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Jazz sei Live-Musik, heißt es. Nur angesichts der Konzertbühne, wo lebendige, atmende Menschen genau in diesem Augenblick ihre emotionale Befindlichkeit ausschwitzen, könne man den Spirit des Jazz wirklich erfahren, heißt es. Nur angesichts vor Anstrengung verzerrter Musikergesichter, verzweifelt um sich schlagender Schlagzeuger, vor Atemnot strampelnder Saxophonisten stelle sich beim Jazz-Fan das echte Feeling ein, heißt es. Von dieser Macht des Authentischen könne ein Tonträger womöglich gar ein im Studio aufgenommener natürlich nur eine blasse Ahnung vermitteln, heißt es. Ehrlich gesagt: Ich bin da anderer Meinung. Ich verzichte gerne auf quatschende Tischnachbarn, miefige Luft und klirrendes Geschirr, auf verstimmte Klaviere, brummende Bassboxen und schlecht mikrofonierte Solisten und höre mir Jazz in Ruhe zu Hause an. Nicht erst im Zeitalter der aufgeblasenen Produzenten-Egos, sondern immer schon war diese Musik eine hoch differenzierte Studiokunst. Nichts prägte die Ästhetik des prämodernen Jazz stärker als Louis Armstrongs Hot Five eine Studio-Formation, die kein einziges kommerzielles Konzert spielte. In keiner Live-Aufnahme erreichten Charlie Parkers Improvisationen dieselbe Spannung und Dichte wie in seinen auf drei Minuten beschränkten Studio-Versionen. Und ohne Meister-Alben wie Tranes Giant Steps und Ornettes The Shape Of Jazz To Come wäre der Jazz der 60er-Jahre eine Kirmesveranstaltung für streng riechende Village-Bohemiens geblieben. Übrigens setzte ich kürzlich doch mal wieder einen Fuß in unseren örtlichen Jazzclub und die Lisl oder Resl hinter der Theke tat ganz erstaunt: Ja, gibts dich denn auch noch? Ich verriet ihr nicht, dass mein CD-Spieler nur gerade in Reparatur war. Ach ja, der für diesen Abend angekündigte Star-Trompeter fiel leider aus. Ist mir bei einer Clifford-Brown-CD auch noch nie passiert. Rainer Wein |
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