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Man hört es und ist überzeugt: So kann man es machen. Von der klassischen Pianistin Katia Labèque gibt es eine Aufnahme mit einem packenden Jazz-Solo. Wie sie da Motive aus dem Thema aufflackern lässt, wie sie unerwartete Akkordverbindungen souverän einbindet, wie sie den Ausdruck und die Intensität immer mehr verdichtet: Da staunt man. Beste Jazz-Kunst. Großer Spannungsbogen. Und ein unwiderstehlicher Duktus von Spontaneität. Es ist eine Interpretation des Klassikers „My Funny Valentine“. Aufgenommen 1995 im Duo mit einem Jazzer: Herbie Hancock. Und der Clou: Hancocks klassische Kollegin improvisiert hier nicht, sondern reproduziert ein Solo, das sie sich vorher auf Noten herausschreiben ließ. Und zwar eines, das selbst ein Klassiker geworden ist – jenes von Herbie Hancock aus der 1964er-Aufnahme mit Miles Davis.
Man hört es und fragt sich: Soll man’s so machen? Keith Jarrett spielt Bach. Zum Beispiel das Wohltemperierte Klavier in der einst mit Spannung erwarteten Aufnahme von 1987. Klanglich äußerst edel, fein gespielt, ohne Extravaganz. Die Interpretation eines Sensiblen. Aber andererseits auch: Die Interpretation eines allzu Vorsichtigen. Diese Musik brauche seine Hilfe nicht, begründete Jarrett seine Zurückhaltung. Gerade von ihm hätte man einen eigenwilligen, gar kapriziösen Bach erwartet; einen, der über die Stränge schlägt. Der demjenigen von Glenn Gould Konkurrenz machen könnte. Nichts davon. Stattdessen: Blanke Buchstabentreue. Sogar: buchstabierende Treue. Zwei Klassiker der Grenzüberschreitung. Hier ein Jazzmusiker, der sich berühmten Werken der E-Musik-Welt mit Samthandschuhen nähert – mit einer ganz anderen Haltung als bei seinen Jazzstücken. Dort eine klassische Interpretin, die ein Jazzduo wagt, sich aber auf das verlässt, was sie seit jeher kann: auf die minuziöse Wiedergabe eines Notentextes. Auf geronnene, einstige Jazz-Momente. Kreative Übertretungen sind zurzeit hochaktuell. Plattenlabel und auch Musiker selbst haben großes Interesse daran. Die ersteren, weil ein exotischer, verkaufsfördernder Touch daran ist; die letzteren oft einfach aus künstlerischer Lust. Wie viel Resonanz man damit in der Öffentlichkeit erzielt, zeigen etwa das „Jazz Album“ des Bass-Baritons Thomas Quasthoff oder die Erfolgsserie der „Klazz Brothers“. „Jazz meets …“ oder „Classic meets …“ sind Etiketten, die viel Effekt machen. Auch bei recyceltem Altbekanntem: Jacques Loussiers „Play Bach“ (mit gelegentlichen Zweit- und Drittkomponisten) ist wohl auf ewige Publikumswirksamkeit abonniert; der Pianist Eugen Cicero (Vater von Swing-Sänger Roger) hat seit den Siebziger Jahren Chopin und anderes virtuos eingeswingt; das ist heute wieder auf dem Markt als „Jazz meets Classic“. Doch auch ohne solche Etiketten gibt es gerade in jüngerer Zeit viele Aufnahmen, in denen sich Jazz und Klassik mindestens berühren. Und hochinteressant sind dabei die qualitativen Unterschiede. Der englische Bassist Barry Guy brachte 2005 in einem CD-Booklet ein wichtiges Kriterium auf den Punkt. Es ging ihm dabei um den Begriff „Crossover“. Dieses Wort sieht er kritisch, denn: „Leider wird das Wort meistens auf reichlich seichte Darbietungen angewandt, die ein Genre durch ein anderes ,aufpeppen’ sollen, um das erste genießbarer zu machen. Dies lehnen wir kategorisch ab, denn uns geht es darum, die Integrität der jeweiligen Musik zu bewahren (…).“ Barry Guy, der seit Jahrzehnten sowohl Free Jazz als auch Barockmusik in weltbekannten Ensembles spielt, ist ein Insider in beiden Gebieten. Wenn er mit der Barockviolinistin Maya Homburger ein Programm aufführt, das Jazz- und Barock-Spielweisen verbindet, dann ist das immer eine gegenseitige musikalische Durchdringung. Weil Guy umfassend erfahren ist in beiden Welten. Weil er weiß,
was bei oberflächlicher Aneignung verloren gehen kann. Auf all diese Beispiele passt ein „Jazz meets …“ oder „Classic meets …“ nicht. Das Geheimnis: Es sind eben keine bloßen „Begegnungen“. Es sind meist Ergebnisse lange gewachsener musikalischer Beziehungen. Außer etwa bei Eugen Cicero, sind „Jazz meets“ und „Classic meets“ oft schönere Worte für musikalische One-Night-Stands. Für Erlebnisse, die vielleicht mal ganz prickelnd sind, aber nichts fürs Leben. Für Dinge, über die man dann vielleicht auch gar nicht reden muss. Wenn die Klazz Brothers Bach und anderes verjazzen, dann ist das technisch und stilistisch äußerst gekonnt – aber man hört es einmal und kennt es. Längerfristig gesehen, nehmen sich „Crossover“-Produkte und musikalische Instant-Begegnungen meistens eine gewisse Lizenz zum Langweilen heraus. Doch das gibt es auch: gewachsene Beziehungen, die sich verkrampfen. Der große Pianist Friedrich Gulda war zeitlebens glühender Jazz-Verehrer. Aber wenn er Jazz spielte, klang das fürchterlich bemüht. Für mich ist auch der Sänger Thomas Quasthoff ein solches Beispiel. Quasthoff hat sich in seiner Jugend viel mit Jazz befasst; und ein „Jazz Album“ zu machen, soll ihm sehr am Herzen gelegen haben. Doch mit seinen Interpretationen von Standards kann es einem gehen wie mit dem Jazz von Gulda. Wenn etwa Mel Tormé „Ac-cent-tchu-ate the positive“ sang, dann tanzten die Synkopen in elastischer Eleganz; wenn Quasthoff es singt, dann pochen sie in gemeißelter Beharrlichkeit. Dabei hat Quasthoff zumindest theoretisch bei seinem Album alles richtig gemacht. Er stützte sich auf die Produzenten-Erfahrung von Trompeter Till Brönner, verstieg sich nicht in Improvisations-Eskapaden, sondern ließ sich von Brönner ganz auf das Wesentliche der Songs beschränken. Das spricht auch für Respekt vor dem anderen Genre; wie Katia Labèque begab sich Quasthoff nicht aufs Glatteis. Leider spürt man aber hier zu sehr die vielen Sicherheits-Anker; die Songs wurden unbeweglich, sie leben nicht. Kann man’s machen? Soll man’s machen? Unbedingt! Musikalische Scheuklappen bringen nichts. Wer nur in seiner kleinen Welt bleibt, ist vielleicht bald auch in der verloren. Klassik und Jazz sind stark verwandt: Stilhöhe, Schwierigkeitsgrad, Virtuosität, reiche Tradition. Komponisten waren große Improvisatoren. Jazzmusiker schätzen die klassische Musik. Die Genres können viel voneinander lernen. Das weiß man auf den Bühnen und an den Hochschulen. Man kann’s machen wie Jarrett, wie Labèque, wie Barry Guy, wie die Klazz Brothers, wie Quasthoff. Und am Ende liegt es am Publikum, zu unterscheiden, ob das Ergebnis was für eine Nacht oder vielleicht fürs ganze Leben ist. Und da wird’s richtig spannend. Roland Spiegel |
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