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Im Birdland in Neuburg an der Donau merken die Zuhörer schnell, dass was dran sein muss am Klischee vom südländischen Temperament. Das erste Stück ist noch nicht mal ein paar Takte alt und Rosario Giuliani ist mit seinem Altsaxophon schon mächtig auf Touren gekommen. Er schickt ein boppiges Thema durch die S-Kurve, wuselt sich durch einige hitzige Chorusse, lässt schweißtreibende Linien auf- und absteigen. Sein Ton: mal heiser, mal elegant, mal robust, mal lyrisch. Seine Improvisationen: im Bebop verwurzelt und doch im Jetzt angekommen. Auch sein Quintett ist nicht von schlechten Eltern. Vor allem der Trompeter Flavio Boltro, dem sogar schon von Wynton Marsalis attestiert wurde, dass er auf Weltniveau spielt, reißt die Neuburger zu Jubelstürmen hin. „Wenn der ein schwarzer Amerikaner wäre, hätte er es längst zum internationalen Superstar gebracht“, raunt mein Tischnachbar.
Nach einer mitreißenden Stunde, in der kräftig aus dem neuen Album „Anything Else“ (Dreyfus/Soul Food) zitiert wurde, gönnt Giuliani sich und seinen Mannen eine verdiente Pause. Wer ihm jetzt auf die Schulter haut und ihn mit Komplimenten überschüttet, wird beim genauen Taxieren seiner Gesichtszüge vielleicht bemerken, dass sich bei aller Freude über die Gefallensbekundungen etwas Säuerliches in sein Lächeln mischt. Warum das so ist, hat er mir ein paar Monate vor dem Neuburger Gig einmal erklärt: „Gerade weil ich diese Passion für Musik habe, bin ich sehr selbstkritisch. Zur Eigenkontrolle nehme ich alle meine Konzerte auf. Man muss seine Fehler erkennen können und wissen, wann man Bullshit macht. Ich bin Realist. Ich mag eigentlich grundsätzlich nie, was ich gerade spiele. Vielleicht liegt es daran, dass mir mein Geist immer schon ein Stück voraus ist und mir davon läuft. Du spielst im Heute, bist in Gedanken aber schon im Morgen angekommen. In dem Augenblick, in dem man wirklich mit sich zufrieden ist, hat der Geist nach meinem Dafürhalten seine Arbeit längst eingestellt.“ Die musikalische Laufbahn des so selbstkritischen Alt- und Sopransaxophonisten begann, als ihn seine Mutter im heimischen Terracina in ein lokales Banda-Orchester steckte – weil ihr die Uniformen der Marschkappelle so gut gefielen. Mit 14 hat ein Mitmarschierer Rosario Giuliani erst ein paar Charlie-Parker-Noten in die Hand gedrückt und ihm dann später auch Birds Schallplatten vorgespielt. Da war es um den jungen Mann geschehen. Im Konservatorium, für das er mit 15 bereits zugelassen wurde und das er als 20-Jähriger mit höchsten Auszeichnungen verließ, durchlief er nicht nur eine klassische Ausbildung, er erhielt auch eine Jazz-Grundlehre. Nach seinem Abschluss wollte er dann schnellstens weg aus seiner Heimatstadt. „Die Leute in Terracina sind zwar sicher nett, dennoch mochte ich sie nicht so sehr, weil sie schon ziemlich verstockt sind und nicht gerade besonders offen, was kulturelle Dinge anbetrifft“, seufzt Rosario Giuliani. „Andererseits kommen in meiner Musik immer wieder Erinnerungen an meine Heimatstadt hoch. Ich glaube, die Bilder seines Lebens hat man immer gegenwärtig. Und wenn man komponiert, ruft man sie gewissermaßen ab. Die Musik, die dann entsteht, ist der Soundtrack des eigenen Lebens. Mit der Musik kommt bei mir immer automatisch ein Image hoch. Wann immer ich einen Bleistift in die Hand nehme, um zu komponieren oder ein Instrument berühre, bringt das Bilder hervor. Ich habe die Hälfte meines Lebens in Terracina verbracht. Ich glaube, ich erinnere mich an jeden einzelnen Tag zwischen meinem 10. und 20. Lebensjahr. Es kommen immer wieder Erinnerungen hoch, von der Sonne, vom Meer, vom Salz in der Luft, vom Strand.“ Rosario Giuliani verließ seine Heimat mit zwanzig, um ins hundert Kilometer entfernte Rom zu gehen. Dort wurde er von einem Rundfunk- und Fernsehorchester engagiert. Sonderlich befriedigend war der Job musikalisch nicht, obwohl der Saxophonist so die Gelegenheit erhielt, mit Musikern wie dem jüngst Oscar-geehrten Ennio Morricone zu arbeiten. Nach sieben Jahren schmiss Rosario Giuliani hin und konzentrierte sich ganz und gar auf den Jazz. Diesen Schritt, der mit finanziellen Risiken behaftet war, bereut er bis heute nicht. Und die vielen Preise, die er schon unmittelbar nach Beginn seiner Selbstständigkeit einheimste, bestätigten ihm die Richtigkeit seiner Entscheidung. „Jazz ist die Liebe meines Lebens“, sagt er mit einem Tonfall, als wolle er die Kurven der schauspielernden Göttin Maria Grazia Cucinotta beschreiben. Keiner, der ihn in Neuburg gehört hat, wird die Aufrichtigkeit dieser Aussage anzuzweifeln wagen. Text und Foto: Ssirus W. Pakzad |
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