Hände (und Köpfe) voll zu tun, um der Stadt überhaupt eine Chance auf eine Wiederbelebung der Idee von der „Tonne” als regionales Jazz-Zentrum zu erhalten.
Zunächst fasste die „Neue Tonne“ in Bezug auf Konzertveranstaltungen schnell Tritt. Die Benefiz-Konzerte waren jeweils nahezu ausverkauft und versammelten seit langem mal wieder viele der früheren Stammbesucher. Auch die Schülerkonzerte, gut besucht, gingen erfolgreich über die Bühne. Obwohl es angesichts der langen Tournee-Planungsvorläufe nicht einfach war, von heut auf morgen gute Bands zu bekommen, die gleichermaßen preiswert wie bekannt sind, fanden dann von März bis zum Juni 2001 insgesamt 44 Konzerte aller Stilrichtungen – von Freejazz bis Boogie, von Worldjazz bis Modern Swing, von Dixieland bis zu Neue-Musik-Experimenten – in der „Tonne” statt, dazu kam noch das Dixielandfestival-Wochenende. Und auch der traditionelle Montags-Jazz mit dem „Real Monday Night Long Island Ice Tea Jazz Fanatics Orchestra“ wurde fortgeführt. Dagegen vermochte es der Jazzverein nicht, ähnlich erfolgreich perspektivisch tragfähige Bedingungen für die künftige Nutzung der Gewölbe des Waldschlösschenareals auszuhandeln.
Die „Neue Tonne” bekam vom Vermieter keinen Mietvertrag zu bezahlbaren Konditionen, war Monat für Monat gewissermaßen geduldet in den Räumen, deren Kosten schon dem alten Verein den Garaus gemacht hatten. Von Planungssicherheit konnte keine Rede sein, folgerichtig investierte weder ein Gastronom, so dass es bei der unattraktiv-lieblosen Fettbemmen-Gastro bleiben musste, noch konnten Bands längerfristig gebucht werden. Schließlich verließ der Jazzverein Anfang Juli das Kellergewölbe im Waldschlösschengelände, das weder finanziell noch vom Image her zu halten war (ein langjähriger Jazzfreund: „In der Waldschlösschen-Tonne besuche ich prinzipiell kein Jazzkonzert, auch wenn dort meine Lieblingsmusiker auftreten würden.”), und ging in eine Sommerpause.

Wieder brach für den Dresdner „Tonne”-Jazz eine neue Zeit an – diesmal mit einem kleinen Büro im historischen Yenidse-Gebäude und mit Konzert für Konzert hinzugemieteten Veranstaltungsräumen. Vier Monate, von September bis Dezember, spielte die „Neue Tonne” auf der Kleinkunstbühne im Schillergarten und unter dem Slogan „Jazzclub Neue Tonne im Scheune-Asyl” im Dresdner Kulturzentrum Scheune.

Immerhin 19 Konzerte veranstaltete der Jazzverein in diesem Zeitraum – und die unter nun noch viel schwierigeren Bedingungen. Jetzt musste jeder Gitarrenverstärker, jedes Schlagzeug und jeder Notenständer gegen richtiges Geld gemietet, transportiert und installiert werden – insgesamt ein Kraftakt, den sonst kaum jemand auf sich nimmt.

Klar, dass die Wogen der Empörung hoch schlugen, als Dresdens Kulturamtsleiter Werner Barlmeyer am 15. Oktober 2001 in den „Dresdner Neuesten Nachrichten“ äußerte, er könne sich auch vorstellen, dass der Club wie „ein fliegender Teppichhändler” lediglich Projekte veranstaltet, die auf Antrag vom Land unterstützt werden könnten.

Das traf die Idee von der „Tonne” und damit eine über zwanzigjährige Tradition bis ins Mark. Der (Un-)Geist, der in dieser Zeitungsaussage steckte, wurde schließlich Ende November bittere Realität. Der Kulturamtsleiter ließ dem Jazzverein mitteilen, dass es 2002 keine institutionelle Förderung geben solle – ohne dass der Verein vorher die Chance erhielt, Konzept und Situation zu erläutern. „Was der Sozialismus nicht geschafft hat – das Kulturamt bringt es fertig”, war der verbitterte Tenor unter Jazzfreunden, die damit die Liquidierung des „Tonne”-Jazz und die Zerstörung der Idee von der „Tonne” als einem regionalen Jazz-Zentrum meinten.

Mit einem Hilferuf an den Kulturausschuss sollte der endgültige „Tonne”-Tod verhindert werden. Ergebnis: Die „Neue Tonne” wurde wieder auf die Förderliste gesetzt, aber wie viel und wann sie Fördergelder erhält, ist nach wie vor offen. Die Mitgliederversammlung der „Neuen Tonne” beschloss daraufhin am 19. Dezember 2001, die Liquidation ihres Vereins auszusetzen und weiter zu machen. Als aktuelle Hauptaufgabe steht nun die Suche nach einer geeigneten, „Tonne”-würdigen eigenen Spielstätte. Bis die gefunden und eingerichtet ist, wird es in Dresden nur sporadisch „Tonne”-Jazz geben.

Mathias Bäumel

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