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Kalimba ist das afrikanische Daumenklavier, und wir haben es zum Titel der neuen CD (Joachim Kühn – Majid Bekkas with Ramon Lopez: Kalimba, ACT 9456-2) gemacht, um die Nähe zur afrikanischen Musik herauszustellen, erklärt Joachim Kühn in der Bar des Essener Hotels neben der dortigen Philharmonie. Am darauf folgenden Abend wird er das vorerst letzte Konzert als diesjähriger „Musician in Residence“ mit seinem aktuellen Trio, dem Marokkaner Majid Bekkas und dem aus Spanien stammenden und in Paris lebenden Schlagzeuger Ramon Lopez geben. Schon seit langem interessiert Joachim Kühn die Begegnung mit den Kulturen anderer Länder, auch die mediterrane in der Umgebung seiner langjährigen Wahlheimat Ibiza. Nicht nur seine vor zwei Jahren veröffentlichte CD „Journey to the Centre of an Egg“ mit Rabih Abou-Khalil (Enja) belegt dies, sondern schon viel frühere Aufnahmen mit zum Beispiel Ray Lema (1991) oder Moussa Sissoko (1993) oder frühe Tourneen mit dem GoetheInstitut nach Marokko oder auch später etliche nach Afghanistan, Indien und Südamerika. Kennen gelernt hat er Bekkas in Oberbayern, im Herbst 2003 auf dem Festival Schloss Elmau, dessen künstlerischer Lei- ter Ralf Dombrowski auf Grund seiner engen Verbindung zum Festival in Rabat in Marokko neben Kühn auch Bekkas eingeladen hatte. Bekkas lud Kühn dann nach Marokko ein und die höchst aktuelle Zusammenarbeit nahm ihren Anfang. Auch der Start in Marokko hatte etwas Besonderes. Am Nachmittag vor dem ge-meinsamen Konzert in Rabat nahm Bekkas den deutschen Gast mit zu einem Gefängnis-Konzert mit seiner marokkanischen Band. Mit Saxophon und Sonnenbrille bewaffnet nahm dieser dann an einem 2-stündigen unvergessenen Konzert vor 7 bis 800 begeisterten jungen erwachsenen marokkanischen Strafgefangenen teil. Kühn sieht dieses neue musikalische Zusammentreffen als weit offen,
in keiner Weise eingeschränkt: Bekkas spielt in erster Linie neben der Kalimba, der Oud und seiner Stimme die Guembri, einen zweisaitigen marokkanischen Bass, deren Spiel für Kühn eine einmalige Atmosphäre verbreitet: „Die Guembri ist ein ganz besonderes Instrument. Ich spiele wie viele Pianisten immer noch gerne mit Bass. Aber die Guembri bringt so ein ganz spezielles hypnotisches, tranceartiges Feeling mit hinein, in dem man sich in der Musik verlieren kann. Die Rhythmen sind so offen, dass ich darüber auch ganz frei mitspielen kann.“ Regelrecht bewegend wie ein Südstaaten-Blues mit einer tiefschwarzen Stimme Bekkas’, ganz anders als seine arabisch intonierten Gesangseinlagen auf der CD, die Kühn besonders schätzt, ist das Eröffnungsstück „Live Experience“. Eine nette Geschichte hat dieses Stück: „Das Stück ist auch auf seltsame Weise zusammen gekommen. Wir waren dabei, eine Plattensession vorzubereiten. Eine Woche vorher, ich war am Strand, hatte was komponiert, ging nach Hause, spielte es. Da wusste ich, dass ich das dem Majid sofort erzählen musste. Habe ihn von zu Hause angerufen. Er wartete gerade am Flughafen Casablanca auf sein Gepäck, kam aus Paris oder woher auch immer. Ich spielte ihm das Stück am Klavier vor. Und er: Oh ja, das klingt wie ein ‚live experience’. Ich hab es dann vorbereitet, und wir spielten es dann sofort im Studio, als er angekommen war.“ Im ersten Teil des Essener Konzertes hielten sich die drei brav an das CD-Programm, schmuggelten dann im zweiten ein paar neue Titel ein, wobei Kühn seine Stimmung mit „A Moment of Happiness“ sehr spürbar werden ließ. Natürlich ruht sich der Pianist, der Mitte März 63 Jahre alt geworden ist, auf einem solchen Projekt nicht aus, hat auch etliche andere, zum Beispiel mit der jungen französischen Szene, mit Musikern wie Christoph Marguet oder Sebastien Boisseau. In den letzten Jahren hat er sich sehr intensiv mit der klassischen Musik beschäftigt (siehe zum Beispiel das ebenfalls bei ACT eingespielte „Allegro Vivace“). Nicht nur in den Konzerten mit dem Thomanerchor seiner Heimatstadt Leipzig (s. auch „Bach Now! Live“ bei Universal Classic), sondern auch in Konzerten mit dem Organisten Matthias Eisenberg beschäftigt er sich mit der klassischen Musik. Gerade hat er ein neues Solo-Programm mit ausschließlich seiner eigenen Musik, wie er betont, aufgenommen, im Studio seines Freundes, des Malers Robert Aráto auf Ibiza, wo der für ihn großartigste Flügel steht. Fast täglich ist er dort, um immer wieder etwas aufzunehmen. Die Arbeit des Labels ACT und dessen Produzenten Siggi Loch schätzt er seit Jahren. In den 70er-Jahren hatte dieser ihn zu dem Label Atlantic geholt. Überhaupt ist Kühns Diskographie ein interessanter Gang durch die Labelgeschichte des Jazz (Quelle: Marc Sarrazy: Joachim Kühn, une histoire du jazz moderne, Editions Sylepse, 2003, ISBN 2-84797-020-7, leider noch nicht in Deutsch erschienen). Seine erste Veröffentlichung bei ACT, „Europeana“ mit Michael Gibbs, der NDR Radio-Philharmonie Hannover und einer erlesenen Schar von Jazzstars wie Albert Mangelsdorff oder seinem langjährigen Freund und Trio-Partner Jean-Francois Jenny-Clark, ist gerade wieder aufgelegt worden. Kein Zufall ist es, dass er bei dem Konzert mit drei Pianisten in seiner „Musician in Residence“-Reihe in der Essener Philharmonie mit zwei weiteren Pianisten aus dem ACT-Piano-Works-Paket zu hören war: „George Gruntz als einer der ersten Europäer, die den Jazz in der Schweiz, aber darüber hinaus in ganz Europa populär gemacht haben. Und Ramón Valle als jüngerer Kollege aus Kuba, eine ganz andere Richtung.“ Text & Fotos: Hans-Jürgen von Osterhausen
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