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Fast beängstigend ist sie, die Ruhe nach dem Klang. Von keiner Seite kommt noch ein Ton, nachdem der nicht gerade hochgewachsene, aber schwergewichtige Mann in der Mitte der Bühne des Dessauer Bauhauses den gerade geprobten Titel Sally O. unterbrochen hat. Die Musiker im Alter von 13 bis 25 Jahren, der Durchschnitt dürfte etwa bei 16 oder 17 Jahren liegen, setzen die Instrumente ab und hören aufmerksam zu. Leise, aber bestimmt nennt Peter Herbolzheimer den in einem Rechteck um ihn herum postierten Akteuren den Grund seiner Unzufriedenheit. Es ist das Metrum, das ihm noch Sorgen macht, vor allem der Übergang zum Mittelteil, der das Eingangstempo verdoppelt und die Melodik triolisiert. Herbolzheimer wendet sich der Rhythmusgruppe zu, gibt Schlagzeuger Alexander Glatz, Gitarrist Michael Wieschke und Keyboarder Tobias Jecht noch einmal konkrete Hinweise, mahnt den Balladencharakter seiner Eigenkomposition an und fordert: Hört noch besser auf Daniel und begleitet ihn. Der 17-jährige Daniel Barke spielt in Sally O. das Altsaxophon-Solo. Er und seine Begleiter, das sind die etwa zwei Dutzend Mitglieder der seit knapp acht Jahren bestehenden Jugend-Big-Band Anhalt. Das zweite Wochenende im November 2001 ist ein besonderes für sie. Workshop ist angesagt, wieder einmal. Aber diesmal mit einem der ganz Großen der Gilde, der nicht erst seit seiner 1987 begonnenen Mentorenschaft beim Bundes-Jugend-Jazzorchester (BuJazzO) als einer der Väter heutiger deutscher Jazz-Generationen gelten darf.
Schon wieder hat er etwas zu kritisieren. Diesmal trifft es die Trompeter. Die Spieler der zweiten, dritten und vierten Stimme verstecken sich zu sehr hinter dem Ton des Gruppenleaders. Herbolzheimer fordert Christian Kopischke, Friedemann Polzin und Robert Koschig zu mehr Selbstbewusstsein auf. Ihr müsst doch auch mal allein merken, in welchen Takten ihr ebenso wichtig oder sogar wichtiger seid als Norman und Matthias! Womit er Norman Hausmann und Matthias Raasch meint, die sich die exponierten Parts an der Ersten teilen. Herbolzheimer nimmt die Jungs und die beiden jungen Damen (Marie-Luise Müller an der Flöte und Catarina Schwarz am Saxophon), die er allesamt in kürzester Zeit mit Vornamen kennt, hart ran. Unnachgiebig feilt er an dynamischen Details und homogener Artikulierung. Seine Wochenend-Eleven sind mit allerhöchster Konzentration dabei. Klar doch, auf diesen Moment haben sie mit Vorfreude gewartet und sich entsprechend präpariert. Seit sechs Wochen haben sie die Noten, alles Arrangements aus Herbolzheimers Feder, seitdem haben sie unter ihrem eigenen Leiter Detlef Metzner intensive Vorarbeit geleistet, um dem Meister den Feinschliff zu erleichtern. Metzner ist erstaunt über die Physis seiner Truppe. Einfach sensationell, wie sie das durchhalten!, erkennt er am Sonntag an, als seine Schützlinge, die die zehnstündige Schicht vom Sonnabend noch in den Knochen respektive Lippen haben müssten, von früh um zehn bis nachmittags um drei ohne größere Pause durchprobieren. Doch wenn Herbolzheimer auf sein Mittagessen verzichtet, um noch ein paar Nuancen rauszukitzeln, tun sie das selbstverständlich auch. Eine weitere Motivation ist das Konzert, das am Sonntagabend an gleicher Stelle die Ergebnisse der ebenso anstrengenden wie meisterlichen Klausur präsentiert. Die Rohrstuhlreihen der seit kurzem offiziell zum Weltkulturerbe gehörenden Aula sind nahezu restlos besetzt, unter den Besuchern ist auch Dessaus Oberbürgermeister. Das Publikum erlebt eine von ihrem Gast sichtlich inspirierte Big Band und eine kleine Premiere: Erstmals agiert mit der Band auch eine Gruppe von Streichern, allesamt Schüler der Dessauer Musikschule, an der Metzner ebenfalls tätig ist. Zwar haben die Geigen und Celli Mühe, in Sachen Lautstärke mit der geballten Bläserfront mitzuhalten, auch hat die vorhandene Zeit nur zu drei Blitz-Arrangements gereicht, doch wird zumindest der Rausschmeißer Just The Two Of Us zum hörbaren Beleg einer neuen Partnerschaft, an der, wie Metzner versichert, beide Seiten interessiert sind und auch sehr viel Spaß daran haben. Peter Herbolzheimer sieht das genauso und hofft, beim nächsten Mal mit mehr Zeit eine anspruchsvollere Streichersache einzustudieren. Die Ambitionen sind vorhanden! Allerdings entgeht ihm nach dem Konzert auch nicht, wie aus fast allen Musikern der Big Band von einem Moment zum nächsten die Luft rausgeht. Tatsächlich sind vor allem bei den Jüngeren die Akkus ziemlich leer. Dennoch leuchten ihre Augen, als sie sich hinter der Bühne von ihrem Kurzzeit-Bandleader verabschieden. Möglicherweise gibt es für den einen oder anderen schon eher ein Wiedersehen. Für den 17-jährigen Tenorsaxophonisten Sebastian Gille beispielsweise. Er kann sich Chancen ausrechnen, wenn er demnächst beim BuJazzO vorspielt. Wenn er beispielsweise das Solo von Blues In Latin wieder so mitreißend hinlegt wie im Bauhaus, könnte das auch Herbolzheimers elitäre Juroren beeindrucken. Frank Mahlo |
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