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Jazzzeitung

2002/02  ::: seite 9

Berichte

 

Inhalt 2002/02

standards
Editorial
News
no chaser: Atemnot
Glossar: Zirkulare Atemtechnik
Farewell: Zum Tod von Etta Jones
Farewell: die jazzzeitung verabschiedet sich von ...
break

titel
Gefälliger Engel.
Diana Krall: ihre Standards, ihre Zuhörer, ihre Kritiker

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Jazzclub Neue Tonne kämpft ums Überleben – eine Chronik
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Der jazz e.V. dachau und sein Konzept

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Portrait. Dem Tenorsaxophonisten Stan Getz zum Fünfundsiebzigsten
Portrait. Herbie Hancocks Label „Transparent Music“
Portrait. Bennie Wallace live
Portrait. Aziza Mustafa Zadeh über Deutschland, Religion und Jazz

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Junger Gitarrengott
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dossier
Verschwundene Klänge
Retrospektive: Zurück in die neunziger Jahre

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Rezensionen 2001/12
Service-Pack 2001/12 als pdf-Datei (kurz, aber wichtig; Clubadressen, Kalender, Jazz in Radio & TV, Jazz in Bayern und anderswo (204 kb))

 

Diva ohne Star-Allüren

Zum Tod von Etta Jones

Mit ihrem ausdrucksvollen, bluesigen Gesangsstil, der das Feeling von Billie Holiday mit dem Biss von Dinah Washington verband, gehörte die am 16. Oktober 2001 in Mount Vernon, New York verstorbene Etta Jones zu den großen, doch unterschätzten Vokalistinnen des Jazz. Etta Jones, das sei gleich vorausgeschickt, ist nicht mit ihrer Kollegin Etta James zu verwechseln. Dazu gibt es eine nette Anekdote: Als beide Ettas schon einige Jahrzehnte Karriere auf dem Buckel hatten, kamen beide unabhängig und ungefähr zur gleichen Zeit voneinander auf die nette Idee, den größten Hit der jeweils anderen aufzunehmen. Vorher wäre das aus Verwechslungsgründen kaum gegangen.

Etta Jones wurde 1928 in Aiken, South Carolina geboren, wuchs aber in Harlem auf, in den 40er-Jahren sicherlich der richtige Ort, um in den Jazz einzutauchen. Der Beginn ihrer Karriere ähnelt dem vieler großer Sängerinnen: Wie ein Jahr zuvor Sarah Vaughan und neun Jahre zuvor Ella Fitzgerald nahm sie im Sommer 1943 an einem jener legendären Amateurwettbewerbe im Apollo Theatre teil und wurde entdeckt. Und das schon mit 15! Sie gewann an jenem Abend zwar keinen Preis, bekam aber einen Job in einer populären, am R&B orientierten Band: Im Orchester von Buddy Johnson konnte sie als Vertretung für seine Schwester Ella Johnson, die auf Schwangerschaftsurlaub war, ihre ersten Sporen verdienen.

Zu ihren frühen Vorbildern gehörte die vibratoreiche Basie-Sängerin Thelma Carpenter. Billie Holiday war, vor allem bei Balladen, hörbar ihr größtes Vorbild. Lady Day hatte mit ihrer Aufnahme von „Fine & Mellow“ 1939 überhaupt erst Ettas Liebe zum Jazz geweckt. An Dinah Washington gemahnt Jones Blues-Feeling, doch es ginge zu weit, sie als Washington-Schülerin zu bezeichnen. Beide Sängerinnen kamen in etwa zur gleichen Zeit auf und wurden von ähnlichen Einflüssen geprägt. Dazu gehört insbesondere auch die Gospel-Musik. Etta Jones bewunderte auch Nat King Cole; man hört das nicht direkt, doch auf fast jeder ihrer Platten findet sich ein mit ihm assoziierter Song. Prägend für Jones’ Vokalstil war auch der Einfluss von Instrumentalisten, insbesondere lernte sie viel aus der Phrasierung von Saxophonisten.

Ihre ersten Aufnahmen machte sie 1944 mit dem Ellington-Klarinettisten Barney Bigard. Ab ihrem 16. Lebensjahr arbeitete sie mit so bekannten Größen wie Pete Johnson, Stuff Smith, J.C. Heard, Lucky Millinder und Sonny Stitt. Von 1949 bis 1952 wirkte Etta Jones als Sängerin im Orchester des großen Earl Fatha Hines. Trotz so viel versprechender Anfänge geriet sie ab 1952 für den Rest der 50er-Jahre aus dem Blickfeld. Etta Jones sang gelegentlich, hatte sich aber mehr oder weniger aus dem Business zurückgezogen und arbeitete unter anderem als Lift-Girl im Hotel und Näherin. 1957 machte sie Aufnahmen für das Label King, die aber nicht weiter auffielen.
Diese Jahre trugen aber offensichtlich zu einem großen künstlerischen Reifeprozess bei. Man hört den späteren Aufnahmen an, was sie alles in dieser Zeit gelernt hat. Von Natur aus war ihre Stimme nicht so voluminös wie man zunächst meinen würde. Sie machte aber von Anfang an das beste daraus. Sie ließ den Klang ihres Atems wirken und sie verwendete Glissandi für Blue-Note-Wirkungen. Etta Jones’ Atem hielt offensichtlich auch nicht sonderlich lang; umso überzeugender ging sie mit kürzeren Phrasen um.
1960 nahm sie die Gelegenheit wahr, bei einem bedeutenden Jazzplattenlabel Aufnahmen zu machen. „Prestige“ war am Ruhm von Musikern wie Miles Davis, Sonny Rollins und John Coltrane nicht unbeteiligt gewesen, hatte aber seinerseits bislang keine große Sängerin auf Lager. Prestige ging das Wagnis mit der kaum bekannten Sängerin ein, die mit dem Album „Don’t Go To Strangers“ für alle Beteiligten unerwartet sofort einen Hit landete. Der Kassenschlager soll Prestige etwa eine Million Dollar eingebracht haben. Und Etta Jones wöchentliche Einnahmen stiegen von 50 auf 750 Dollar.
Als Etta Jones mit dieser Platte wieder aus der Versenkung und überraschend in die Pop-Charts kam, war sie schon eine reife Meisterin. Ihr Gesang wirkte nicht wie ein Schauspiel, sondern überzeugte wie bei Billie Holiday als aufrichtiges Erzählen persönlicher Geschichten. Bei ihren Interpretationen auffällig waren die stets überzeugende Wahl des idealen Tempos, ein unbeirrbares Time-Feeling und der Respekt vor dem Song, der bei aller jazzmäßiger Freiheit nie – wie bei vielen Sängern – nur Startrampe für Improvisationen war. Im Gegensatz zu Scat-Sängern, denen schon auch mal der Text egal ist, waren Jones der Text eines Songs und seine Ausdeutung von zentraler Bedeutung. Ihre Stimme verströmte Wärme, war aber eher herb als weich; ihr Gesang war ausdrucksstark ohne vor Pathos zu triefen.
Auf „Don’t Go To Strangers“ folgte eine ganze Reihe von Prestige-Alben, auf denen Etta Jones mit zahlreichen hochkarätigen Musikern der Zeit zusammenwirkte. Für das Balladenalbum „So Warm“ (1961) etwa schuf Oliver Nelson ein orchestrales Gewand. Es waren Nelsons erste Arrangements für ein größeres Ensemble. In wenigen Jahren sollte Nelson zu den geschätztesten Arrangeuren überhaupt gehören, und weit über den Jazzbereich hinaus, für Film und Fernsehen tätig sein. Bei den Arrangements für Etta Jones hatte es Nelson erstmals mit einem Streicherapparat zu tun, und man kann ihm zugute halten, dass er sich seiner Aufgabe ohne Anleihe an die allzu süßlichen Klischees entledigte.

Der große Erfolg der Anfangsjahre machte Etta Jones keineswegs zu einer egozentrischen Diva oder einer eisernen Karrierefrau. Sie wird als liebenswerter, hilfsbereiter Mitmensch und Kollegin beschrieben, die sich selbst nicht so wichtig nahm. Auch hat sie ihr Privatleben nicht für die Publicity ausgeschlachtet. Anlässe hätte es genug gegeben: Ihr Kampf gegen Krebs oder der frühe Tod ihrer Tochter. Einen Versuch, wieder das Pop-Publikum zu erreichen, unternahm sie nicht. Obwohl sie ihr musikalisches Niveau aufrecht erhielt, hatte sie auch nie wieder so großen Erfolg wie zur Zeit ihrer Entdeckung.

Zwischen 1965 und 1975 legte Etta Jones keine Alben vor, obwohl sie in diesen Jahren nicht aufgehört hatte zu singen. So tourte sie 1970 mit Art Blakey durch Japan. Zu diesem Zeitpunkt hatte sie längst den vielleicht wichtigsten musikalischen Weggefährten ihres Lebens gefunden: Von 1968 bis kurz vor ihrem Tod arbeitete sie mit dem voll und warm tönenden Tenoristen Houston Person zusammen. In ihrem Zusammenspiel lebte die schwarze „call & response“-Tradition. „Er weiß genau, was ich tun werde“, sagte sie einmal. „Er weiß, wenn ich in Schwierigkeit bin und gibt mir dann die richtige Note.“ Houston Person war nicht nur der intuitiv auf die Sängerin reagierende Saxophonpartner, er war auch ihr Manager und Plattenproduzent. Er war aber nicht, wie immer wieder behauptet wird, ihr Gatte.
Die vielen gemeinsamen Alben von Etta Jones und Houston Person erschienen auf dem Label Muse und ab 1996 auf Highnote. Das bekannteste Muse-Album ist wohl „Save Your Love for Me“, das Etta Jones 1981 wie bereits zwei Jahrzehnte zuvor „Don’t Go To Strangers“ eine Grammy Nominierung einbrachte. „Etta Jones Sings Lady Day“, ihr letztes Album, wurde seltsamerweise auf den Tag genau 41 Jahre nach „Don’t Go To Strangers“ aufgenommen und zufällig am Tage ihres Todes veröffentlicht. So schloss sich der Kreis.

Marcus A. Woelfle

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