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Der Tod ist das Furchtbarste, und das Tote festzuhalten das, was die größte Kraft erfordert.“, sagt der Philosoph Hegel in der Vorrede zu seiner „Phänomenologie des Geistes“, diesem unübertroffenen Bewusstseins-Roman der Menschheit. Gabriele Hasler und Roger Hanschel wurden Anfang Oktober 2006 mit dieser Einsicht Hegels konfrontiert: sehr persönlich, sehr direkt – und zugleich mitten in ihrem Werk. Denn die beiden hatten zusammen mit Oskar Pastior, dem Büchnerpreisträger dieses Jahres, ein Trio-Klang-Konzept entwickelt, auf CD dokumentiert und noch während einiger Aufführungen im Spetember erfolgreich erprobt. Dann starb Oskar Pastior während der Frankfurter Buchmesse und das überlebende Duo „Hasler Hanschel“ erfuhr am eigenen Leib die „Furie des Verschwindens“, die kalte Gewalt jener „Unwirklichkeit“ (ebenfalls jeweils Hegel) namens Tod. Sie entschlossen sich aber nach kurzem Besinnen, weiter zu machen. Mit Oskar Pastior – wenn auch auf eine ein wenig unheimliche, gespenstische Weise: „Die Veranstaltungen ausfallen zu lassen, hieße, der entstandenen Leere eine weitere hinzuzufügen“, hieß es, kurz und knapp, in einer Pressemitteilung. Niemand aber kann und soll bei diesen Pastior-„Tributes“ Pastiors Platz einnehmen. Seine Stimme, die seine Texte verkörpert, sie erst Laut, Klang, Gestalt werden lässt, kommt aus dem „off“, vom Band. Was aber ist das Konzept hinter dieser Kooperation von Sprache und Text, die beide für sich schon ihrem normalen Gebrauch merkwürdig entfremdet scheinen, „de-semantisiert“, man könnte auch sagen: „konkret“ geworden? „Jazz & Lyrik“ aus dem Geist der 1950er Jahre, meinte ein Spötter. Aber das stimmt nicht. Viel eher schon handelt es sich bei Hasler, Henschel & Pastior um eine Klang-Performance, die Risiken nicht scheut, weil sie auf radikale Weise mit dem experimentiert, was uns am nächsten ist, unheimlich vertraut. Sprache, Stimme und die „normale“ Welt der Kommunikation werden ver-rückt in ein Traumreich, wo alles neu, frisch, ungewohnt, auch sinn-los und anarchisch wieder entsteht – so, dass wir unseren Ohren nicht mehr trauen. Oskar Pastior ist von allen konkreten Poeten der verspielteste und der verzauberndste. Wenn er die Sprache aufbricht und ihr Inneres untersucht, dann tut er das nicht mit der Kälte und mathematischen Eleganz vieler seiner Kollegen, sondern spöttisch und lockend. Er ist ein Wort-Magier und Geschichten-Guru, der uns ins Dickicht der Bedeutungen führt, bis sie sich auflösen und nur noch die reine, befreiende Imagination einen Ausweg aus den Sprachlabyrinthen verspricht. Sanft kommt Pastior daher und doch ist er fast so etwas wie der Rivale des Herrgotts, ein verschmitzter Teufel („diabolos“ war bei den Griechen der Sinnverdreher; der, der das Unterste zuoberst kehrt), der die Worte neu erschafft und uns zuschauen lässt, wie der Sinn sich bewegt, verschiebt, nicht fest, sondern „in Aktion“ ist. Und Gabriele Hasler assistiert ihm als die bedenkenloseste aller Stimm-Feen des neueren Jazz, gebiert Laute, Klänge, die sich noch nicht „verdickt“ haben. Man fühlt sich, als sei man dabei in einer heißen Geburtstunde des Universums. Und Roger Hanschel, Mitglied der legendären „Kölner Saxophon-Mafia“, liefert den betörenden Klang-Kitt, der verhindert, dass uns alles um die Ohren fliegt. Ein Sprach- und Laut-Trip, der zeigt, dass das Authentische und das Artifizielle, wenn man nur beide genügend radikal denkt, nah beieinander liegen, ja sich berühren und durchdringen. „kanu newö keno/noka kenu wöne“, meint Oskar Pastior. Und jeder, der jetzt sagt: „Das verstehe ich nur allzu gut“, der sollte besser genau hinhören, was Gabriele Hasler dazu singt beziehungsweise singt. Helmut Hein |
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