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Mit ihrem ausdrucksvollen, bluesigen Gesangsstil, der das Feeling von Billie Holiday mit dem Biss von Dinah Washington verband, gehörte die am 16. Oktober 2001 in Mount Vernon, New York verstorbene Etta Jones zu den großen, doch unterschätzten Vokalistinnen des Jazz. Etta Jones, das sei gleich vorausgeschickt, ist nicht mit ihrer Kollegin Etta James zu verwechseln. Dazu gibt es eine nette Anekdote: Als beide Ettas schon einige Jahrzehnte Karriere auf dem Buckel hatten, kamen beide unabhängig und ungefähr zur gleichen Zeit voneinander auf die nette Idee, den größten Hit der jeweils anderen aufzunehmen. Vorher wäre das aus Verwechslungsgründen kaum gegangen. Etta Jones wurde 1928 in Aiken, South Carolina geboren, wuchs aber in Harlem auf, in den 40er-Jahren sicherlich der richtige Ort, um in den Jazz einzutauchen. Der Beginn ihrer Karriere ähnelt dem vieler großer Sängerinnen: Wie ein Jahr zuvor Sarah Vaughan und neun Jahre zuvor Ella Fitzgerald nahm sie im Sommer 1943 an einem jener legendären Amateurwettbewerbe im Apollo Theatre teil und wurde entdeckt. Und das schon mit 15! Sie gewann an jenem Abend zwar keinen Preis, bekam aber einen Job in einer populären, am R&B orientierten Band: Im Orchester von Buddy Johnson konnte sie als Vertretung für seine Schwester Ella Johnson, die auf Schwangerschaftsurlaub war, ihre ersten Sporen verdienen. Zu ihren frühen Vorbildern gehörte die vibratoreiche Basie-Sängerin Thelma Carpenter. Billie Holiday war, vor allem bei Balladen, hörbar ihr größtes Vorbild. Lady Day hatte mit ihrer Aufnahme von Fine & Mellow 1939 überhaupt erst Ettas Liebe zum Jazz geweckt. An Dinah Washington gemahnt Jones Blues-Feeling, doch es ginge zu weit, sie als Washington-Schülerin zu bezeichnen. Beide Sängerinnen kamen in etwa zur gleichen Zeit auf und wurden von ähnlichen Einflüssen geprägt. Dazu gehört insbesondere auch die Gospel-Musik. Etta Jones bewunderte auch Nat King Cole; man hört das nicht direkt, doch auf fast jeder ihrer Platten findet sich ein mit ihm assoziierter Song. Prägend für Jones Vokalstil war auch der Einfluss von Instrumentalisten, insbesondere lernte sie viel aus der Phrasierung von Saxophonisten. Ihre ersten Aufnahmen machte sie 1944 mit dem Ellington-Klarinettisten Barney Bigard. Ab ihrem 16. Lebensjahr arbeitete
sie mit so bekannten Größen wie Pete Johnson, Stuff Smith, J.C. Heard, Lucky Millinder und Sonny Stitt.
Von 1949 bis 1952 wirkte Etta Jones als Sängerin im Orchester des großen Earl Fatha Hines. Trotz so viel
versprechender Anfänge geriet sie ab 1952 für den Rest der 50er-Jahre aus dem Blickfeld. Etta Jones sang
gelegentlich, hatte sich aber mehr oder weniger aus dem Business zurückgezogen und arbeitete unter anderem als
Lift-Girl im Hotel und Näherin. 1957 machte sie Aufnahmen für das Label King, die aber nicht weiter auffielen. Der große Erfolg der Anfangsjahre machte Etta Jones keineswegs zu einer egozentrischen Diva oder einer eisernen Karrierefrau. Sie wird als liebenswerter, hilfsbereiter Mitmensch und Kollegin beschrieben, die sich selbst nicht so wichtig nahm. Auch hat sie ihr Privatleben nicht für die Publicity ausgeschlachtet. Anlässe hätte es genug gegeben: Ihr Kampf gegen Krebs oder der frühe Tod ihrer Tochter. Einen Versuch, wieder das Pop-Publikum zu erreichen, unternahm sie nicht. Obwohl sie ihr musikalisches Niveau aufrecht erhielt, hatte sie auch nie wieder so großen Erfolg wie zur Zeit ihrer Entdeckung. Zwischen 1965 und 1975 legte Etta Jones keine Alben vor, obwohl sie in diesen Jahren nicht aufgehört hatte
zu singen. So tourte sie 1970 mit Art Blakey durch Japan. Zu diesem Zeitpunkt hatte sie längst den vielleicht
wichtigsten musikalischen Weggefährten ihres Lebens gefunden: Von 1968 bis kurz vor ihrem Tod arbeitete sie mit
dem voll und warm tönenden Tenoristen Houston Person zusammen. In ihrem Zusammenspiel lebte die schwarze call
& response-Tradition. Er weiß genau, was ich tun werde, sagte sie einmal. Er weiß,
wenn ich in Schwierigkeit bin und gibt mir dann die richtige Note. Houston Person war nicht nur der intuitiv
auf die Sängerin reagierende Saxophonpartner, er war auch ihr Manager und Plattenproduzent. Er war aber nicht,
wie immer wieder behauptet wird, ihr Gatte. Marcus A. Woelfle |
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